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Foto: Harry Steel

Creeper im Interview: „Wir sind im Zauberbusiness, nicht im Musikbusiness“

Im Laufe einer Dekade haben Creeper bereits mehr Inkarnationen durchlaufen als die meisten anderen Bands es jemals tun werden. Von den frühen Erwartungshaltungen einer neuen Emo-Horror-Punk-Hoffnung haben sich die Engländer:innen schnell frei gemacht und sich auf jedem ihrer Alben radikal neu erfunden – ganz abseits aktueller Trends.

Creepers neues, viertes Album Sanguivore II: Mistress Of Death zelebriert den Pomp der 80er, irgendwo zwischen Satanic Panic, Sex, Kitsch und Stadionrock. Das exzessive, augenzwinkernde Horror-Spektakel schöpft dabei aus den obskursten Inspirationsquellen – von Billy Idol und Misfits über The Sisters Of Mercy und The Damned bis hin zu Meat Loaf,  Bonnie Tyler und der Rocky Horror Picture Show.

Wir trafen Sänger Will Gould in Berlin zum Interview über große Inszenierungen, den Spaß am Horror und den Reiz der Nostalgie.

Will, mit Sanguivore II: Mistress Of Death veröffentlicht ihr eine Fortsetzung des Vorgängers von 2023. Warum hattet ihr das Gefühl, dass es da noch was zu sagen gibt?

Ich finde Fortsetzungen generell sehr spannend. Außerdem hatten wir zum einen noch nie eine gemacht, und zum anderen kennt uns unser Publikum dafür, dass wir am Ende eines Zyklus’ alles niederbrennen und neu anfangen. Dieses Mal hielt ich es für eine gute Idee, es anders zu machen. Es gab eine wirklich starke Begeisterung für die Sanguivore-Ära. Wir hatten damals eigentlich nur für ein Musikvideo Make-up getragen. Als wir dann Konzerte spielten, trug das Publikum selbst dieses Make-up. Und wir dachten: Oh Gott, jetzt müssen wir auch damit anfangen. (lacht) Es gab überall so starke Reaktionen, dass wir das Gefühl hatten, dass wir noch “unfinished business” hatten – wie Casper, der freundliche Geist.

Wie sind die beiden Sanguivore-Alben miteinander verbunden?

Es gibt ein Sanguivore-Universum und eine Vampir-Blutlinie, die es durchzieht. Aber jede Platte aus der Sanguivore-Ära ist eine Art Momentaufnahme einer anderen Zeitperiode. Die erste handelt von etwas, das vor langer Zeit stattfand, und diese spielt in den 1980er Jahren, aber es ist dieselbe Blutlinie, nur an verschiedenen Punkten der Geschichte.

„Dieses Album ist so gay und genau aus diesem Grund macht es wirklich viel Spaß.“

Wie viel von euch selbst erkennst du in der Vampir-Rockband wieder, von der dieses Album handelt?

Als wir uns während unserer letzten US-Tour für unsere Shows geschminkt haben, wurde uns klar, dass wir im Grunde genommen eine Vampir-Rockband auf Tournee in Amerika waren. Die Geschichte kam uns also in den Sinn, weil wir dazu geworden sind – als wäre es etwas, in das wir ganz natürlich hineingeraten sind. Das war wirklich aufregend und hat Spaß gemacht. Das alles passte irgendwie zum Geist von Ziggy Stardust And the Spiders From Mars oder Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band, also der Rock-'n'-Roll-Tradition, eine fiktive Rockband zu erfinden und damit auf Tour zu gehen. Es fühlte sich irgendwie so an, als wären wir das einfach durch den Willen unserer Fans geworden. Also ja, wir haben viel von uns selbst in das Album gesteckt, und es war eine echte Möglichkeit, zu zeigen, was jede:r kann. Es gibt viele Gitarrenduelle, aber Hannah [Keyboard, Gesang] hat auch viel Raum. Außerdem gibt es wirklich großartige Drum- und Rhythmusparts. Alle zeigen, was sie können.

