Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 21.8.2003.
von Christof Leim und Tom Küppers
Er hat gelebt und geliebt, gesungen und geklagt, er war die Stimme, die der Country-Musik gegen Ende des letzten Jahrhunderts ein unerwartetes globales Comeback ermöglichte: Johnny Cash. Seine bewegende Karriere wurde ausführlich dokumentiert, unter anderem in der sehenswerten Filmbiografie Walk The Line. Doch diese Darstellung endet mit dem Heiratsantrag an seine geliebte June Carter Cash Ende der Sechziger. Was danach geschieht, ist fast genauso spannend.
Tauche mit unserer Playlist in Johnny Cashs Spätwerk ein:
In den Siebzigern stilisiert sich Cash zum „Man in Black“, einem Outlaw, der das Schicksal der „Armen und Unterdrückten“ anprangert, „der Gefängnisinsassen, die ihre Buße längst getan haben“ und ähnlicher Außenseiter. Doch kommerzielle Erfolge wie Ring Of Fire von 1963 bleiben aus. In der Folgezeit pendelt Cash zwischen dem Dasein als Familienvater, christlichem Glauben und Drogensucht hin und her und wird musikalisch immer irrelevanter. Nach fast 30 Jahren Zusammenarbeit überwirft er sich zudem mit seinem Label und gleitet weiter in die künstlerische Bedeutungslosigkeit ab.
Harte Jahre
Erst in den Neunzigern findet Johnny Cash wieder in die Spur, sowohl künstlerisch als auch persönlich. Eine neue Musikgeneration entdeckt das Schaffen der Country-Ikone, etwa die Iren U2, die ihm 1993 mit The Wanderer den abschließenden Track ihres Zooropa-Albums auf den Leib schneidern. Speziell aus der alternativen Rockszene erhält Cash jede Menge unerwartete Zuneigung, bei seinen Clubshows stehen Hardcore-Recken vom Schlage eines Henry Rollins im Publikum neben Americana-Helden wie Dwight Yoakam. Seine Tochter Roseanne Carter meint später: „Mein Vater empfand eine echte Verbindung zu diesen Leuten und fühlte sich wertgeschätzt.“
Cash und Rick Rubin im StudioRick Rubin gilt als einer der Produzentengurus dieser neuen Generation. Mit den Red Hot Chili Peppers und den Beastie Boys hat er bahnbrechende Werke aufgenommen, die auch auf kommerzieller Ebene voll durchstarten. Er bietet Cash nicht bloß einen neuen Vertrag an, sondern möchte dazu die Produktion übernehmen. Schon die erste Zusammenarbeit schlägt ein wie eine Bombe: Für American Recordings (1994) setzt Rubin sehr zur Freude des Künstlers auf einen reduzierten Ansatz und nimmt Cash direkt in dessen Wohnzimmer auf, wo er sich selbst auf der Akustikgitarre begleitet.
Damit gelingt Cash ein spektakuläres Comeback, das er in den kommenden Jahren mit mehreren Alben fortsetzt. Für die zweite Platte unter Rubins Ägide namens Unchained (1996) rekrutiert er Tom Petty & The Heartbreakers als Begleitband, auf American IV: The Man Comes Around (2002) brilliert Cash mit Neuinterpretationen moderner Songs wie dem Depeche Mode-Hit Personal Jesus und dem unfassbar intensiven Hurt von den Nine Inch Nails.
Nicht gesund
Der Erfolg dieser Schaffensperiode lässt anfangs sogar Cashs gesundheitliche Probleme in den Hintergrund treten. Doch eine Erkrankung des Nervensystems gepaart mit Diabetes und Lungenentzündungen steckt selbst der „Man in Black“ mit über sechzig Jahren nicht mehr so einfach weg, mal ganz abgesehen vom jahrelang durch diverse Rauschmittel am eigenen Körper betriebenen Raubbau. Im Mai 2003 verstirbt dann seine geliebte Frau June, die ihm aber vorher noch das Versprechen abnimmt, weiter Musik zu machen. Daraufhin stürzt sich Cash in die Arbeit und spielt, vom Verlust schwer gezeichnet, in den folgenden vier Monaten 60 Titel ein.
Am 21. August 2003 nimmt Johnny Cash dann zum letzten Mal neue Musik auf. Seine finalen Aufnahmen bestehen aus Like The 309, welches auf dem posthum veröffentlichten Album American V: A Hundred Highways (2006) erscheint, sowie einer neuen Version des Country-Klassikers Engine 143. Man hört Cash deutlich an, wie schlecht es zu diesem Zeitpunkt schon um ihn steht. Genauso spürt man aber den unermüdlichen Kampfgeist, mit dem er sich zeitlebens gegen seine Dämonen gewehrt und um die Liebe gekämpft hat.
Nur wenige Wochen später, am frühen Morgen des 12. September 2003, folgt Johnny Cash im Alter von 71 Jahren seiner Gattin auf die andere Seite. Selbst medizinische Fachpublikationen befassen sich mit diesem Ereignis und kommen zu der Schlussfolgerung, er sei an gebrochenem Herzen gestorben. Irgendwie ein trauriger, aber auch merkwürdig schöner Gedanke…
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