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Header Picture: Collage aus https://www.youtube.com/watch?v=CKrdsGdLVQ8

Zeitsprung: Am 13.4.2000 verklagen Metallica den Filesharing-Dienst Napster

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 13.4.2000."

von Christof Leim

Musik digital zu hören, ist für uns alle heutzutage normal. Gute Musik gibt es überall im Netz, mittlerweile auch stressfrei und legal. Das große Ding heißt „Streaming“, und kaum jemand zweifelt an, dass hier die Zukunft unseres Musikkonsums liegen wird. Außerdem gibt so ziemlich jeden Song als Download zu kaufen. Das ist einfach, war aber nicht immer so. Und deshalb gab es zur Jahrtausendwende Streit…

Hört hier den Song, der den Ball ins Rollen brachte:

Für die Jüngeren unter uns kommt deshalb hier ein bisschen Geschichte: Seit es Tonträger gibt, kopieren Fans ihre Lieblingsplatten. Die Älteren unter uns erinnern sich an Aufnahmesessions von Vinyl auf Kassette mit den Platten von den Kumpels. (Wer hier fragend guckt, darf gerne „Vinyl“ und „MC“ nachschlagen.) Erneute Kopien der Tapes versanken zusehends in muffigem Sound, also hatte die Verbreitung der Musik gewissermaßen eine natürliche Grenze. Man könnte es so sagen: Es war gar nicht möglich, alle coolen Platten abzugreifen und auf eine BASF CR-E II aufzunehmen, weil sich die Verfügbarkeit auf das unmittelbaren Umfeld (Schulhof, Kirchengemeinde, Motorradgang, Kegelclub) beschränkte. Und dann musste man auch noch selber an die Vinyl-Quelle rankommen, denn selbst das beste Iron-Maiden-Album macht als „seventh copy of a seventh copy“ von Kassette zu Kassette irgendwann keinen Spaß mehr…  

Grundlegend anders mit neuer Technik

Doch zur Jahrtausendwende sieht die Sache anders aus: Seit Mitte der Neunziger werden die Musikdateien mit der Erfindung des mp3-Formates klein genug, um sie unkompliziert durch das Netz zu bewegen und auf tragbaren Geräten abzuspielen. Mit den mp3s kommen auch Tauschbörsen im Internet auf, über die man weltweit, in kürzester Zeit und vor allem verlustfrei Dateien verschieben kann. Der allgemein benutzte Begriff „Tauschbörse“ oder „Filesharing-Dienst“ trifft hier den Kern der Sache allerdings nicht, denn genaugenommen werden die Songs (und Filme) nicht getauscht oder geteilt („shared“), sondern schlicht: kopiert.

Einer der prominentesten Dienste damals heißt Napster, ersonnen 1999 vom Studenten Shawn Fanning als peer-to-peer-Netzwerk und gestartet am 1. Juni 1999. Dass damit viele Fans nicht mehr für die Musik bezahlen und das vor allem allgemein als Kavaliersdelikt angesehen wird, hat bekanntermaßen ziemlich heftige Auswirkungen auf das Geschäft und die Bands selbst, deren Folgen immer noch zu spüren sind. Den allermeisten Musikern gefällt das nicht, Lemmy von Motörhead sagt in diesen Jahren zum Beispiel: „Diebstahl ist Diebstahl, fertig.“ Doch nur Metallica unternehmen tatsächlich etwas, nachdem sie wegen wild wuchernder Kopien ihres Songs I Disappear auf das Problem aufmerksam werden: Am 13. April 2000 verklagen sie als erste Band die Firma Napster, Inc. wegen Copyrightverletzungen.