Wie ist deine Beziehung zu euren ersten Album heute? Fühlst du immer noch die gleiche Verbindung oder eher eine Art Entfremdung?

Nein, ich liebe sie. Sie sind alle wie unsere Kinder. Wir haben diese Alben geschaffen und sie repräsentieren echte Kapitel in meinem Leben. Ich kann mich genau daran erinnern, wo ich war, als wir aufgetreten sind und was wir damals gemacht haben. Ich liebe es, die Songs zu spielen und habe immer noch die gleichen Gefühle dabei. Natürlich gibt es immer Dinge, die man heute anders machen würde, aber im Großen und Ganzen bin ich wirklich stolz auf das, was wir in den frühen Tagen geschaffen haben, als wir kaum finanzielle Mittel hatten und einfach coole Sachen mit unseren Freund:innen gemacht haben.

Wie hängen die verschiedenen Epochen, die ihr als Band durchlaufen habt, deiner Meinung nach mit deinem Erwachsenwerden und deiner persönlichen Selbstfindung zusammen?

Das ist eine wirklich gute Frage, denn ich glaube, genau das tun sie tatsächlich. Unsere allererste Platte basierte auf der Geschichte von Peter Pan, dem Buch von J.M, Barrie, und alle unsere Konzepte zu dieser Zeit spiegelten diese Charaktere wider. Und dann haben wir diese amerikanische Platte gemacht, die sich um Sex drehte: Sex, Death & The Infinite Void. Diese Zeit war sehr schwierig, da uns viele Mental-Health-Probleme umgetrieben haben, und das spiegelte sich ebenfalls sehr. Auch hier war alles unter dem Konzept und den Charakteren verborgen, aber darunter liegen sehr reale Dinge.

Sanguivore war für uns als Band wie eine Wiedergeburt, und der wiedergeborene Vampir war ein großartiges Motiv, um darauf Bezug zu nehmen. Dieses neue Album zeigt wirklich, wo wir jetzt stehen, und ich denke, es zeigt auch, wie viel Spaß wir damit haben. Es ist unsere Philosophie, dass Rock’n’Roll Spaß machen sollte und man sich dabei selbst entdecken können sollte. Creeper wird mehr und mehr zu einem Safe Space für viele Menschen. Die Leute kommen zu uns, weil sie der Realität entfliehen und sich für eine Weile ihrer Fantasie hingeben wollen. Im Laufe der Jahre sind wir etwa immer selbstbewusster im Bezug auf unsere Sexualität geworden und das zeigt sich auf diesem Album: Es ist so gay und genau aus diesem Grund macht es wirklich viel Spaß. Wir hoffen, dass andere Menschen das genauso sehen und sich weiterhin verkleiden und sich während dieser Dreiviertelstunde einfach gut fühlen.

„Ich hatte immer das Gefühl, dass Grunge-Musik Hair Metal ruiniert hat.“

Diese Campiness, diese Übertreibung ist auf diesem Album sehr präsent. Das hat natürlich mit den Einflüssen zu tun, die ihr aus den 80ern bezieht, denn Rock war damals so bombastisch und theatralisch. Vermisst ihr das in der heutigen Rockszene?

Ja, ich finde es heutzutage schwierig, irgendetwas an Rockmusik zu kritisieren, weil es in der Musikbranche bekanntlich kein Geld mehr zu verdienen gibt, aber es ist nun mal so. Es ist manchmal deprimierend zu sehen, was aus alternativer Musik geworden ist, wenn da nur noch ein:e Sänger:in mit einem Laptop statt einer Band auf der Bühne steht. Ich liebe die 1980er Jahre wirklich, wegen der Frisuren, der Glam-Metal-Bands und so weiter. Das hat unsere Arbeit offensichtlich massiv beeinflusst. Aber es war auch eine sehr problematische Zeit damals. Wir versuchen, einige dieser Klischees aufzugreifen, sie zu aktualisieren und in neue Kontexte zu setzen – zum Beispiel diese sehr queere Vampir-Orgie im Blood Magik-Video. Ich vermisse auf jeden Fall die Verspieltheit und den Bombast der Musik dieser Zeit. Und ich konnte Grunge-Musik nie leiden. (lacht) Ich hatte immer das Gefühl, dass sie Hair Metal ruiniert hat. Das war viel spaßiger und verspielter.

