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Foto: Ebet Roberts/Redferns

Zeitsprung: Am 20.7.1964 kommt Chris Cornell von Soundgarden zur Welt.

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 20.7.1964.

von Timon Menge und Christof Leim

Er gilt als Ikone des Grunge. Mit Soundgarden hat er die Neunziger geprägt, mit Audioslave und als Solokünstler die Zweitausender. Allerdings leidet Chris Cornell immer wieder auch an starken Depressionen sowie an Alkohol- und Drogenproblemen — bis er sich schließlich das Leben nimmt. Am 20. Juli hätte er Geburtstag gefeiert. Blicken wir auf sein Leben und Schaffen zurück.

Hier könnt ihr euch Cornells Soloalbum Scream anhören: 



Christopher John Boyles kommt zur Welt am 20. Juli 1964 in Seattle, der späteren Metropole des Grunge. Nach der Scheidung seiner Eltern nehmen er, seine zwei älteren Brüder und seine drei jüngeren Schwestern den Mädchennamen ihrer Mutter an: Cornell. Zu Beginn besuchen der junge Chris und eine seiner Schwestern eine katholische Schule, werden aber später von ihrer Mutter abgemeldet, weil das Geschwisterpaar zu unbequeme Fragen stellt. „So eine Religion ist nicht dazu gedacht, dass man sie hinterfragt“, erklärt Cornell später. „Wir haben im Klassenraum deutlich gemacht, dass wir all das einfach nicht verstehen. ‘Erklärt es uns.’ Das konnten sie nicht, also haben wir für einige Probleme gesorgt.“


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Bereits in seiner Kindheit nimmt Cornell Pianostunden, seine Rockmusik-Sozialisation beginnt mit den Beatles. Im Keller eines Nachbarn findet er eine verwaiste Plattensammlung, mit der er sich intensiv beschäftigt. Als seine Mutter ihm eine Snare-Drum kauft, beginnt sein Traum vom Dasein als Rockmusiker. Vorher arbeitet er als Hilfskellner, Tellerwäscher, Fischhändler und Souschef. In den frühen Achtzigern spielt er in der Coverband The Shemps, zu der auch Bassist Hiro Yamamoto gehört. Als der aus der Gruppe aussteigt, stößt Gitarrist Kim Thayil dazu. Cornell und Yamamoto bleiben in Kontakt und schmieden gemeinsame Pläne. Als sie schließlich eine gemeinsame Band gründen, steigt auch Thayil ein. Es handelt sich um die Geburtsstunde einer der größten Gruppen der Neunziger: Soundgarden.

Soundgarden in ihrer wichtigsten Besetzung: Gitarrist Kim Thayil, Schlagzeuger Matt Cameron, Sänger Chris Cornell und Bassist Ben Shepherd

Schlagzeuger Matt Cameron steigt 1986 ein. Mit ihren ersten beiden Alben Ultramega OK (1988) und Louder Than Love (1989) im Gepäck erobern die Musiker in Windeseile die Musikszene ihrer Heimatstadt, die sich in den Jahren danach einen Namen als Epizentrum des Grunge machen soll. 1989 verlässt Bassist Yamamoto die Band, an seine Stelle tritt zunächst Jason Everman, dann Ben Shepherd. Dieses Line-Up spielt die nächsten 17 Jahre zusammen. Gemeinsam mit Nirvana, Alice In Chains und Pearl Jam dominieren Soundgarden das Musikbusiness und schaffen mit Alben wie Badmotorfinger (1991) und Superunknown((LINK)) (1994) den Soundtrack für eine ganze Generation.



Von Chris Cornell stammt auch das Gros eines wichtigen Albums der Zeit: Temple Of The Dog von 1991. Mit diesen Songs gedenkt Cornell seinem Mitbewohner Andrew Wood, dem Sänger von Mother Love Bone, der mit nur 24 Jahren an einer Überdosis Heroin gestorben war. Hier ist zum ersten Mal der spätere Pearl-Jam-Frontmann Eddie Vedder im Duett mit Cornell zu hören.



Während der Aufnahmen zu Soundgardens Down On The Upside (1996) entstehen kreative Differenzen in der Band: Thayil und Cornell streiten, weil Cornell sich von den harten Riffs der Gruppe verabschieden möchte, Thayil aber nicht. Am 9. April 1997 geben Soundgarden ihre Auflösung bekannt. Von 2010 bis 2018 gibt es eine Reunion und mit King Animal (2012) sogar noch einmal ein neues Album.

