Zeitsprung: Am 12.9.2003 stirbt Country-Legende Johnny Cash im Alter von 71 Jahren.
popkultur12.09.23
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 12.9.2003.
von Timon Menge und Christof Leim
Johnny Cash ist der bekannteste Country-Musiker aller Zeiten. Er steht für die raue, unbequeme Seite des Genres, die sich für die Botschaft der Songs interessiert, nicht für Verkaufszahlen. Am 12. September 2003 stirbt er an den Folgen einer schweren Diabetes. Ein Rückblick auf eine Legende.
Tauche mit unserer Playlist in Johnny Cashs Spätwerk ein:
Johnny Cash kommt am 26. Februar 1932 in Kingsland, Arkansas zur Welt. Er wächst während der Großen Depression auf — ein Umstand, der seine Kindheit maßgeblich beeinflusst. 1944 verliert er seinen Bruder Jack bei einem tragischen Unfall in einer Sägemühle, ebenso entdeckt er die Gitarre für sich, lernt das Gesangsbuch seiner Mutter auswendig und spielt erste Folksongs nach. Seine Jugend führt ihn nach Deutschland, wo er als Soldat der Air Force stationiert ist, seine erste eigene Gitarre kauft und mit Freunden zum Zeitvertreib die Band Landsberg Barbarians gründet. Während dieser Zeit soll er auch als Funker die Geheimnachricht vom Tod Stalins aufgespürt haben (mehr dazu hier).
Dieses Promofoto wird 1955 für Sun Records produziert.Die frühen Jahre
1954, mit 22 Jahren, heiratet er seine erste Frau Vivian Liberto und zieht mit ihr nach Memphis. Dort lernt er die Tennessee Two kennen, zwei Musiker, die ihn lange begleiten sollten: Luther Perkins (Gitarre) und Marshall Grant (Bass). Mit ihnen spielt er seine ersten Aufnahmen ein, und zwar für Sun Records von Sam Philipps, wo auch Elvis Presley seine ersten Gehversuche unternimmt. Wie die Anfangsphase weitergeht und zu ungeahntem Erfolg führt, zeigt sehr schön die gelungene Filmbiografie I Walk The Line von 2005. Zu seinen größten Erfolgen gehört der Song Ring Of Fire von 1963.
Der Ruhm als Musiker fördert Cashs Schwäche zutage: Pillen, egal, ob beruhigend oder aufputschend. Mitte der Sechziger ist Johnny Cash ein Wrack. Seine Karriere gerät ins Stocken, er leidet unter schweren Depressionen und gerät mit dem Gesetz aneinander. Die Drogen sind es auch, die seiner Ehe mit Vivian zum Verhängnis werden. Nach einer Überdosis und einem Autounfall reicht sie 1968 die Scheidung ein, was Cash in noch größere Depressionen stürzt. Der Lichtblick folgt auf dem Fuße: Noch im selben Jahr heiratet Cash die Liebe seines Lebens, June Carter Cash, die ihm dabei hilft, clean zu werden.
Johnny und seine geliebte June - Pic: Joel Baldwin
Der 13. Januar 1968 entpuppt sich als Schicksalstag für Cash: An jenem Datum spielt er sein legendäres Konzert im Folsom Prison, einem Hochsicherheitsgefängnis — ein Auftritt, der ihm endgültig das Image des Advokaten der Benachteiligten verschafft und für einen kräftigen Karriereschub sorgt. Um 9:40 Uhr betritt er die Bühne, und die 1000 Häftlinge vor der Bühne bejubeln ihn schon für die schlichten Begrüßungsworte „Hello, I’m Johnny Cash“. Das Livealbum, das in den folgenden 70 Minuten entsteht, wird zu einem wichtigen Meilenstein in der wechselhaften Karriere der Country-Legende.
