Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 5.5.2009.
von Andrea Leim und Christof Leim
Sieben Monate „on the road“ mit 89 Shows in 46 Städten vor über einer Million glücklicher Fans hat Tina Turner hinter sich, als sie am 5. Mai 2009 die Bühne der Sheffield Arena in Großbritannien betritt. Es ist der 90. Auftritt ihrer neunten Solotournee - und das Ende ihrer einzigartigen 50-jährigen Bühnenkarriere.
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Februar 2008: Nach einigen Jahren fernab der Öffentlichkeit tritt Tina Turner bei den Grammy Awards erneut auf – und hinterlässt ein absolut begeistertes Publikum. Als sie kurz darauf Schauspiellegende Sophia Loren trifft, legt die ihr ans Herz, endlich die Pause zu beenden. Die Fans verstärken den Eindruck, den Loren mit ihrem Kommentar hinterlässt: „Als ich nach den Grammys wieder in Zürich war“, erinnert sich die Sängerin, „sind überall Menschen zu mir gekommen, im Restaurant, auf der Toilette, auf der Straße, und haben mir Zettelchen, Papierstücke oder Servietten zugesteckt, auf die sie ein paar Worte geschrieben hatten. Einige waren so liebevoll und haben mich sehr berührt. Ich habe jede Notiz behalten, und irgendwann türmten sie sich zu einem Stapel. Da rief ich meinen Manager an und habe ihm erklärt, dass es Zeit wird.“
Gesagt, getan! Die Vorbereitungen beginnen für eine großangelegte Konzertreise, die zunächst Tina!: Live In Concert getauft wird. Der Start wird für Oktober 2008 in Missouri geplant – auf Wunsch der Künstlerin, weil ihre Karriere dort begann. Zum ersten Mal stand Anna Mae Bullock dort nämlich 1958 im Club Imperial mit Ike Turner & The Kings Of Rhythm auf der Bühne. Dieses Jubiläum ist es auch, das die Chefin dazu bringt, den Tournamen nachträglich in Tina!: 50th Anniversary Tour zu ändern.
Die Bühne der Tour wog 75 Tonnen - Pic: Wolfiewolf/Flickr/Wiki CommonsInsgesamt gibt die damals 69-Jährige 90 Konzerte in Nordamerika und Europa, der Termin im englischen Sheffield in England soll der letzte sein. Doch Turner will kein besonderes Ereignis daraus machen, lädt keine Stargäste ein und spielt kein spezielles Set, sondern lässt ihre Bühnenkarriere zu Ende gehen, wie die vorherigen Tourabende auch. Allerdings, und das sollte nicht unerwähnt bleiben, überschlagen sich die Kritiker schon in den Monaten zuvor nach jedem Abend mit Lobeshymnen. Einer schreibt: „Turner hat ein aufgeladenes, elektrisierendes Rockspektakel gezeigt, mit dem sie zweifelsfrei alle Vermutungen ausräumt, sie gehöre schon ins Museum.“ Nach gleich vier Konzerten in der Lanxess Arena in Köln im Januar 2009 erklärt Tom Horan im Sunday Telegraph, dass die Show gezeigt habe, „warum sie eine Göttin in Deutschland ist“. 132,5 Millionen Dollar spielt die Tournee ein, insgesamt 1,2 Millionen Zuschauer erleben den Superstar live. Im September des gleichen Jahres erscheint außerdem noch ein Livemitschnitt, aufgenommen am 2. Mai 2009 in Arnheim.
Ein paar wenige Besonderheiten gibt es bei der letzten Show in Sheffield dann aber doch: Zum einen handelt es sich um einen Nachholtermin. Eigentlich sollte die Tour bereits im März in der englischen Stadt Halt machen, doch weil Tina sich die Grippe eingefangen hatte, wird das Konzert auf den 5. Mai – einen Dienstag – verlegt. Fans berichten, dass die Sängerin den gesamten Abend über ein Lachen im Gesicht trägt. Außerdem legt einer ihrer Background-Sänger sogar einen kleinen Striptease hin, Tänzerin Clare wird von ihrer Chefin geehrt. Zum Schluss halten Fans Hunderte kleine Plakate mit der Aufschrift „Thank you“ hoch und verabschieden sich so von ihrem Star.
In einem Interview mit Graham Norton von der BBC erinnert sich Tina Turner später: „Es war eine tolle Show, wirklich wunderbar. Doch am nächsten Tag, als mein Ehemann Erwin, mein Koch und ich im Flugzeug saßen, habe ich einmal tief Luft geholt und dann gesagt: ‚Das war es jetzt. Ich werde auf keinen Fall zurückkehren.‘ Ich habe in meinen Zwanzigern mit dem Singen begonnen und nicht aufgehört, bevor ich 70 wurde. Fast jede Nacht habe ich in einem Bus, einem Flugzeug, einem Auto oder einem Hotel verbracht. Es gab für mich nur dieses Leben. Und irgendwann wollte ich nicht mehr tanzen und singen. Ich wollte zuhause und ganz normal sein.“
Ganz normal wird Tina Turner niemals sein können, zumindest nicht für ihre Fans. Doch das „normale“ Leben daheim in der Schweiz, nach dem sie sich so gesehnt hat, sei ihr jetzt von Herzen gegönnt. Sie genießt es bis zum 24. Mai 2023, als mit 83 Jahren verstirbt. Rest in peace.