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Foto: Universal Music

Zeitsprung: Am 10.9.1963 überlassen die Beatles den Rolling Stones einen Song.

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 10.9.1963.

von Christof Leim und Tom Küppers
Konkurrenzkampf? Von wegen. Am 10. September 1963 überlassen die Beatles den Rolling Stones ihren Song „I Wanna Be Your Man“ und ermöglichen den Kollegen damit den nächsten Schritt.

Die Beatles und die Rolling Stones: Zwei der legendärsten Pop- und Rock-Formationen aller Zeiten, die sich zumindest in den Anfängen ihrer Karrieren nicht unterschiedlicher hätten positionieren können. Auf der einen Seite stehen die „Fab Four“ aus Liverpool, die in ihren Anzügen beinahe als Schwiegermutters Lieblinge durchgehen. Auf der anderen gibt es die wilden Jungs aus London um Mick Jagger und Keith Richards, die sich einen Dreck um uniformiertes Auftreten und generell um ordentliches Benehmen scheren. Hinter den Kulissen mag das anders ausgesehen haben, doch dieser Kontrast im Image bedeutet natürlich auch für die Presse ein gefundenes Fressen. Zu den einen lauten die Schlagzeilen: „Wer ist euer Lieblings-Beatle?“, bei den anderen fragt man: Würden Sie ihre Tochter einen Rolling Stone heiraten lassen?".

Der feine Unterschied

Die Frage „Beatles oder Stones“ wird damals medial hochgekocht, unter Fans kommt es Anfang der Sechziger immer wieder zu erhitzten Debatten. Der legendäre Impresario Andrew Loog Oldham hat für beide Bands gearbeitet und gesteht Jahrzehnte später in einem Interview: „Die Beatles sahen so aus, als ob sie im Showgeschäft seien. Das war wichtig. Genau so entscheidend war aber auch, dass die Rolling Stones eben nicht so aussahen.“

Sind sie nicht nett? McCartney und Lennon im Pilzkopf-Look

Die Protagonisten selbst versuchen sich jeglichen Kommentaren so gut es geht zu verweigern, denn hinter den Kulissen sieht es schon ganz früh ganz anders aus. Keith Richards erklärt in einer Episode seiner Webserie Ask Keith, sehr gut mit Lennon befreundet gewesen zu sein. „Da sind Geschichten passiert, die man keinem erzählen sollte“, erklärt er lachend und führt aus, woher sich die beiden Bands kennen: Kurz nach dem die Beatles mit ihrer Debütsingle Love Me Do einen Volltreffer landen, schauen sie sich die aufstrebenden Kollegen von den Rolling Stones bei einem Auftritt im Crawdaddy Club in Richmond an.

Kreativer Besuch

Am 10. September 1963 leisten die Beatles den Kollegen dann ganz selbstverständlich Starthilfe, indem sie den Rolling Stones ihr Stück I Wanna Be Your Man überlassen. Damals brauchen die nämlich dringend eine neue Single, weil ihr Debüt Come On, ein Chuck Berry-Cover, auf Platz 21 der britischen Charts versauert ist. Es existieren unterschiedliche Versionen der Geschichte: Nach einer laufen John Lennon und Paul McCartney an dem Tag in London zufällig Stones-Manager Andrew Oldham über den Weg, der sie zu einer Stones-Probe einlädt. Dort sollen die beiden Beatles-Jungs den Song fertiggestellt und den Kollegen angeboten haben. Das wiederum hat das Jagger und Richards inspiriert, selber verstärkt eigene Lieder zu schreiben.

Mick Jagger erinnert sich in einem 1968 veröffentlichtem Interview ähnlich: „Wir haben gerade geprobt, als Andrew, John und Paul hereinkamen. Dann haben beiden von einem tollen Song erzählt. Den haben wir gespielt, es klang ziemlich kommerziell, genau das, was wir gesucht hatten. Also haben wir die Nummer so aufgenommen, wie es Elmore James oder solche Leute getan hätten.“ McCartney kommentiert das 2016 in einem Gespräch mit dem Rolling Stone: „Wir waren befreundet, und ich dachte mir, das der Song gut zu ihnen passen würde. Ich wusste ja, dass sie Bo-Diddley-Zeugs drauf haben. Und sie haben das recht gut hingekriegt.“ Die Single erscheint am 1. November 1963, und tatsächlich schlägt sich dieser zweite Versuch deutlich besser als der erste. Wie so oft kommt es eben auf die richtige Mischung an.

Gesunde Kooperation unter Kumpels

Die Beatles veröffentlichen die Nummer ihrerseits am 22. November, also nur wenig später, auf dem Album With The Beatles. 1980 kommentiert John Lennon: „Das war ein Wegwerfstück. Es gibt nur zwei Versionen des Liedes, eine von Ringo, eine von den Rolling Stones. Das zeigt, das es für uns nicht so wichtig war. Wir würden ihnen ja nichts Großartiges schenken, oder?“ Geholfen hat es aber trotzdem und der Karriere der Stones einen signifikanten Anschub verliehen.

Zudem kooperieren die Bands hier nicht zum letzten Mal. Das liegt sogar ein bisschen nahe, weil sie beide zum Epizentrum der Swingin‘-London-Partyszene der wilden Sechziger zählen. So werden Veröffentlichungen so oft es geht abgesprochen, damit sich die beiden Gruppen nicht gegenseitig die Butter vom Brot nehmen beziehungsweise die Fans nicht die Qual der Wahl haben. Das plaudern Mitglieder beider Formationen immer wieder aus. Auch lässt man es sich nicht nehmen, auf den Aufnahmen der anderen mitzumischen. Lennon und McCartney hört man zum Beispiel im Chor der Stones-Single We Love You, Brian Jones spielt auf der Beatles-B-Seite You Know My Name (Look Up The Number) das Saxofon, während Jagger und Richards bei der Satellitenübertragung von All You Need Is Love im Publikum stehen. Im Gegenzug laden sie Lennon 1968 in ihren Rock’n’Roll Circus ein.

Natürlich rumpelt es auch mal im Gebälk wie vor ein paar Jahren, als Richards die Live-Qualitäten der Kollegen in Frage stellt. Doch grundsätzlich hat sich damals eine Freundschaft zwischen den beteiligten Musikern entwickelt, die mit Konkurrenzdenken nichts zu tun hat. Man soll eben nicht alles glauben, was so erzählt wird...