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Ron Galella/ GettyImages

Zeitsprung: Am 10.1.1984 gehen Ozzy & Mötley Crüe auf Tour. Auweia.

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 10.1.1984.

von Christof Leim

Ozzy Osbourne und Mötley Crüe zusammen auf Tour: Das kann nicht gut gehen. Der „Madman“ und die Chaoten aus L.A. überbieten sich an Dekadenz und Ausschweifung. Los geht der Wahnsinn am 10. Januar 1984. Und ja, auf diesem Trip passiert auch die Sache mit den Ameisen…


Hört hier in Shout At The Devil von Mötley Crüe rein:

Klickt auf „Listen“ für das volle Programm.

Zu Beginn des Jahres 1984 hat Ozzy gerade sein drittes Soloalbum Bark At The Moon draußen. Nach dem Tod seines Wundergitarristen Randy Rhoads und einer Phase der Selbstfindung (und Selbstbetäubung) steht der Sänger wieder ganz oben in der Hard Rock-Welt. (Ein Porträt des Meisters findet ihr hier). Die Tour war schon im November in Europa gestartet, zum Line-up gehören neben Jake E. Lee, dem neuen Sechssaitenvirtuosen an Ozzys Seite, noch die alten Bekannten Bob Daisley (Bass) und Don Airey (Keyboards), außerdem Drum-Veteran Carmine Appice, der schon für Jeff Beck, Rod Stewart und Vanilla Fudge getrommelt hatte.



Bei Mötley Crüe stehen nach der Veröffentlichung von Shout At The Devil (1983) die Zeichen zwar auf Sturm, aber bis zur Weltherrschaft fehlt noch ein Stück. Am 28. Mai 1983 spielen sie vor ganz großer Kulisse beim zweiten US Festival (alles dazu hier) und hinterlassen einen gewaltigen Eindruck, offensichtlich auch bei Ozzy und seiner Frau und Managerin Sharon Osbourne. Die beiden laden die Band ein, die US-Daten der Bark At The Moon-Tour zu eröffnen, was ihnen zum ersten Mal die Möglichkeit gibt, in den ganz großen Hallen aufzutreten. Schlagzeuger Tommy Lee bedankt sich dafür ausdrücklich in seinem Buch Tommyland: „Die Tour war überall ausverkauft und einen Gig in einer pickepackevollen Arena zu spielen, war der verfickte Himmel für eine Band mit unserem Status. Ich stehe auf ewig in ihrer Schuld.“



Nichts für Kinder: die Crüe-Biografie „The Dirt“

Mötley mögen zu diesem Zeitpunkt noch nicht die großen Stars sein, doch in bei Wein, Weib, Gesang stehen sie schon ziemlich weit vorne. Deutlich formuliert: Drogen, Sex und Zerstörung gehören bereits zum Tagesgeschäft. Wie sich allerdings rausstellen sollte, fällt das im Vergleich zu Ozzy alles unter „Amateurkram“. Denn während der Achtziger macht niemand, wirklich niemand dem „Madman“ in Sachen Dekadenz etwas vor. Das weiß Nikki Sixx, Bassist der Kalifornier, allerdings noch nicht. In der berüchtigten Bandbiografie The Dirt von 2001 schreibt er: „Wir hielten uns für die bösesten Geschöpfe auf Gottes Erdboden. Niemand trieb es so oft und so wild wie wir, und niemand kam so unbehelligt mit diesem Benehmen davon. Wir hatten keinerlei Konkurrenz. Aber dann trafen wir Ozzy.“

Die erste gemeinsame Show findet am 10. Januar 1984 in Portland, Maine statt, und von Anfang verstehen sich Headliner und Support blendend. „Er hat uns unter seine Fittiche genommen und dafür gesorgt, dass wir uns wohl dabei fühlen, jeden Abend vor 20.000 Leuten zu stehen“, erklärt Sixx und mutmaßt, ohne diese Tour wären Mötley Crüe eine von vielen typischen L.A.-Bands geblieben: „schon irgendwie Stars, aber nie durchgestartet“.

Nikki erzählt weiter, dass Ozzy kaum einen Abend in seinem eigenen Tourbus verbringt, in dem gelegentlich auch seine erst wenige Monate alte Tochter Aimee samt Mutter Sharon mitreist. Stattdessen hängt unser Mann lieber bei der Crüe rum, um mit ihnen nächtelang durch intensives Tischriechen ein ungesundes südamerikanisches Exportprodukt aus der Welt zu schaffen. Dabei will jede Partei die krasseste sein: Auf der einen Seite die vier Wilden aus Los Angeles, auf der anderen Seite der „Madman“ aus England, der es schon zu Zeiten von Black Sabbath hat krachen lassen wie kein Zweiter (und daran fast zugrunde gegangen wäre). „Diese Tour wird noch jemanden das Leben kosten“, kommentiert Ozzy damals laut seiner Autobiografie I Am Ozzy (2010) die anstehende Konzertreise. Der damalige Mötley-Manager Doc McGhee sieht sogar richtig schwarz: „Jemand? Ich glaube, wir werden alle dabei draufgehen.“



Ebenfalls nichts für Moralapostel: Ozzys Autobiografie

In seinem Buch schreibt Osbourne: „Das Problem war Mötley Crüe. Sie waren vollkommen verrückt, und das empfand ich natürlich als Herausforderung. Genau wie bei John Bonham hatte ich das Gefühl, ich müsste ihren Irrsinn noch übertreffen, sonst hätte ich meinen Job nicht erledigt. Aber das empfanden wiederum sie als Herausforderung, also hatten wir jeden Tag rund um die Uhr Action, Action, Action. Die Konzerte waren dabei der leichteste Part. Schwierig war, die Pausen dazwischen zu überleben.“ Einmal wacht Ozzy nach einer Tankladung voll Sake auf dem Mittelstreifen einer zwölfspurigen Autobahn auf. Er kann sich retten und muss mal, also pinkelt er gegen ein Auto – das sich prompt als ziviles Polizeifahrzeug entpuppt. So geht es weiter. Wir empfehlen als kurzweilige Lektüre der Kategorie „Nicht zu Hause ausprobieren“ ausdrücklich die entsprechenden Kapitel von The Dirt und Am Ozzy. Hier ein kleiner Überblick über die weiteren „Erfolge“: In Memphis klauen Ozzy und Crüe-Sänger Vince Neil ein Auto und fahren es zu Schrott, in New Orleans gerät die Reisegruppe in eine Messerstecherei, und in Nashville macht Ozzy eine ganz besondere Sauerei in der Toilette von Tommys Lees Hotelzimmer, auf die wir hier nicht weiter eingehen wollen. Ein Wahnsinn. Laut Nikki Sixx tut das alles Ozzy in lichten Momenten immer wieder leid, die Mötley-Jungs selbst sind von solchen unvermeidlichen Einsichten allerdings noch ein paar Jahre entfernt (was darin gipfelt, dass Sixx an Weihnachten 1987 für zwei Minuten an einer Überdosis stirbt).

Einen fast schon traurigen Höhepunkt erreicht das Ganze in Lakeland, Florida, als die Tour bereits über einen Monat durch Nordamerika marodiert: Wie in The Dirt zu lesen steht, fallen die Musiker am Mittag des 23. Februar aus dem Bus und stolpern ins Hotel, wo sie sich ohne Umschweife zur Bar begeben. Nach den Worten von Sixx trägt sich dann folgendes Begebenheit zu: „Ozzy zog seine Hose aus und steckte sich einen Dollar in die Arschritze. Den hat er dann allen Anwesenden angeboten. Als eine ältere Dame ihn ausschimpft, greift er ihre Tasche und rennt weg. Später taucht er am Pool auf – und trägt das Kleid der Dame, das er in ihren Sachen gefunden hat.“ Und dann passiert es: Der drogensüchtige Ozzy braucht Nachschub, aber es gibt kein weißes Pulver mehr. Trotzdem lässt er sich von Nikki einen Strohhalm reichen. Mit dem geht er zu einem Riss im Betonboden, aus dem sich eine Ameisenstraße schlängelt. Nikki denkt sich noch „Das wird er nicht tun“ – als Ozzy genau das tut: Er zieht die Ameisen wie eine Linie Koks in die Nase.