1971 erscheint der Cash-Klassiker A Man In Black: Ein Album für die Unterdrückten und Unterprivilegierten. Cash gerät zwischen die Fronten: Konservative werfen ihm mangelnden Respekt gegenüber seinem Land vor, Demokraten kritisieren seinen Besuch im Weißen Haus, während der Vietnamkrieg tobt. Die Wahrheit liegt dazwischen: Cash ist ein großer Patriot und liebt sein Heimatland über alles, doch die US-amerikanischen Missstände jener Zeit machen ihn krank — so krank, dass er sich Trauerkleidung anzieht und seinem Ärger auf der Bühne Luft macht.
Schwierige JahreDoch was zunächst nach seiner Etablierung als respektierter Countrymusiker aussieht, läutet den Beginn vom vorläufigen Ende ein: Kommerzielle Erfolge bleiben aus, Cash überwirft sich mit seiner langjährigen Plattenfirma Columbia Records und rutscht Stück für Stück in die musikalische Bedeutungslosigkeit. In den Achtzigern geht die Talfahrt weiter, auch wenn er mit Kris Kristofferson, Waylon Jennings und Willie Nelson die Supergroup The Highwaymen gründet. Gegen Ende des Jahrzehnts stellt ihn auch seine dritte Plattenfirma Mercury Records aufs Abstellgleis.
Glücklicherweise gelingt in den Neunzigern das große Comeback: 1994 erscheinen die ersten American Recordings, aufgenommen mit Starproduzent Rick Rubin, der sich für eine maximal spartanische Herangehensweise entscheidet und mit Cash direkt in dessen Wohnzimmer arbeitet. Rubin soll Recht behalten: Das Album schlägt ein und ermöglicht der betagten Legende eine furiose Wiederauferstehung. Es folgen weitere American Recordings, ingesamt werden es sechs Stück: Unchained (1996), American III: Solitary Man (2000) und American IV: The Man Comes Around (2002) erscheinen vor Cashs Tod. American V: A Hundred Highways (2003) und American VI: Ain’t No Grave (2010) werden posthum veröffentlicht.
Im Jahr 2003 erscheint außerdem das Boxset Unearthed. Die vierstündige Sammlung enthält Outtakes und alternative Versionen der Songs, die für die ersten vier American Recordings aufgenommen wurden, aber auch die Gospelsongs, die Cash von seiner Mutter gelernt hat sowie eine Best-Of-Zusammenstellung. Seine letzten Stücke nimmt Johnny Cash am 21. August 2003 auf, schwer angeschlagen vom Tod seiner geliebten June im Mai, wie ihr hier nachlesen könnt. Nur wenig später, am 12. September 2003 erliegt Johnny Cash seiner Diabetes — und seinem gebrochenen Herzen, wie einige medizinische Fachpublikationen mutmaßen. Diese Vorstellung hätte dem Künstler sicher gefallen.
Epilog
Gemeinsam mit Willie Nelson und seinem Freund Waylon Jennings hat Johnny Cash eine alternative Country-Szene geprägt, die kein Interesse an Unterhaltungsmusik hat. „Seine Stimme schien aus dem Mittelpunkt der Erde zu kommen“, schwärmt Folk-Legende Bob Dylan vom „Man in Black“. Genau das ist es, was Cash unter Country-Musik versteht: nicht „falsche Perlen, Strass, flimmernde Hosen und blinkende Cowboystiefel“, sondern die tiefe Verbundenheit zur Erde, zum Land.
Beigesetzt wird er in Nashville in einem schwarzen Sarg mit silbernen Griffen. Prominente wie Sheryl Crow, Kid Rock und US-Vizepräsident Al Gore sowie mehr als 1000 Fans erweisen Cash die letzte Ehre. Er habe mit seinen Songs Millionen einfacher Menschen aus den USA eine Stimme gegeben, sagt sein Freund und Kollege Kris Kristofferson während der Zeremonie. Seine Tochter Rosanne Cash findet rührende Worte: „Ich kann mir eine Welt ohne Daddy einfach nicht vorstellen.“ Tatsächlich hinterlässt Cash eine Lücke, die wohl nie gefüllt werden kann. Durch seine Diskografie lebt er weiter — so authentisch, abwechslungsreich und tiefgründig, wie er selbst war.
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