Featured Image
Foto: Genesis Baez

Big Thief im Interview: „Einfach Musik um der Musik willen“

Im September bringen die Indie-Koryphäen Big Thief ihr sechstes Album heraus. Darum haben wir ein Gespräch mit allen drei Mitgliedern der Band geführt: über ihre Anfänge, ihre Ästhetik und darüber, was sie auf dem Weg gelernt haben.

Ob Americana, Alt-Country, Folk, Rock, Psychedelia – all diesen Genres heftet ihr eigener Fingerabdruck an, wenn Big Thief sie in die Hand nehmen. Darum wurden sie schon für fünf Grammys nominiert und gelten als gefestigte Größe der Indie-Welt.

Ein ganz eigenes Gefühl

Aber was ist überhaupt diese typische Essenz von Big Thief? Das ist schwer festzunageln, aber es gibt wesentliche Merkmale. Da ist zum einen Adrianne Lenker als Sängerin und Hauptsongwriterin der Band, mit ihrem poetischen und klar emotional greifbaren Stil, Dinge in Worte zu fassen. Die Musik drumherum ist wandelbar, aber eine gewisse Ästhetik, ein gewisses Gefühl schwebt immer mit. Wie eine warme Umarmung oder als würde man in einer Holzhütte wohnen.

Selbst bei unserem Gespräch merkt man dieses herzliche Gefühl. Auch wenn ich dafür kurz mal ungelenk in die Ich-Perspektive switche, muss ich hier anmerken, dass ich mich noch nie bei einem Interview so wohl und entspannt gefühlt habe wie hier (und das nicht aufgrund der Räucherstäbchen, die Adrianne Lenker angezündet hat).

Auf die Frage hin, was diese Big-Thief-Ästhetik ausmacht und wie sie entsteht, hat Lenker eine überraschend simple Antwort: „Wir entscheiden uns nicht für eine Ästhetik. Alle Geräusche, die man auf unseren Alben hört, sind Mikrofone, die Instrumente aufnehmen. Wir spielen einfach gemeinsam in einem Raum Instrumente. Die Hauptsache ist, ein Gefühl zu entwickeln, das wir in uns tragen. Und wie sich dieses Gefühl anhört, so klingt die Musik.“ Sie müssen sich fragen: „Was ist das Herzstück des Liedes und wie kriegen wir dieses Gefühl hinein, das wir im Bauch und im Raum spüren, wenn wir es spielen? Aber wie es ästhetisch wahrgenommen wird, ist ein Nebenprodukt, das eher zufällig passiert.“

Drummer James Krivchenia pflichtet ihr bei: „Das ist eine der Entdeckungen, die wir im Laufe der Jahre gemacht haben: zu erkennen, welche Magie entstehen kann, wenn wir uns wirklich dazu verpflichten, zusammen zu spielen. Wenn Adrianne singt und alle in Echtzeit reagieren. Ich denke, das ist es, was zu diesen Nebenprodukten führt.“

Gegenseitige Aufmerksamkeit

Emotionen und schwer in Worte fassbare Dinge in Musik verpacken, das ist es, was Big Thief so gut können. Dafür bedarf es, gerade textlich, einer Aufmerksamkeitsgabe, die Adrianne Lenker definitiv besitzt. Aber auch untereinander muss man aufmerksam und selbstlos sein, meint der Gitarrist Buck Meek: „Für uns ging es bei der Musik schon immer ums Entdecken und Zuhören. Wir haben oft jeden Abend eine neue Setlist geschrieben, improvisierte Arrangements gespielt oder Sachen spontan geändert. Wir pflegen eine sehr dynamische musikalische Verbindung untereinander. Wir folgen der Dynamik des anderen, ohne irgendeine vorgefasste Idee zu haben.“

Dieses Zuhören haben Big Thief über die Jahre immer mehr gelernt, meint Meek – insbesondere auf ihrem mittlerweile sechsten Album, das am 5. September 2025 veröffentlicht wird: Double Infinity.

Ego-Tod im Musik-College

Über zehn Jahre ist es nun schon her, dass sich die Band zusammenfand: Die Bandmitglieder lernten sich nacheinander in Boston kennen und studierten sogar alle am berühmten Berklee College of Music. Dort lernten sie einiges – aber nicht nur das, was auf dem Lehrplan steht, sondern vor allem das, was ihnen nicht im Unterricht beigebracht wurde. „Lebenslektionen“ nennt Krivchenia es.