Doch plötzlich wollten alle cool sein …

Ja. Ich mag auch Musik, die sich selbst ernster nimmt, natürlich, das tun wir alle. Aber ich fand es einfach schade, dass eine so spaßige Ära von etwas so Langweiligem überschattet wurde.

Ist dir Coolness also unwichtig? Auf diesem Album hört man immerhin viel Meat Loaf, Jim Steinman und Bonnie Tyler raus – Musiker:innen, die unsere Generation nicht unbedingt cool findet. Oder sind das eher Guilty Pleasures?

Die besten Menschen, die ich in meinem Leben getroffen habe, würden sich selbst nie als cool bezeichnen. Und es hat wirklich etwas sehr Unangenehmes, wenn ein cooler Typ vor etwas die Nase rümpft. Solche Leute sind nie besonders unterhaltsam. Ich würde nie mit solchen Leuten tanzen wollen, also mag ich einfach, was ich mag. Ich glaube nicht wirklich an Guilty Pleasures, aber mir wurde immer gesagt, dass ich alles mag, was man so bezeichnen würde. (lacht) Meat Loaf ist einer meiner absoluten Favoriten. Bonnie hat eine der besten Stimmen, die es je in der Rockmusik gab. Ich liebe all diese Musiker:innen und finde sie wirklich unterhaltsam. Was Creeper macht, ist sowieso nicht trendy. Wir werden nie das coole, hippe Ding sein, das für einen Moment in aller Munde ist. Wir sind einfach in unserer Ecke der Welt und machen unser Ding. Aber das Schöne daran ist, dass wir viele Menschen ansprechen, die wie wir das Gefühl haben, dass sie nicht dazu passen oder nicht cool sind oder in ihrer kleinen Ecke der Welt nicht verstanden werden.

Der Spaß scheint nicht nur im Rock verloren gegangen zu sein, sondern auch im Horror: Horrorfilme sind heute sehr ernst und düster. In den 80ern konnte man über vieles noch lachen und hat das alles nicht so ernst genommen. Weinst du dem nach?

Ja, auf jeden Fall. Meine Freundin schaut die düstersten Horrorfilme an, die man sich vorstellen kann und ich fühle mich nach sowas einfach nur elend. Aber die Klassiker sind meine Favoriten. Wir versuchen, diesen extravaganten Vibe heraufzubeschwören, als würde man einen klassischen Horrorfilm sehen. Alles ist etwas kitschig und lustig, und am Ende ist unser Make-up komplett verschmiert. Wir verkaufen dir eine Eintrittskarte für ein Pantomimenstück, aber am Ende bekommst du etwas sehr Aufrichtiges und Authentisches – im Gegensatz zu anderen Bands, die versuchen, Authentizität und Street Cred zu verkaufen und damit die wahren Pantomimen sind.

„Wir sind der Babadook auf jeder Halloween-Party.“

Mir fiel bereits nach den ersten Momenten des neuen Albums der Begriff “Rockoper” ein. Das macht ja seit den 70ern irgendwie niemand mehr – zumindest nicht unter diesem Begriff. Könntet ihr die Band sein, die die Rockoper zurückbringt?

Ja, ich denke, Creeper hat eine alte Seele. Es ist, als wären wir immer ein bisschen aus dem Takt, wenn es darum geht, was gerade angesagt ist. Wir sind der Babadook auf jeder Halloween-Party. Wir sind immer overdressed für den Anlass und holen inmitten aller Ernsthaftigkeit die Jazz Hands raus. Das gilt auch für die Art von Theatralik, die wir mit diesem opernhaften Charakter auf unseren Alben zeigen. Die Idee, dass ein Album beginnt und die Hörer:innen auf eine Reise mitnimmt, die an einem bestimmten Punkt endet, ist etwas, worauf wir uns sehr konzentrieren. Es fühlt sich an, als würden wir Filme machen. Ich sage immer, dass Creeper eher im Zauberbusiness als im Musikbusiness tätig ist, weil so viele brillante Kreative an dem Projekt mitarbeiten – für das Make-up, Special Effects, Prothesen, Visuals, Social Media. Wir haben eine ganze Reihe von Charakteren, die uns ständig umgeben. In diesem Sinne fühlt es sich sehr nach einer Theaterproduktion an, wenn wir auf Tour sind, besonders in Großbritannien, wo wir etwas mehr in die Produktion investieren können.

