Es ist Sommer. Und damit verwandelt sich Deutschland wieder in eine italienische Kolonie: Aperol Spritz auf der Piazza statt Bier vor der Kneipe – und vor allem ganz viel Italo Pop. Wieso liebt dieses Land diese Schmonzetten aus dem Süden eigentlich so sehr?
Ach Italien, du ewiger Sehnsuchtsort der Deutschen. Vom Gardasee (pardon: Lago di Garda) bis runter an die Stiefelspitze reicht unsere Reiselust, ungebrochen ist unsere Leidenschaft für alles Italienische. Pizza, Pasta, Dolci, Limoncello, you name it. Ab 18 Grad trinken wir Aperol Spritz und sagen Ciao statt Hallo, sitzen in Straßencafés und träumen davon, in Rom zu leben und eine Vespa zu besitzen. Um diese perfekte Illusion aufrecht zu erhalten, braucht es natürlich auch Musik. Und da gibt es nur eine Möglichkeit: Italo Pop.
Dolce Vita als Import
Wir Deutschen lieben Italo Pop. Wir hören ihn nicht nur im Geheimen, geben ihn vielleicht mal als Guilty Pleasure zu oder wünschen ihn uns nachts um zwei auf dem Sommerfest des Betriebs, um endlich mal mit dem Office-Crush Ti Amo von Umberto Tozzi zu tanzen. Engumschlungen. Nein, wir hören ihn mit derselben Ehrfurcht, Hingabe und Lebenslust, wie wir alles Italienische aufsaugen.
Das ist eine unserer ältesten und wichtigsten Traditionen in Nachkriegsdeutschland. Wo zuvor Reisen an die Ostsee, in den Schwarzwald oder in die Alpen reichen mussten, nimmt das Fernweh der Deutschen in den Fünfzigern wagemutige Züge an: Plötzlich röcheln sich die VW Käfer über die Alpen und bis hinunter nach Italien. Dolce Vita, das kannte man in Deutschland nicht. Pizza auch nicht. Und diese lockere mediterrane Art schon gar nicht. Kurz: All das, was im steifen und konservativen Deutschland fehlte.
Gottkaiser Adriano Celentano
Das gilt ab der Siebziger zunehmend auch für die Musik. Die schwappt irgendwann über die Berge nach Deutschland, erst nach München und von dort ins ganze gefühlskalte Land – vergleichsweise zumindest. Plötzlich wurde auch die Disco richtig dolce und das Urlaubsgefühl ließ sich zuhause beliebig reproduzieren. Nicht umsonst wird diese Musik in Italien Musica leggera genannt – leichte Kost eben. Gottkaiser dieser Musik ist Adriano Celentano (heute 86). Den beten wir auch hierzulande an, natürlich vor allem wegen Azzurro – ein Song, den Komponist Paolo Conte 1968 dem Interpreten Celentano erst einmal aufschwatzen musste.
Der Autor und Popkulturspezialist Eric Pfeil hat sogar ein Buch geschrieben über Italo Pop und die bemerkenswerte Popularität dieser Musik in Deutschland. In einem Interview bezeichnet er das Genre als „eine komplett andere Popmusik, die einfach immer den entscheidenden Schritt zu weit geht – aus unserer Warte aus.“ Sinnlicher, leidenschaftlicher, aber auch platter. In ihren Songs steckt dennoch das Gefühl eines ganzen Landes, zumindest einer ganzen Region, vorgetragen in der Landessprache. Das zahlt sich aus: Die Charts in Italien sind immer noch von einheimischen Popstars dominiert. Auch das hat Tradition: „In Italien verehrt man die Popstars als mythische Figuren, als Helden geradezu“, so Pfeil. Sieht man ja auch bei Fußballern, Politikern oder dem Papst.
Selbstmord aus Protest
Das Hohefest des Italo Pop ist das alljährliche San Remo Festival. Das Epizentrum der Musica leggera ist ein Wettbewerb, das Jahr um Jahr die Königinnen und Könige des Italo Pop krönt. Als Luigi Tenco mal nicht ins Finale des Wettbewerbs kommt, erschießt er sich kurzerhand in seinem Hotelzimmer. „Ich tue das nicht, weil ich des Lebens überdrüssig bin (ganz im Gegenteil), sondern als Akt des Protests“, so heißt es im Abschiedsbrief des Sängers.
Uns Deutsche reizt genau das: Dieses Drama, dieser Kitsch, dieses Übertriebene, Überzogene, Ausstaffierte. Das pure Leben in vollen Zügen. Danach lechzen die Touristen auf der Piazza, das brauchen wir auch auf die Ohren: Ob Felicità von Al Bano And Romina Power, Ti Sento von Matia Bazar, Bello E Impossibile von Gianna Nannini oder Senza Una Donna von Zucchero – wir kriegen einfach nicht genug von diesem Kurzurlaub in Popmusikform.
Dolce far niente
Die Italo-Pop-Liebe der Deutschen geht sogar so weit, dass es mittlerweile auch deutsche Bands gibt, die sich dieser Musik verschrieben haben. Das muss man sich mal vorstellen. Die Songs von Roy Bianco & Die Abbruzanti Boys kommen auf Millionen Streams bei Spotify, schon vor Jahren ließen wir uns von Wanda (immerhin Österreicher und geografisch näher dran) nach Bologna entführen. Seltsame Blüten, die das alles treibt. Und doch kann es nicht schaden: Wir können jedes bisschen Lockerheit brauchen, sollten viel öfter auf der Piazza lümmeln und noch einen Spritz bestellen und sonst nichts tun. Auch dafür haben die Italiener ein Wort: Dolce far niente. Das süße Nichtstun.