Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 4.6.1984.
von Timon Menge und Christof Leim
Gegen Mitte der Achtziger steht Bruce Springsteen ganz kurz vor dem Sprung auf den Rockolymp. Mit Born To Run (1975) und The River (1980) konnte er bereits passable Erfolge einfahren, jetzt vollzieht er einen Stilwechsel und veröffentlicht mit Born In The U.S.A. den größten Meilenstein seiner jahrzehntelangen Karriere. Ein Rückblick auf eines der erfolgreichsten amerikanischen Alben aller Zeiten.
Hier könnt ihr Born In The U.S.A. anhören:
Als Bruce Springsteen am 4. Juni 1984 sein siebtes Album Born In The U.S.A. veröffentlicht, liegen ruhige Fahrwasser hinter dem Boss — zumindest, was die öffentliche Wahrnehmung betrifft. Nach den ersten großen Erfolgen Born To Run und The River zieht sich der Musiker zurück, mit Nebraska erschafft er eine melancholische Zwischenplatte, die er am 3. Januar 1982 alleine in seinem Schlafzimmer in New Jersey aufnimmt. Für Born In The U.S.A. markiert die Session den Startschuss. Eigentlich möchte Springsteen an jenem Tag nämlich Demos für seinen nächsten Wurf einspielen. Doch dann kommt alles ganz anders.
Im Anschluss an die Schlafzimmer-Sessions folgt eine viermonatige Studiophase, „Electric Nebraska“ genannt. In jenen vier Monaten mag es Springsteen und seiner E-Street-Band partout nicht gelingen, die Emotionen zu reproduzieren, die der Boss an diesem 3. Januar noch einfangen konnte. Als er merkt, dass die Gruppe nicht weiterkommt, trifft der Musiker eine Entscheidung: Die Demos sollen ein wenig bearbeitet und dann veröffentlicht werden. Toningenieur Toby Scott legt Hand an, Nebraska erscheint am 20. September 1982. Dennoch: Während der „Electric Nebraska“-Periode entsteht auch brauchbares Material.
So spielen Springsteen und seine Band in den vier Monaten gleich acht Songs ein, die später auf Born In The U.S.A. landen sollen: Cover Me, Darlington County, Working On The Highway, Downbound Train, I’m On Fire, I’m Goin’ Down, Glory Days und der Titeltrack. 1983 entstehen weitere Stücke wie My Hometown, Bobby Jean und No Surrender. Eigentlich hat die Gruppe damit bereits genug Material für ein Album, doch eines fehlt noch: eine erste Single mit Airplay-Garantie. Manager Jon Landau geht dem Boss (und somit auch seinem Boss) mächtig auf den Keks und verlangt einen Song, der auf jeden Fall funktioniert. Immer wieder lehnt er Vorschläge von Springsteen ab, bis dem der große Wurf gelingt.
Dancing In The Dark, bis heute das erfolgreichste Lied des Rockstars, erscheint am 3. Mai, schlägt tierisch ein — und steht stellvertretend für das gesamte Album. So entfernt sich Springsteen mit Born In The U.S.A. zwar von der musikalischen Melancholie des Vorgängers Nebraska und setzt auf deutlich poppigere Elemente wie zum Beispiel einen Synthesizer; inhaltlich bleibt der Boss aber meist ernst. So schreibt Musikjournalistin Matty Karas über die Platte, sie sei „ein vollkommenes Popalbum, das in perfekter Weise die Wut und die Bitterkeit einfängt, die unter der Oberfläche der Reagan-Ära schwelt“. Auch Dancing In The Dark beschäftigt sich bei genauerem Hinsehen mit einer ausgewachsenen Sinnkrise, behandelt also keinesfalls ein fröhliches Thema.
Der Titeltrack wird ebenfalls oft missverstanden. Was sich im ersten Moment nach einer patriotischen Pop-Hymne anhört, kritisiert eigentlich den schlechten Umgang der USA mit Vietnamveteranen. Springsteen selbst gibt zum Album Folgendes zu Protokoll: „Wenn man sich das Material anschaut, besonders auf der ersten Seite, ist das Songwriting dem von Nebraska ziemlich ähnlich — die Charaktere, die Geschichten, der Schreibstil — nur, dass da eine Rockband spielt.“
Erspielt sich spätestens ab 1984 den Ruf als amerikanischer Held: Bruce SpringsteenAls Born In The U.S.A. am 4. Juni 1984 erscheint, brechen alle Dämme. Ob in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Großbritannien oder den USA: Überall stürmt das Album auf den ersten Platz der Charts. Dem Titel entsprechend, handelt es sich bei der Scheibe um die allererste CD, die in den USA hergestellt wird. Bis heute gehen mehr als 19 Millionen Exemplare über die Ladentheke, es dürfte nur wenige Amerikaner geben, die noch nie von der Platte gehört haben. Für eine kleine Kontroverse sorgt das Cover, das zunächst so interpretiert wird, als würde Springsteen auf die US-Flagge pinkeln. Der Boss gibt Entwarnung: „Das war keine Absicht. Wir haben uns verschiedene Aufnahmen angeschaut und letztendlich sah dieses Bild von meinem Arsch besser aus als jedes Foto von meinem Gesicht.“
Mit Born In The U.S.A. verhilft Springsteen nicht nur dem sogenannten Heartland Rock an die Spitze. (Weitere Vertreter des Genres, das sich vor allem mit den Alltagssorgen von Amerikanern auseinandersetzt: Tom Petty, Bob Seger und John Mellencamp.) Er schafft zudem den endgültigen Durchbruch, erspielt sich ein Vielfaches seines bisherigen Publikums und veröffentlicht ein Album, das bis heute zu den wichtigsten und erfolgreichsten der Rockgeschichte zählt.
Der Boss selbst verbindet mit der Platte gemischte Gefühle. So sieht er eher Nebraska als eine seiner stärksten Veröffentlichungen. Trotzdem erzählt er später im Arizona Republic: „Born In The U.S.A. hat mein Leben verändert und mir das größte Publikum verschafft. Das Album hat mich dazu gezwungen zu hinterfragen, wie ich meine Musik präsentiere, und ich musste mehr darüber nachdenken, was ich mache.“