Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 1.9.1977.
von Christof Leim und Tom Küppers
Dass sich Rush mit ihrem am 1. September 1977 veröffentlichten fünften Album A Farewell To Kings künstlerisch so richtig freischwimmen, kann man erst heute mit mehr als vier Dekaden Abstand so richtig beurteilen. Aber das gilt für viele Aspekte in der Geschichte der Progressiv-Rocker: Größtenteils ihrer musikalischen Zeit voraus, stilistisch einzigartig und aufgrund der kollektiven handwerklichen Fähigkeiten oft zu Göttern verklärt, gehören die Kanadier zu den Bands, deren Wirken sich nicht immer auf Anhieb erschließt.
Hört hier in A Farewell To Kings rein:
Blicken wir zurück: Mit ihren ersten drei Alben Rush, Caress Of Steel und Fly By Night haben sich die Kanadier 1974 und 1975 zwar eine ordentliche Portion Fan-Anerkennung erspielt. Doch die lässt sich leider noch nicht in bare Münze umwandeln. Deshalb wird die Plattenfirma langsam unruhig und bittet die Band, doch mal zu überlegen, ob sie nicht vielleicht doch etwas leichter zugängliches Songmaterial produzieren können. Die Antwort von Bassist/Sänger Geddy Lee, Gitarrist Alex Lifeson und Schlagwerker Neil „The Professor“ Peart fällt mit dem 1976er-Geniestreich 2112 ziemlich eindeutig aus: „Ihr könnt uns mal gerne haben.“
Schon mit dem zwanzig Minuten langen und in mehrere Teile aufgespaltenen Titeltrack macht das Trio seine Haltung mehr als deutlich und riskiert auch den kommerziellen Exitus: „Wir hatten vor, uns mit einem Knall zu verabschieden und waren auch auf ein Ende vorbereitet“, kommentiert Lifeson mehrere Dekaden später in den Liner-Notes einer Neuauflage. Doch es kommt völlig anders: 2112 entpuppt sich als der Durchbruch, der fantastische Livemitschnitt All The World’s A Stage aus dem gleichen Jahr schlägt sich ebenfalls prächtig.
Rush werden zu Rockstars, was neben allerlei positiven Begleiterscheinungen auch weniger schöne Seiten mit sich bringt. Beispielsweise merken die Musiker schnell, das immer mehr Zeit für Dinge draufgeht, die nicht direkt etwas mit dem Musizieren zu tun haben, etwa Interviews und Fototermine. Auch das sonstige Leben funkt ständig dazwischen.. Deshalb scheidet für die nächste Platte die Option aus, erneut zu Hause in den Toronto Sound Studios aufzunehmen. „Wir wollten dahin, wo es weniger Ablenkungen gab“, kommentiert Geddy Lee später. Die Wahl fällt auf die Rockfield Studios in der Nähe des südwalisischen Dorfes gleichen Namens, Stammproduzent Terry Brown soll mit von der Partie sein. Der Vorteil dort: Es gibt tatsächlich keinerlei Möglichkeiten zur Abschweifung vom Wesentlichen.
Schaf statt Großstadt
Allerdings bringt so viel Landschaft um das Studio eine natürliche Geräuschkulisse, wie Gitarrist Alex Lifeson bestätigt. „Es war tatsächlich ruhig dort, was bei der Arbeit sehr geholfen hat – sieht man mal von dem permanenten Blöken der Schafe ab.“ Geddy Lee gibt sogar zu verstehen, er sei überrascht, dass keine Schafe auf dem Album gelandet sind. Damit spielt er auf die akustischen Passagen der Platte an (etwa in Closer To The Heart oder Xanadu), die tatsächlich im Innenhof des Studios unter freiem Himmel aufgenommen werden. Die im Intro des Titelsongs zu vernehmenden Vogelstimmen sind demnach echt.
A Farewell To Kings erscheint am 1. September 1977. Musikalisch öffnen sich Rush darauf mehr denn je Keyboards und Synthesizern, was ihnen eine neue tonale Welt eröffnet. Geddy Lee erläutert: „Wir haben unerforschtes Territorium betreten, was für uns ein so wichtiger Schritt war, dass wir diesen Pfad eigentlich nicht mehr verlassen haben.“
Das Cover zur Hitsingle „Closer To The Heart“ mit dem klassischen „Starman“Mit dem seit damals auf fast allen Konzerten gespielten Closer To The Heart kann das Trio sogar seine erste Hitsingle verbuchen. Im Zentrum des Albums stehen allerdings die beiden über zehn Minuten langen Epen Xanadu und Cygnus X-1 Book I: The Voyage. Die Geschichte des letzteren wird sogar auf späteren Werken noch fortgeführt.
Wird es noch besser?
Bent Sæther von den norwegischen Rockern Motorpsycho beschreibt die Nummer später besonders schön: „Ein zehn Minuten langer Hirnfilm über ein Raumschiff, das in ein schwarzes Loch fliegt? Und dann noch mit angekündigter Fortsetzung? Besser wird es nicht mehr! Das ging mir mit fünfzehn so, und es hat sich auch nicht geändert.“
Was man von unseren Protagonisten nicht behaupten kann, denn die haben im Laufe ihrer über vierzig Jahre währenden Laufbahn immer wieder mit neuen Einflüssen und Ideen experimentiert. A Farewell To Kings stellt dabei einen wichtigen Wendepunkt in der Rush-Geschichte dar.
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