Sein infektiöser Pop-Punk ist eine Falle: Hinter den eingängigen, schmissigen Songs seines neuen Albums Yungblud stecken mehr als Zitate von My Chemical Romance, The Cure und David Bowie: Yungbluds Dritte ist ein flammendes Plädoyer für Individualismus und eine Kampfansage an toxische Männlichkeit, Homophobie und Patriarchat.
von Björn Springorum
Dominic Richard Harrison alias Yungblud ist gerade erst 25 geworden. Damit gehört er noch zur Generation Z, jener politisch wachen, engagierten und dennoch von vielen Älteren belächelten Generation. Für sie singt er, ihre Stimmen nimmt er in sich auf. Er setzt sich für marginalisierte Gruppen ein, hat bei seinen Konzerten Mental-Health-Support und ersetzt beim Cis-Mann-Ideal Stärke durch Sanftmut. Dazu macht er noch verdammt packende, griffige Rockmusik, die den Emo der frühen Zweitausender ebenso ehrt wie The Cure.
Viele Menschen unterdrücken ihre Gefühle. Als Junge bekommt man gesagt, dass man nicht weinen soll und stark sein muss. Dennoch trägst du dein Herz seit Jahren auf der Zunge. Wie hast du das geschafft?
Ich habe meine Gefühle sehr lange unterdrückt und ignoriert. Ich habe mir selbst nicht richtig zugehört und immer nur ein Bruchteil von dem gezeigt, was wirklich in mir vorgeht. Ich konnte niemandem in die Augen schauen, sonst wäre ich zusammengebrochen. Das geht vielen so, die ihre wahren Gefühle verbergen: Sie können dir nicht in die Augen sehen. Weil sie Angst haben, wirklich gesehen zu werden.
Was hat sich geändert?
Durch meine Musik habe ich langsam einen Weg gefunden, mich auszudrücken. Mich nicht mehr dafür schämen zu müssen, wie ich mich fühle. Ich weiß, dass das ein riesiges Glück ist, diese Möglichkeit gefunden zu haben. Von so vielen Menschen gehört zu werden. Aus dieser Quelle speist sich alles, was ich tue. Dieses Album ist ein Dankeschön an alle, die mich begleiten. Es zeigt, wer ich wirklich bin. Und wem ich das verdanke.
„Niemand hat das Recht dir zu sagen, wie du sein sollst.“
Wie ordnest du dein drittes Album Yungblud ein?
Mein erstes Album war ein Manifest wütender und naiver Jugend. Ich war außer Kontrolle, rasend, wollte ausbrechen. Ich war wie der Joker. Beim zweiten Album ließ ich alles los, ließ mich fallen und zeichnete dieses überlebensgroße Bild von mir. Es war aus Trotz gespeist und die Reaktion auf eine Welt, die mich verändern wollte. Es war ein Album für all jene, die mir sagten, dass ich als Junge keinen Rock tragen kann. Dass ich mich nicht schminken soll. Jetzt bin ich angekommen. Yungblud ist der Moment, wenn die Soße zu Sirup wird. Es ist meine Essenz, mein Herzschlag. Es ist pur, es ist voller Geist, es ist das Zeugnis der Verbindung zwischen mir und meinen Hörern. Nicht ich bin Yungblud, wir sind Yungblud.
Eine deiner zentralen Botschaften ist ja, dass Perfektion nichts wünschenswertes ist. Im Unperfekten liegt die wahre Schönheit, weil nur so Individualismus möglich ist. Zeigst du dich deswegen so ohne Filter und echt, damit es deine Hörer*innen auch können?
Genau, Mann! Ich habe die Schnauze gestrichen voll von Grenzen, von Konventionen, von Geschlechterrollen, von Konformität. Niemand hat das Recht dir zu sagen, wie du sein sollst. Konformität ist nichts andere als Kontrolle. Und da machen wir nicht mehr mit. Ich werde den Rest meines Lebens damit zubringen, für Individualismus zu kämpfen. Yungblud ist keine Musik, kein Punk, Pop oder sonst was. Es geht um diese Botschaft. Ich bin kein bockiger Junge, ich bin kein Rockstar, ich bin kein Typ in einem Rock: Wir sind ein Herzschlag. Wir sind eine Bewegung.
„Ich bin am besten, wenn ich mich gegen etwas auflehnen kann.“
Woher nimmst du deine Energie?
Ich bin am besten, wenn ich mich gegen etwas auflehnen kann. Wenn ich mich an etwas reiben kann, wenn ich gegen etwas kämpfen kann.
Wogegen hast du in letzter Zeit gekämpft?
Als meine letzte Platte Weird! in Großbritannien auf die Eins ging, änderte sich alles. Alles wurde größer, alles explodierte um mich herum. Was früher Subkultur war, floss urplötzlich in den Mainstream. Und traf dort auf Leute, die Yungblud nicht kannten und nicht verstanden. Ich fühlte mich erstmals Hass ausgesetzt. Das schockierte mich zutiefst, weil ich Jahre damit zugebracht hatte, eine Community aufzubauen, die nur auf Liebe basiert. Das brachte alles zum Wanken. Menschen sagten die fürchterlichsten Dinge über mich, das setzte mir unheimlich zu. Doch ich kehrte es um, lehnte mich dagegen auf – und schrieb dieses Album. In diesem Prozess lernte ich, dass jeder für sein eigenes Glück verantwortlich ist. Man darf niemandem die Schlüssel dazu geben. Ich habe gelernt, niemandem mehr das Privileg zu geben, mich seinetwegen unglücklich zu fühlen. Seither bin ich unantastbar.
Du bist die Stimme für Millionen junge Menschen ohne Stimme. Wie gehst du mit dieser Verantwortung um?
Das ist eine ganz wunderbare, kostbare Errungenschaft. Das Schönste für mich ist es, mein Publikum persönlich zu sehen. Ich nehme mir Zeit für sie, ich will wissen, was in ihnen vorgeht, ich will Ehrlichkeit. Ich hoffe, das unterscheidet mich von vielen anderen Künstlern. Klar sind das zunächst mal meine Songs, meine Geschichten. Aber danach gehören sie uns allen und ich möchte wissen, was ihr darüber denkt, wie ihr das seht und ob ihr ähnliche Erfahrungen gemacht habt. Yungblud geht um Freundschaft. Und nicht um die nächste Nummer Eins. Ich möchte meine Familie Stück für Stück vergrößern. Und wenn dabei eine wunderschöne Karriere wie die von David Bowie herauskommt, dann bin ich sehr glücklich.
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