Klingt so, als wäre ein Film nur eine Frage der Zeit … 

Das würde mir gefallen. Stell dir vor, du könntest damit auf Tournee gehen und müsstest nicht singen. (lacht)

Welche drei Filme würdest du den Leuten empfehlen, um sich auf dieses Album vorzubereiten?

Near Dark mit Bill Paxton aus den 1980er Jahren. Viele unserer Vampir-Looks mit den Sonnenbrillen und Lederjacken sind davon inspiriert. Das ist wirklich eine ganz offensichtliche Referenz. Außerdem natürlich The Lost Boys, der aus einer ähnlichen Zeit stammt und einen der besten Soundtracks hat, die es je in einem Vampirfilm gab. Und passend dazu fällt mir The Hunger mit David Bowie ein – ein sehr sexy Vampirfilm, der ebenfalls einen großen Einfluss auf unsere Ästhetik hat.

Hast du das Gefühl, dass es nach diesem Album Zeit wird, sich wieder etwas Neuem zuzuwenden oder besteht die Chance auf einen Teil drei der Sanguivore-Reihe?

Das ist eine schwierige Frage, weil wir bis vor kurzem nie wirklich daran gedacht haben, überhaupt ein Sequel zu machen. Ich mag die Idee einer Trilogie im Creeper-Oeuvre und habe bereits überlegt, was die Themen sein könnten. Die ganze Band ist so stolz auf dieses Album und die Begeisterung dafür erreicht gerade einen kleinen Höhepunkt. Ich weiß nicht genau, wie es weitergehen wird, aber es ist schön, dass die Leute mehr wollen. Und wir haben Ideen. Natürlich gibt es immer Ideen, aber wir versuchen, diese ein wenig für uns zu behalten, denn das Element der Überraschung ist uns sehr wichtig.

Auf diesem Album ist auch wieder die absolute Legende Patricia Morrison zu hören. Die hat sich ja eigentlich in den letzten 25 Jahren aus der Musikbranche zurückgezogen ...

Patricia ist eine sehr gute Freundin von mir, ich habe sie vor einiger Zeit bei einer Preisverleihung kennengelernt. Ich bin großer Fan von The Gun Club und The Sisters Of Mercy und im Gespräch kam heraus, dass sie ihre Tochter Emily seit Jahren zu Creeper-Konzerten begleitet. So wurden wir zu Freund:innen. Sie hatte ja schon ein Spoken-Word-Stück für Sex, Death & The Infinite Void eingesprochen und als klar wurde, dass wir einen Voiceover-Part auf diesem neuen Album haben würden, fiel die Wahl schnell auf sie – sie war schließlich der ultimative 80s-Goth. Sie ist die Beste – so liebenswert und voll unglaublicher Geschichten aus ihrem Leben.

Creeper verbindet also Generationen.

Nun, das Coole ist, dass wir mit unserer Musik mittlerweile alle möglichen Menschen ansprechen. Wir merken, dass zu unseren Shows etwa Mütter und Väter in Jeanswesten mit ihren jungen Töchtern kommen. Die scherzhaften, sexy Rocky Horror-Parts verstehen die Kids vielleicht nicht so richtig, aber die Eltern wissen Bescheid. Es ist cool, dass diese Sounds für die jüngere Generation neu sind, aber für die ältere Generation schöne Erinnerungen an die Vergangenheit wachrufen. Wir können uns glücklich schätzen, in dieser Position zu sein.

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