Er erzählt: „Ich habe das Gefühl, dass alle in Berklee aus ihrer kleinen Gemeinde kommen, in der sie etwas Besonderes sind. Und wenn man es akzeptieren und daran wachsen kann, dann bekommt man so etwas wie einen Ego-Tod. Das ist Demut auf die beste Art und Weise. An einem Übungsraum vorbeizugehen und zu sehen, wie ein echtes Wunderkind Schlagzeug spielt. ‚Heilige Scheiße, der ist doch erst 15!‘ Aber das ist schön, denn es ist kein Wettbewerb und es zwingt dich dazu, zu denken: ‚Wer bin ich und was kann ich beitragen? Wie lerne ich daraus, sodass ich etwas mache, das sich für mich wahr anfühlt? Das nicht nur darauf abzielt, ein guter Schlagzeuger zu sein, um ein guter Schlagzeuger zu sein.‘“

Gegen die virtuosen Ideale

Lenker erzählt, dass insbesondere die Ideale des Musik-Colleges, denen sie nicht zustimmte, sie darin bestätigten, was sie in ihrer Musik machen will: „Es gibt dieses Bewertungssystem und es wurde mir oft gesagt, dass ich keine echte Gitarristin sei. Von alten weißen Lehrer-Typen. Es hat mich gedemütigt, aber es hat mir auch dieses Selbstvertrauen und Widerstandskraft gegeben. Ich habe einige Kids gesehen, die es zerstörte und die beschlossen, zu gehen und vielleicht nie wieder Musik zu machen. Aber es hat die ausgesiebt, die so sehr an das geglaubt haben, was sie getan haben, dass sie sich der Musik widmen mussten.“

Damals entwickelte sich bei ihr ein Selbstvertrauen: „Obwohl alle sagen, dass das keine Musik ist, spüre ich, was Musik ist, und ich werde das vertiefen. Die ganze Zeit über lerne ich Dirigieren und Gehörbildung und all diese Dinge. Aber wo ich währenddessen wirklich über Musik geschult werde, ist mit meiner Band, in den Übungsräumen und wenn wir unterwegs sind und Shows spielen. In mir wuchs das Selbstvertrauen, dass ich, egal welche Noten ich bekam oder was die Lehrer:innen sagten, eine echte Verbindung zu dem verspürte, was Musik für mich bedeutete.“

Die Träume der Kindheit

Die erste Erinnerung an den Wunsch, Musik zu machen, liegt aber viel weiter zurück. Buck Meek erzählt: „Ich hatte eine VHS-Kassette von Raffi, dem Kindermusiker, und schaute sie mir jeden Tag an. Ich war fünf oder sechs und genau das wollte ich tun.“ Auch Lenker war schon immer besessen von Musik: „Das war nie eine Frage. Seit ich sechs war. Seitdem gab es nie eine andere Option.“

„Als Kind macht es so viel Spaß, weil man keine Vorstellung davon hat, was eine Musikkarriere ist“, reflektiert Krivchenia. „Du weißt einfach, dass du es gerne machst und deine Zeit damit verbringst. Das ist so ein Geschenk.“ Meek ergänzt: „Es schützt dich davor, den Kontakt zur Quelle zu verlieren.“ Und das haben Big Thief sich auch behalten. Ihnen ist es klar: Es sollte immer um die Kunst selbst gehen.

Die Flamme pflegen und den Reifen zentrieren

Krivchenia erklärt: „Das Leben verändert sich um einen herum. Aber es gibt diese Glut im Kern. Am Anfang macht man Musik, weil es aufregend und spaßig ist. Wir legen immer großen Wert darauf, sicherzustellen, dass diese Flamme gepflegt wird. Und wenn es nicht mehr darum geht, müssen wir innehalten und sagen: ‚Wartet, das sollte Spaß machen! Oder zumindest inspirierend und bedeutungsvoll sein. Ackern wir zu hart oder konzentrieren wir uns nicht ausreichend darauf?‘ Und das dient immer dem Grundgefühl: einfach Musik um der Musik willen.“

Auch Lenker merkt an, dass es nicht immer einfach sei, das beizubehalten: „Wie mir klar wurde, ist der Prozess, ehrlich zu sein, eine tägliche Aufgabe. Wie wenn man einen Reifen zentriert und dafür sorgt, dass er gut rollt. Wir stellen uns ständig darauf ein, mit dem ursprünglichen Grund für das Musizieren in Kontakt zu bleiben. Wir haben uns der Bewegung verschrieben, aber auch der Stille, und das ist meiner Meinung nach der Ort, an dem das Zuhören stattfindet. Es ist wie der stille Punkt in dir selbst, der beobachtet und zuhört, während sich all diese Dinge verändern.“ Wie Lenker glücklich beobachtet, ist Big Thief das aber gelungen.

Das Ergebnis des gegenseitigen Zuhörens, Double Infinity, kommt am 5. September. Und dazu dann auch ein zweiter Teil des Interviews, über den Weg zum neuen Album.

Weiter stöbern im Circle Mag: