von Christof Leim
Hier könnt ihr euch Toto IV anhören:
1981 stehen Toto mit dem Rücken zur Wand. Die kalifornische Band hatte zwar 1978 mit ihrem gleichnamigen Debüt für Wirbel gesorgt, nicht zuletzt dank des Klassikers Hold The Line. Doch die beiden Nachfolger Hydra (1979) und Turn Back (1981) verspielen wegen stilistischer und klanglicher Ausflüge viele Sympathien. Deshalb muss die Plattenfirma deutlich werden: Entweder gibt’s jetzt einen Hit, oder die Herrschaften mögen sich bitte nach neuen Jobs umsehen. Doch davon lassen sich gestandene Profis nicht bange machen: Die Mannschaft um Keyboarder David Paich und Gitarrist Steve Lukather, allesamt exzellente Musiker, kennt sich größtenteils schon aus der Schulzeit und hatte als Auftragsmusiker auf Hunderten Platten gespielt, etwa für Aretha Franklin, Elton John, Cher und Alice Cooper.
Profis bei der Arbeit
Für das vierte Werk ihrer eigenen Band ziehen sie jetzt alle Register ihres Könnens. Sie besinnen sich auf die Stärken ihres Debüts, verbinden melodische Rockmusik mit Spurenelementen aus Pop, Jazz, R&B und Funk, was nicht sofort auffällt, aber den Liedern Tiefe und Farbe verleiht. Gleich vier Mitglieder wechseln sich bei den Leadvocals ab, dazu gibt es mehrstimmige Chöre und Ohrwurmrefrains, dass es nur eine Art hat. Toto arbeiten über mehrere Monate in vier verschiedenen Studios in Kalifornien und London und nutzen dort alle Möglichkeiten, die Technik der frühen Achtziger hergibt, schalten etwa gleich mehrere Aufnahmemaschinen zusammen.
Haben 1982 allen Grund für gute Laune: Toto in ihrer Urbesetzung
Heraus kommen 42 Minuten an schöner, toll gespielter Musik – eingängig statt kantig, perfekt arrangiert statt experimentell, wohlklingend statt avantgardistisch. Manchmal klingen Toto fast ein bisschen zu sanft, wilde Jugendkultur kann man das Werk jedenfalls nicht nennen, „AOR“ oder „Adult-Oriented Rock“ trifft es schon ganz gut. Neue Sphären der Populärmusik entdecken die Herren damit ebenfalls nicht, sie machen es nur vielleicht ein bisschen besser als die anderen.
Frau Arquette oder nicht?
Das hört man schon in der ersten Single Rosanna mit ihrem markanten Drumgroove, der heute noch in Schlagzeugschulen als „Rosanna-Shuffle“ gelehrt wird. Seit Erscheinen geistert die Geschichte durch die Welt, das Stück besinge die Schauspielerin Rosanna Arquette, die 1985 mit dem Film Susan … verzweifelt gesucht berühmt wurde (weitere Hauptrolle: Madonna). Die Verbindung liegt auf der Hand, ist Arquette doch zu Zeiten der Aufnahmen mit dem zweiten Toto-Keyboarder Steve Porcaro liiert. Band und Schauspielerin spielen auch bereitwillig mit, wenn diese Anekdote zum Song bei Fans und Medien die Runde macht. „Das kommt wohl daher, dass ich den Jungs morgens um vier Bier und Saft ins Studio gebracht habe“, wird die reale Rosanna zitiert.
Allerdings stimmt das so nicht, wie Komponist David Paich später erklärt: „Rosanna“ sei inspiriert von gleich mehreren Frauen, die er kenne, der Vorname habe schlicht gut gepasst. In den folgenden Jahren gibt es sogar ab und an kleine Sticheleien zwischen Frau Arquette und den Herren von Toto, was die geistige Patenschaft für den Text angeht. Dem Erfolg der Nummer tut das natürlich keinen Abbruch, im Gegenteil: Rosanna belegt Platz zwei in den USA (hinter Eye Of The Tiger) und gehört heute nicht nur auf jede Toto-Setlist, sondern auch in jedes klassische Pop-Rock-Radioprogramm.
Regen und Landschaften
Der zweite signifikante Song von Toto IV steht ganz am Ende der Platte und schlägt noch größere Wellen: Africa. Die Grundidee stammt erneut von David Peach, den eine nächtliche Fernsehdokumentation über den Kontinent Afrika und das mitunter schwere Leben dort schwer beeindruckt hatte. Als er irgendwann mit einem neuen Keyboard herumspielt und auf den charakteristischen bläserartigen Sound des Liedes stößt, fallen ihm Melodie und Text für den Refrain in zehn Minuten ein – zu seiner eigenen Überraschung, wie er später gesteht. „Als hätte Gott seine Hand im Spiel gehabt. Ich bin ja talentiert, aber nicht so talentiert.“
Bis das Lied allerdings in seiner jetzigen Form steht, vergehen bei den Aufnahmen noch einige Monate; Steve Porcaro etwa steuert die traditionell afrikanisch klingenden Sounds von Marimba und Kalimba bei. Weil David Paich allerdings selbst noch nie einen Fuß auf den Kontinent gesetzt hatte, bedient er sich für den Rest des Textes seiner Fantasie und erinnert sich an ehemalige Lehrer, die dort als Missionare tätig gewesen waren. Deshalb singen Toto unkonkret, aber durchaus stimmungsvoll über weite Landschaften und Sonnenuntergängen, streuen ein paar Ortsbezeichnungen ein („Serengeti“, „Kilimandscharo“) und verstecken irgendwo noch eine vage Liebesgeschichte. Für gute Popmusik reicht das, wenn man mal ehrlich ist, für einen ersten Platz in den US-Charts ebenso (Nr. 14 in Deutschland). Mittlerweile gilt Africa als Kulthit, mal ernsthaft geliebt, mal ironisch, und über eine Milliarde mal beim Streamingdienst Spotify abgerufen. Im Radio, insbesondere in eher „zeitgeistfreien“ Programmen, läuft die Nummer ohnehin ständig. Sie wird unzählige Male nachgespielt oder gesampelt und taucht in TV-Shows wie Scrubs, South Park und Stranger Things auf.
Sogar in jüngeren Fankreisen und Alternative-Zirkeln taucht Africa auf, als die legendären Schrägrocker Weezer das durchaus kitschige Toto-Meisterstück neu auflegen. Inspiriert wurden sie dazu von einer Twitter-Nutzerin, die die Band zum Spaß immer wieder zum Covern der Nummer aufgerufen hatte. Weezer landen damit ihren ersten Hit seit fast einer Dekade, Toto revanchieren sich mit einem Cover des Weezer-Klassikers Hash Pipe.
Einmal abräumen, bitte
Der Rest des Album kann sich ebenso hören lassen, gleich fünf der zehn Lieder werden als Single ausgekoppelt, etwa Make Believe und Waiting For Your Love. Toto IV erscheint schließlich am 8. April 1982 und rauscht ebenfalls in die Top Five in den USA und schafft Rang 12 hierzulande. Die Platte wird zum weltweiten Hit und räumt in der Folge sagenhafte sechs Grammy-Auszeichnungen ab, unter anderem für „Album des Jahres“. Auf Tour gehen Toto allerdings nicht umgehend, denn sie müssen vorher noch auf einem anderen prägenden Werk der Ära mitspielen: Thriller von Michael Jackson, dem erfolgreichsten Album aller Zeiten. Die Kündigung hat die Plattenfirma jedenfalls nicht abgeschickt.
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