Damit nicht genug: Agent Doppel-O rafft laut der Schilderung in The Dirt das Kleid, pinkelt vor aller Augen los, kniet nieder und leckt die Plörre auf. Sein Kommentar: „Mach mir das erstmal nach, Sixx!“ Der kann das natürlich nicht auf sich sitzen lassen und begibt sich – wenngleich widerstrebend – ebenfalls ans „Werk“ und denkt sich: „Naja, es kommt ja aus meinem Körper…“ Doch Ozzy legt noch einen drauf – und hilft mit. Woah! Mötley Crüe müssen einsehen, dass sie bei aller Verdorbenheit nicht mithalten können: „Von dem Moment wussten wir, dass es jemanden gibt, der – egal was wir gerade anstellen – krasser und ekliger drauf ist als wir.“ Ozzy selbst allerdings gibt in seinem Buch zu Protokoll: „Wenn mir heute jemand Storys über diese Tour erzählt, weiß ich nicht, ob sie stimmen oder nicht. ‚Ozzy, hast du wirklich eine Ameisenstraße geschnieft?‘, und ich habe keine Ahnung. Möglich ist es.“



Kein Wunder also, dass Ozzys Frau Sharon wieder zur Tour stößt, um Kraft ihrer natürlichen Autorität für Ordnung zu sorgen. Eine gute Idee, denn Ozzy geht fortan früh ins Bett, hält seine Nase sauber und Händchen mit der Gemahlin. Wenn die allerdings für eine Weile abreist, lässt der Sänger das dünne Mäntelchen der Zivilisation wieder fahren und haut auf die Sahne, dass es nur so eine Art hat. Als unbestrittene Chefin der ganzen Operation verfügt Frau Osbourne auch, dass die Supportbands sich ebenfalls zurückhalten mögen. „Sie hat uns überhaupt keinen Spaß zugestanden“, findet Nikki. Mötley lassen sogar Shirts drucken mit der Aufschrift: „No Fun Tour: ’83-’84“. Der Mötley Crüe-Bassist erzählt, dass er Mama Sharon sogar um Erlaubnis bitten muss, auf den Shows „Damenbekanntschaften“ machen zu dürfen für, sagen wir, weiterführende Gespräche nach der Show im privaten Rahmen.

 

Das Drama auf diesem Kriegszug beschränkt sich nicht mal auf Feierei: Der damalige Ozzy-Drummer Carmine Appice gilt in der Rockszene selbst als Star und will deshalb eigene Shirts verkaufen. Sharon und Ozzy erlauben es ihm sogar. Allerdings muss der Mann irgendwann feststellen, dass aus jedem seiner Shirts sein Gesicht fein säuberlich rausgeschnitten wurde. Am 3. März 1984, knapp zwei Wochen nach dem „Ameisenvorfall“, übernimmt Tommy Aldridge das Schlagzeug.

Mit einigen Unterbrechungen sind Ozzy und Mötley Crüe alleine in den USA an die drei Monate zusammen unterwegs. Bei der letzten Show überschüttet Ozzys Band die Vorgruppe mit Mehl und Senf, wie in Tommyland zu lesen steht. Die Crüe-Musiker revanchieren sich, in dem sie in Mönchsroben auf der Bühne auftauchen, die ablegen und mit „blanken Waffen“ zwischen den Musikern herumlaufen. Keine Frage: Musikalisch geben die beiden Truppen ein tolles Hard Rock-Paket ab, doch nach dem letzten Ton des Abends bedeutet diese Kombination regelmäßig Chaos und Dekadenz. Es mag nur die Hälfte dieser Geschichten stimmen, aber ein Kern an Wahrheit reicht hier schon. Die Achtziger haben ihren Ruf sicher nicht aus Versehen bekommen…


Credit Header-Foto: Ron Galella/WireImage
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