1998 beginnt Cornell eine Solokarriere. Sein erstes Album Euphoria Morning erscheint am 21. September 1999, gefolgt von seiner ersten Tour unter eigenen Namen. Aus kommerzieller Perspektive bleibt die Platte hinter den Erwartungen zurück, trotzdem kassiert der Song Can’t Change Me zwei Grammy-Nominierungen. Das Stück Wave Goodbye widmet er seinem 1997 verstorbenen Freund Jeff Buckley. Dieser soll auch Einfluss auf das gesamte Album gehabt haben. So ist Euphoria Morning stark von Buckleys Schreib- und Gesangsstil inspiriert. Mit Carry On (2007), Scream (2009) und Higher Truth (2015) veröffentlicht Cornell noch drei weitere Scheiben. Außerdem widmet er sich parallel zu den ersten Jahren seiner Soloarbeit einem Projekt, das wir ebenfalls alle kennen: Audioslave.

Supergroup der Zweitausender: Tom Morello, Chris Cornell, Brad Wilk und Tim Commerford alias Audioslave

Die Gruppe entsteht, als Rage Against The Machine und ihr Frontmann Zack de la Rocha getrennte Wege gehen. Die übrigen Bandmitglieder suchen einen neuen Sänger, Produzent Rick Rubin schlägt Cornell als Ersatzmann vor und spielt den verbleibenden Rage-Mitgliedern den Soundgarden-Song Slaves & Bulldozers vor. Die Musiker zeigen sich beeindruckt und rufen Cornell an. Der arbeitet zwar gerade an seiner zweiten Soloplatte, legt seine Arbeit für die Kooperation mit Tom Morello, Tim Commerford und Brad Wilk aber auf Eis. „Er hat sich ans Mikro gestellt, einen Song gesungen, und ich konnte es nicht glauben“, erinnert sich Morello später. „Es klang nicht nur gut. Es klang nicht nur großartig. Das war nicht von dieser Welt. Wenn die Chemie zu Beginn schon so stimmt, kann man das nicht ignorieren.“ Von 2002 bis 2006 veröffentlichen Audioslave die drei Alben Audioslave (2002), Out Of Exile (2005) und Revelations (2006), mit denen die Gruppe zuverlässig die Charts stürmt. 



Hinter den Kulissen sieht alles ganz anders aus. Jahrzehntelang kämpft Cornell mit Depressionen, Alkohol- und Medikamentensucht sowie mit Panikattacken. Schon im Alter von 13 Jahren hatte er Rauschmittel wie Marihuana, LSD oder Magic Mushrooms genommen, kurz darauf Angel Dust geraucht. „Von 14 bis 16 hatte ich keine Freunde“, erzählt er später in einem Interview. „Ich blieb die meiste Zeit zu Hause. Bis dahin war mein Leben eigentlich toll. Ich habe bis zu meinen späten Zwanzigern nichts mehr genommen. Als Kind von zwei Alkoholikern habe ich aber ziemlich viel getrunken, und das hat mich wieder zu den Drogen gebracht. Man hört immer, dass Marihuana zu härteren Sachen führt. Ich glaube aber, dass das für Alkohol gilt, weil er die Furcht nimmt. Mein schlimmstes Drogenexperiment habe ich gemacht, als ich betrunken war und es mich nicht mehr gejuckt hat.“ Seine Depressionen wird Cornell leider niemals los. Am 18. Mai 2017 nimmt er sich das Leben.



Ob Soundgarden, solo oder mit Audioslave: Wer sich mit der Musik der Neunziger und Zweitausender beschäftigt, kommt an Chris Cornell nur schwer vorbei — obwohl der Mann gar nicht zu wissen schien, was „Pop“ ist. Seine komplexen Songideen unterscheiden sich diametral von dem, womit Nirvana Millionen von Platten verkauft haben. Dennoch (bzw. deshalb) gehören Soundgarden und vor allem Cornell zu den wichtigsten Musikern der letzten Jahrzehnte. Mit seiner charismatischen, drei Oktaven starken Stimme gab es kaum einen Song, den er nicht singen und mit Leben füllen konnte. Vom tiefen Bass bis zum hohen Tenor hat Cornell alles drauf, was er mit Kunstwerken wie Beyond The Wheel von Soundgarden eindrucksvoll unter Beweis stellt. Rest in peace, Chris!

Chris Cornell 1964-2017 - Pic: gdcgraphics

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