Das zweite Album der Erfolgsband Wet Leg macht alles richtig und konzentriert sich auf die Essenz: nämlich die Freude am Musikmachen. Moisturizer klingt frisch, spaßig und vor allem irre verliebt!
Wie geht es weiter, wenn man mit dem Debüt alles erreicht hat? Wet Leg haben es mit ihrer selbstbenannten, ersten Platte 2022 an die Spitze der Charts geschafft, haben ausverkaufte Touren gespielt, sind mit jeder Venue gewachsen, haben für Harry Styles Stadien aufgeheizt und schließlich sogar einen Grammy abgreifen können – noch dazu für ihre Liveperformances. Verschmitzte, sexuelle Lyrics paarten sich mit catchy Gitarren, die gleichzeitig Brit Pop, Grunge und verträumten Folk inhaliert haben.
Neben eingängigen Melodien sind es Charme und Witz, die Wet Leg nach ganz vorne gebracht haben, und Charme und Witz sind es auch heute, die das neue Album Moisturizer auszeichnen. Nachdem vor allem Rhian Teasdale und Hester Chambers sich als Wet Leg einen Namen gemacht haben, sind sie nun klarer als je zuvor als fünfköpfige Band unterwegs. Zwei Jahre waren sie fast pausenlos auf Tour mit Ellis Durand (Bass), Henry Holmes (Drums) und Joshua Mobaraki (Gitarre, Synths), die auch schon auf dem ersten Album gespielt haben, nach außen hin aber etwas mehr im Hintergrund standen. Hier haben die Fünf sich ein für alle Mal eingegroovt. Jeder Song entstand im Kollektiv – vielleicht ein guter Weg, um den Druck des zweiten Albums auf mehreren Schultern zu verteilen. Denn die eingespielte Truppe hat gelernt, sich gegenseitig zu lesen und die gleiche musikalische Sprache zu entwickeln.
Die Gitarre im Zentrum
Bei Wet Leg dreht sich vieles um die Gitarren – kein Wunder: Sowohl die Gründungsmitglieder Teasdale und Chambers als auch Mobaraki spielen Gitarre, und so stellen sich Riffs und Akkorde immer wieder in das Zentrum des Songwritings. Das gemeinsame Entwickeln eines musikalischen Gerüsts steht bei Wet Leg im Mittelpunkt, denn an den Texten kann man auch später noch feilen. „Wenn man das Grundgerüst jammen kann und es sich gut anfühlt und es uns Spaß macht, als Band zu spielen, dann ist das das Wichtigste. Und dann kann man bis zur letzten Minute mit den Texten herumspielen“, erzählt Teasdale in einem Interview zum neuen Album.
Dabei scheinen sich zwei größere Soundvisionen auf Moisturizer eingestellt zu haben. Zum einen gibt es da die lauten, wuchtigen Songs: ganz ausproduziert, mit verschränkten Gitarrenriffs und ausgefeilten Synthesizermelodien. Schon die ersten Singles wie das kampfeslustige und ausgeklügelte Catch These Fists haben das demonstriert. Zu einer aufbrausenden Einheit mischen sich hier der zitternde Bass, der repetitive Synthesizer, der treibende Beat und Teasdales expressive Stimme, die von Chambers harmonisch begleitet und gestützt wird. Gegenseitig bringen Wet Leg sich zum Erstrahlen. Auch Jennifers Body erscheint mit vielen Effekten, sehr präsenten E-Gitarren, mischt jedoch den säuselnden Gesang von Rhian Teasdale mit ein und bringt die zwei Pole zusammen.
Von lauten und leisen Tönen
Diese dichten Titel wechseln sich ab mit ruhigen akustischen Klängen, die so rustikal daher kommen, dass sie teilweise sogar an Big Thief erinnern. Besonders Liquidize erscheint zart und intim und steckt voller ehrlicher Leidenschaft. Allgemein ist auch in den dichten Stücken der Klang sehr rudimentär. Als würde man in einem alten, holzvertäfelten Pub stehen, scheint das Album stellenweise wie ein Livemitschnitt, bei dem Raummikros den Klang eingefangen haben. Nur Teasdales Gesang liegt sacht über der instrumentalen Einheit. Dabei spielt sie mit ihrer Stimme auf unterschiedliche Arten: summt, tänzelt oder verfällt in einen ausdrucksstarken Sprechgesang. Trotz der bisweilen kantigeren Untermalung bleibt ihre Stimme stets weich und trotzdem nicht minder aufgekratzt oder aufmüpfig.
Von großen Liebesliedern
Teasdale ist mehr und mehr an die Spitze der Band gerückt, steht mittlerweile mit einer ausgefeilten Bühnenpersona hinterm Mikro: mit herausforderndem Blick, manischem Grinsen und in Outfits, die verschiedene Kampfsportästhetiken vereinen und kein bisschen mehr an die wallenden Rüschenkleider früherer Tage erinnern. „Ich glaube, jeder baut eine Fassade auf, wie ein anderes Ich für die Arbeit. Das gilt nicht nur für Künstler, denn egal, welchen Beruf man ausübt, man muss immer irgendeine Art von Leistung erbringen, um in der höflichen Gesellschaft zu bestehen“, erklärt die Frontfrau. Entgegen diesem Wechsel von Rüschen zu Schulterpolstern sind die Texte auf Moisturizer deutlich gezähmter und es handelt sich bei den meisten Songs um lupenreine Lovesongs. Allen voran die liebliche softe Ballade davina mccall und der Pond Song, in dem Wet Leg geschlossen und entbrannt „DEEP! IN! LOVE!!!“ schreien. Der Opener CPR hingegen nähert sich derselben ohrenbetäubenden Verliebtheit mit einem nihilistischen Ansatz und scheint ganz fokussiert auf die Abhängigkeit und Verletzlichkeit, die die große Liebe mit sich bringt.
„Moisturizer ist wie eine verzweifelte, fantastische Liebe, und CPR ist wahrscheinlich am unangenehmsten“, sagt Teasdale. „Und mit dieser Unbehaglichkeit kommt auch ein bisschen Verletzlichkeit. Es ist zwar ein bisschen peinlich, aber ich denke, es wäre schlimmer, sich hinter Klischees zu verstecken. Diese Songs enthalten eine Menge Klischees, aber es sind meine persönlichen Klischees.“ Trotz dessen haben Wet Leg nichts von ihrem Witz oder ihren Kanten verloren. Gemeinsam haben die fünf Musiker:innen die Klangwelt erweitert, angebaut, die Charakteristika aber dabei nicht aus dem Blick verloren. Moisturizer zeigt, wie man sich weiterentwickelt, ohne den klanglichen Kern zu verlieren, wie man klischeevolle Lovesongs am Band raushaut, ohne trivial zu werden und wie man erwachsen(er) werden kann, ohne den frechen Humor zu verlieren.