Review: Julien Baker & Torres verleihen Country einen queeren Anstrich in „Send A Prayer My Way“
platten18.04.25
Julien Baker und Torres sind zwei der größten Indie-Darlings der letzten zehn Jahre. Wenn diese beiden gemeinsame Sache machen, ist das also verheißungsvoll. Aber ein Country-Album, kann das was?
Julien Baker & Torres – was ein musikalisches Match!
Um die Antwort auf die Frage direkt mal vorwegzunehmen: Ja, das kann einiges! Dabei wurden beide Musikerinnen bisher nicht primär mit Country in Verbindung gebracht. Torres hat sich immer wieder als vielseitige Künstlerin irgendwo zwischen Alt-Rock und Power-Pop bewiesen. Und Julien Baker hat mit ihren Solo-Alben und Boygenius-Projekten sowieso alles im Indie-Rock- und Folk-Bereich abgerissen. Dennoch haben die zwei Künstlerinnen eine große Liebe für Country, wie sie mit Send A Prayer My Way demonstrieren.
Queere Liebe im Pickup-Truck
Die Idee für ein gemeinsames Country-Album stand tatsächlich schon seit 2016, als sie sich zum ersten Mal eine Bühne teilten. Und wer zumindest ein bisschen etwas über die Personen dahinter weiß, konnte vielleicht schon damit rechnen: Send A Prayer My Way ist ein ziemlich queeres Country-Album geworden! Oder um es in den Worten zu sagen, mit denen sie ihre Inspirations-Playlists zum Album betiteln: „Cuntry“ – mic drop an der Stelle.
Die „Cuntry“-Energie ließ sich bereits von der Lead-Single Sugar In The Tank erahnen: ein Song, der von ihren Erfahrungen, als queere Personen in den Südstaaten der USA aufzuwachsen, inspiriert wurde. Der Titel des Songs bezieht sich auf den Irrglauben, dass Zucker im Benzintank ein Auto kaputt machen würde. Genauso gehen viele konservative Menschen leider immer noch davon aus, Homosexualität sei eine Sünde. Julien Baker und Torres ziehen im Refrain den Vergleich und ermuntern uns: „Come on, baby, put a little sugar in the tank / And I'll love you all the way“.
Ein ähnliches Thema schneidet auch der Song Tuesday an, in dem Torres eine persönliche prägende Geschichte aus ihrer Jugend erzählt. Sie verliebte sich in ein Mädchen namens Tuesday. Aber dann unterband Tuesdays Mutter das Ganze, aus Angst, ihre Tochter könnte queer sein. Torres und Tuesday verleugnen daher ihre eigentlichen Gefühle, was das Thema für sie mit viel Scham behaftete und Torres an ziemlich düstere Punkte brachte. Nun steht sie dazu und nutzt den Song als emotionalen „exorcism“, wie sie selbst im Outro sagt.
Eine gelungene Symbiose
Mit dieser Thematik geben Julien Baker und Torres dem Genre einen modernen Anstrich. Gleichzeitig huldigen sie dem traditionellen Outlaw-Country-Stil, mit dem sie aufgewachsen sind – die Klänge von holzigen Banjos und verträumten Pedal Steel stehen ihnen extrem gut. Wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, sie hätten schon immer Country gemacht.
Torres‘ tiefe und Bakers dunkle Stimme ergänzen sich zudem toll. Interessanterweise werden die ersten Songs in der Tracklist noch ziemlich gleichermaßen von Baker und Torres gesungen, während die Songs im späteren Verlauf des Albums eindeutiger von jeweils einer der beiden dominiert sind. Die Geschichten, die erzählt werden, werden persönlicher, die Songs individueller. Es ist, als würde eine Person der anderen von ihrem emotionalen Laster berichten, während die andere ihr empathisch mit Backing Vocals beisteht.
Beichten und Liebeserklärungen
Denn neben queerer Liebe gibt es einige andere Themen auf dem Album: Falsche Entscheidungen, schlechte Angewohnheiten, der zermürbende Zahn der Zeit. In Bottom Of A Bottle singt Torres von einem Alkoholproblem, wiederum gibt Baker in Off The Wagon ihre eigenen Erfahrungen mit Sucht und Rückfällen wieder. Das gemächliche Balladentempo, das die meisten Songs anschlagen, passt daher gut, sodass man den Beichten der beiden Wort für Wort lauschen kann.
Dabei darf es aber auch mal einen unbeschwerten Song wie Sylvia geben – eine Ode an Torres‘ Hund. Sie erzählt im Pressetext, der Song sei durch Dolly Partons Cracker Jack inspiriert. Denn dieser lief morgens im Radio, als Torres ihren Hund Sylvia aus dem Tierheim holte – ein eindeutiges Zeichen! „Ich weiß noch, wie ich dachte, dass ich gerne einen Song wie diesen schreiben würde, einen Song, den die Menschen innerhalb von fünf Sekunden nach dem Einschalten im Innern spüren können. Denn jeder, der schon einmal die Ehre hatte, sein Zuhause mit einem heißgeliebten Haustier zu teilen, weiß, dass es zur Familie gehört.“
Mit Send A Prayer My Way zeigen Julien Baker und Torres, dass sie sich mühelos mit einem neuen Stil präsentieren können – und es wirkt dabei sehr authentisch. Bei den persönlichen Geschichten, die auf dem Album geteilt werden, kommt der Country-Stil nie wie eine unpassende Verkleidung herüber. Man könnte etliche Gemeinsamkeiten in der künstlerischen DNA dieser beiden Künstlerinnen finden und einige davon werden hier auch unter Beweis gestellt – eine Liebe für Country wäre jedoch nicht die erste, die man vermuten würde. Glücklicherweise belehren sie uns eines Besseren.