Und dann wird es kompliziert

Damit hat sich die Angelegenheit natürlich nicht erledigt: Über die moralischen und juristischen Implikationen von Filesharing wird damals zu Recht viel diskutiert, doch die allgemeine Meinung Anfang lautet: „Ach was, halb so wild.“ Napster selbst argumentiert, nur einen Service bereitzustellen und selbst keinen Rechtsverletzungen zu begehen. (In den AGB der Firma steht übrigens, dass die Napster-Software urheberrechtlich geschützt ist und nicht kopiert werden darf.) Metallica sind deshalb juristisch gezwungen, gegen einzelne User vorzugehen, was natürlich ziemlich unschön aussieht. Am 11. Juli 2000 erklärt Drummer Lars Ulrich seine Sicht der Dinge sogar vor dem US-Senat. Er führt unter anderem das Argument an, dass seine Band kein Problem habe mit neuen Vertriebswegen für Musik, aber in diesem Fall schlicht und ergreifend nicht gefragt wurde. Was ja stimmt.

Die meisten Fans finden das Vorgehen von Metallica natürlich völlig uncool. Man darf hier mit Fug und Recht behaupten, dass es den wenigsten um irgendwelche gesetzgeberischen oder ethischen Feinheiten geht – sie wollen einfach ihr neues Spielzeug nicht verlieren, zumal Napster wegen dieses Verfahrens und einer ähnlichen Klage der Recording Industry Association of America (RIAA) wenige Monate vorher massiv an Popularität gewonnen hat.

Sieht nicht gut aus

Die Außenwirkung für die Band fällt katastrophal aus: Viele User werfen den Musikern (und der ganzen Branche) reine Geldmacherei vor. Das hat zwar in juristischer oder moralischer Hinsicht bei Content-Klau genaugenommen keine Relevanz, führt aber zu einer Welle der Antipathie gegenüber der Band und speziell gegenüber Lars Ulrich. Ein Beispiel dafür sind die amüsanten Zeichentrick-Videos von Camp Chaos („Beer good! Napster bad!“). Selbst Lars Ulrich gibt Jahre später zu, dass Metallica die Angelegenheit hinsichtlich der Wirkung in der Öffentlichkeit nicht optimal gehandhabt habe. Man darf hier durchaus den Begriff "PR-Desaster" bemühen. Was an der Sachlage aber nichts ändert.

In der Folge schließen sich etliche Bands, Künstler und Künstlerinnen dem Widerstand gegen Filesharing-Dienste an, etwa der HipHop-Gigant Dr. Dre. Es gibt jedoch auch andere Bands, die das Problem nicht sehen, sich zu allererst nicht unbeliebt machen wollen oder vor allem den Promotion-Effekt der Plattform schätzen: Limp Bizkit und Cypress Hill etwa lassen sich von Napster sogar eine Tour mit Gratiskonzerten bezahlen. Auch entdecken Studien, dass Nutzer, die auf Napster Files kostenlos runterladen, mehr Geld für mehr Musik ausgeben. Chuck D von Public Enemy argumentiert, dass es wegen Napster & Co. „in zwei Jahren eine Million (neue) Künstler und Labels geben wird“.

Und sie dreht sich doch...

Schlussendlich stellt sich in der folgenden Dekade aber heraus, dass Filesharing und Piraterie einen verheerenden Effekt auf die Branche, die Kreativen und damit auf die Musikkultur haben. Vereinfacht ausgedrückt: Viele kleine Gruppen, Labels und Magazine verlieren ihre Geschäftsgrundlage. Das merken die Fans: Bands machen ihre Musik nur noch nebenbei und müssen vor allem Merch verkaufen und touren wie die Wahnsinnigen, um aktiv bleiben zu können. Mit anderen Worten: Metallica hatten Recht.

An dieser Stelle muss man definitiv anmerken, dass die Musikindustrie falsch auf die neuen Gegebenheiten reagiert hat. Statt zu versuchen, die Digitalisierung einzudämmen, hätte sie schneller neue darauf basierende Vertriebsmodelle entwickeln sollen. Dass das funktionieren kann, zeigen die (zumindest für die Labels) steigenden Umsätze durch Streaming und der resultierende Rückgang an Piraterie. Aber das ist eine andere Geschichte. Für einen Überblick empfehlen wir diese Reportage der New York Times von 2014. Die Klage von Metallica (und anderen) jedenfalls hat Erfolg: Napster muss im Juli 2001 das gesamte Netzwerk abschalten.

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