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Foto: ullstein bild Dtl./Getty Images

Mehr als „Am Fenster“: 10 zeitlose Ostrock-Klassiker

Die Klassiker von City, Puhdys, Karat oder Silly kennt man ja. Selbst als Wessi. Heute wollen wir aber mal zehn Ostrock-Songs vorstellen, die weit weniger bekannt, aber mindestens ebenso hörenswert sind.
von Björn Springorum

Schon klar: Ostrock reicht bei weitem nicht aus, um die folgenden zehn Songs zu beschreiben. Der Sammelbegriff steht vielmehr für eine Stimmung, eine Gefühlslage, die diese Songs vereint. Zehnmal DDR-Musik, zehnmal ganz individuelle Auseinandersetzungen mit einer problematischen Heimat. Und vielleicht ist ja auch der eine oder andere Song dabei, den man noch nicht kannte oder nach langer Zeit wiederentdeckt...

1. 4 PS – Zweigroschenlied (1977)

4 PS sind ein kurzzeitiges Phänome, ein Flackern in der DDR-Musik. Sie entstehen aus Bruchstücken der im Streit auseinandergegangenen Gruppe Veronika Fischer & Band, machen in den späten Siebzigern als 4 PS Musik, ehe sie sich 1981 als Pankow neu gründen. In dieser kurzen Zeit veröffentlichen sie mit dem Zweigroschenlied eine wunderschöne Ballade, stark beeinflusst von den barocken Seiten der Beatles und klanglich wie in orchestrale Watte gepackt. Ein wunderschönes Lied, heute weitgehend unbekannt.

2. Holger Biege – Wenn der Abend kommt (1978)

1983 haut Holger Biege ab aus der DDR, bleibt ohne Ausreiseerlaubnis in West-Berlin und lässt sich dann in Hamburg nieder. Da hat er seiner ungeliebten Heimat mit Wenn der Abend kommt aber schon ein bezauberndes Soul-Album geschenkt – gekrönt von Sagte mal ein Dichter, einem Manifest für das Leben, in dem er sich ganz nebenbei für das Recht von Frauen ausspricht, eine Abtreibung vorzunehmen.

3. Feeling B – Ich such die DDR (1989)

1989 erscheint mit Hea Hoa Hoa Hea Hea Hoa das erste Album der Punk-Band Feeling B. Klar kennt man die vor allem wegen den späteren Rammstein-Größen Christian „Flake“ Lorenz und Paul Landers, doch Song wie Ich such die DDR wären auch ohne ihren gewaltigen Erfolg völlig zurecht Klassiker humoriger DDR-Anarchie: „Im Atlas fehlt ein Staat – Von einer ganz besondren Art – Ja, zwischen BRD und Polen – Da wurde ein Land gestohlen.“

4. Bettina Wegner – Kinder (1976)

Den Erfolg von Bettina Wegners bekanntestem Lied kann man kurz zusammenfassen: Selbst die große Joan Baez sang es und machte es zu einem international bekannten Song. Natürlich ist auch Bettina Wegner eine Kapazität, eine große, mutige Sängerin, die sich mit Staat und Staatssicherheit anlegt und irgendwann ausreist. Kinder ist ein melancholischer, bis heute nachhallender Triumph.

5. Lift – Nach Süden (1979)

Auch in der DDR ist Prog in den späten Siebzigern beliebt. Wer kann, hört die Alben von Pink Floyd oder Emerson, Lake And Palmer, wer noch mehr kann, spielt ähnliche Musik wie sie. Eher von der sakralen, monastischen Seite des Prog-Ufers kommen Lift aus Dresden. Deren zweites Album Meeresfahrt ist eine schwelgerische, wogende Reise, gipfelnd im sehnsüchtigen Nach Süden.

6. NO 55 – Kurzschluß (1987)

Supergroups gibt es überall. Auch in der DDR: NO 55 bestehen zwar nur einige Jahre, setzen sich aber aus Mitgliedern von City, Silly oder Monokel zusammen. Kurzschluß (sic) zeigt 1987 eine von vielen Facetten: Ein kurzer, prägnanter, punkig angehauchter Wave-Rock-Song mit Chuzpe. Benannt haben sich NO 55 nach einer historischen postalischen Bezeichnung des Prenzlauer Bergs, wo die Band einst ihr Zentrum hatte.

7. Wolf Biermann – Die hab ich satt!

Mit ihm allein könnte man freilich eine Top-Ten-Liste füllen. Nehmen wir als Stellvertreter für all die anderen wichtigen, wütenden, schäumenden, furiosen Songs einfach Die hab ich satt! vom lodernden Debüt Chausseestraße 131. „Und sagt mir mal: Wozu ist gut – Die ganze Bürokratenbrut? – Sie wälzt mit Eifer und Geschick – Dem Volke über das Genick – Der Weltgeschichte großes Rad – die hab ich satt!“, singt er fast schon geifernd. Nach einem Konzert in Köln 1976 wird er ausgebürgert – und ist bis heute politisch aktiv.

8. Hansi Biebl – Unter den Wolken (1978)

Hansi Biebl gehört zu den ganz Unangepassten: Seine Johannes Biebl Blues Band erhält schon 1975 ein Auftrittsverbot. Mit Band, solo oder als Teil von Veronika Fischer & Band prägt er die Ostmusik, Songs wie das wehmütige Unter den Wolken inszenieren ihn als großartigen, fast vergessenen Gitarristen.

9. Pankow – Langeweile (1988)

Pankow sind eine Ausnahmeerscheinung in der DDR. Sie gründen sich 1981, werden (meist recht unpassend) mit den Rolling Stones verglichen und sind laut Rolling Stone eine etablierte Größe „ästhetischer Subversion“. 1988 erscheint der Klassiker Aufruhr in den Augen, der schnoddrigen Straßenrock mit klarer Haltung verbindet: Das Lied Langeweile darf nicht im DDR-Radio gesendet werden.

10. Rockhaus – Mich zu lieben (1988)

Rockhaus sind Legende. Die Deutschrock-Band erinnert an Rio Reiser, prägt später auch die Neue Deutsche Welle mit und liefert schon 1983 mit Disco in der U-Bahn nach Ansicht des Musikwissenschaftlers Michael Rahut den ersten deutschen Hip-Hop-Song. 1988 ist man mit dem Album I.L.D. - und insbesondere mit der Faust-hoch-Ballade Mich zu lieben – dann wieder beim hymnischen Rock angekommen.

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