Zeitsprung: Am 19.12.2013 verzichten Def Leppard darauf, One Direction zu verklagen
popkultur18.12.23
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 19.12.2013.
von Christof Leim
Im Dezember 2013 geht eine (kleine) Welle der Entrüstung durch die Musikwelt: Haben One Direction bei Def Leppard geklaut? Angeblich wetzen deren Anwälte schon die Messer, doch die Band bleibt cool…
Hört hier das großartige Hysteria von Def Leppard:
Damals stellt die Musikwelt sich folgende Frage: Klingt Midnight Memories von One Direction wie Pour Some Sugar On Me von Def Leppard? Und mancher Rocker fragt noch hinterher: Wer zum Ozzy sind One Direction? Das könnten Abertausende junger, vor allem weiblicher Fans schnell beantworten: Bei One Direction – oder „1D“ für die Eingeweihten – handelt es sich um eine englisch-irische Pop-Dance-Rock-Band aus schmucken jungen Männern, die Fantastillionen Alben verkaufen und die sozialen Medien dominieren. Alle vier ihrer Alben debütierten auf Platz eins der US-Charts. Eine vernachlässigbare kleine Quatschcombo ist das also nicht.
Im November 2013 erscheint unter großem Hurra ihre dritte Scheibe Midnight Memories, schlägt Wellen bei der Fanschar und wird vom Rest der Welt nicht groß beachtet. Etliche Kritiker und Zuhörer (diejenigen über 30 vermutlich) bemerken allerdings eine frappierende Ähnlichkeit zwischen dem Titeltrack und dem Def Leppard-Gassenhauer vom Megaalbum Hysteria (1987). Neben dem Arrangement der Strophe geht es vor allem um den griffigen Fäuste-in-die-Luft-Chorus mit drei markanten Akkorden der Brettgitarre.
Hört es euch an. Wir haben sogar schon „vorgespult“, ihr müsst nur auf die Videos klicken. (Und der Clip von One Direction ist sogar ganz lustig.)
Das britische Boulevardblatt Daily Mirror berichtet Anfang Dezember 2013, die Anwälte der Hard-Rocker bereiteten schon eine saftige Klage vor. Schließlich geht es potenziell um viel, viel Geld, das die Komponisten und Texter hier einstreichen. Urheber von Midnight Memories sind die One Direction-Bandmitglieder Liam Payne und Louis Tomlinson sowie ein britischer Songwriter und die beiden Produzenten der Platte. Als dann noch jemand entdeckt, dass von letzteren einer seine Playlisten voll mit Def Leppard-Songs packt, wirkt das umso verdächtiger.
Der Daily Mirror zitiert weiterhin eine anonyme Quelle aus dem Umwelt von Def Leppard: „Musikanwälte überprüfen routinemäßig Hits wie diese, um herauszufinden, ob eine Band die Werke ihrer Klienten kopiert. Momentan halten sich alle Beteiligten bedeckt, aber es liegt auf der Hand, dass die Lieder ähnlich klingen. Das reichte den Beratern von Def Leppard schon, ihre Juristen einzuschalten.“ Diese Meldung macht natürlich die Runde und wird zum Beispiel von Magazinen wie Time und People aufgegriffen.
Doch Def Leppard bleiben cool. Am 19. Dezember 2013 vermeldet das renommierte Billboard-Magazin, die Band habe gar nicht vor, irgendwelche rechtlichen Schritte zu unternehmen. So bezeichnet Gitarrist Phil Collen die beiden Stücke zwar als „sehr ähnlich in ihrer Struktur“, aber mehr auch nicht. Sein Kollege Vivian Campbell ergänzt: „Das sind die Akkorde des Blues, einfacher geht’s nicht. Was viel mehr an Def Leppard erinnert, sind die Produktion, der Klang, die Gesänge und wie das alles zusammengesetzt wurde. Es schmeichelt uns natürlich, dass diese Kids das auf einmal für einen coolen Sound halten. Ich glaube, nicht viele Leute ihrer Generation würden die Musik von One Direction mit unserer verbinden.“ Drummer Rick Allen kommentiert auf einer US-Klatschseite sogar: „Würden wir sie verklagen, würden sich womöglich Hunderte anderer Bands bei uns melden. Es stand gar nicht zur Debatte, da etwas zu übernehmen. Wir sehen das eher als Kompliment.“
Def Leppard zu Zeiten von „Hysteria“Mit alldem haben Def Leppard auch vollkommen Recht. Midnight Memories greift zweifelsohne den Stil von Pour Some Sugar On Me auf, aber das eigentliche Motiv im Chorus erklingt schon seit Anbeginn der Zeit – oder der Rockmusik – in vielen guten und schlechten Songs. Musiktheoretisch gesprochen (keine Angst, ist gleich vorbei) bildet die Kadenz I-IV-V oder Tonika-Subdominante-Dominante die grundlegendste aller Akkordfolgen. Im fraglichen Refrain spielen Def Leppard die Akkorde E-A-H, One Direction genau das Gleiche, nur mit einer minimal anderen Rhythmik und einem Lauf am Ende.
Nur kennen wir alle mehrere Dutzend Rocksongs mit eben diesen Tönen. Beispiele gefällig? Bitte schön, ebenfalls bereits „vorgespult“: Here I Go Again von Whitesnake, I Love Rock’n’Roll von Joan Jett oder Read My Body von Kiss sowie die tausendfach kopierten Wild Thing von The Troggs und Louie Louie von The Kingsmen. Der vom Daily Mirror provozierte mediale Aufruhr um das vermeintliche Def Lep/1D-Plagiat wirkt also etwas überzogen.
Interessanterweise stehen One Direction allerdings nicht zum ersten Mal unter Verdacht: Ihre Single Best Song Ever gleicht an manchen Stellen auffällig dem Klassiker Baba O’Riley von The Who. Vergleicht mal das hier mit dem hier. Konsequenzen wollte The Who-Gitarrist Pete Townsend jedoch ebenfalls nicht ziehen: „Das sind die gleichen drei Akkorde, die wir in der Popmusik alle benutzen seit Buddy Holly, Eddie Cochran und Chuck Berry bewiesen haben, dass man keine abgefahrenen Töne für großartige Musik braucht – zumindest nicht immer.“
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