Das Girl aus dem Song: Wer wirklich hinter Lola, Angie und dieser Prudence steckt
popkultur27.04.20
Wer sind eigentlich die ganzen Mädchen, die die Stones, die Beatles, Lou Reed oder Leonard Cohen da so fleißig in ihren Liedern besingen? Eine musikalisch-romantische Spurensuche ins Herz der Popkultur.
von Björn Springorum
Boy meets girl ist in der Popmusik der letzten 60 Jahre das beliebteste Thema gewesen. Und während natürlich zu hoffen ist, dass in den nächsten Jahren immer öfter girl meets girl oder boy meets boy daraus wird, bleibt fürs Erste festzuhalten, dass die Popmusik ohne die Liebe (die erfüllte oder die unerfüllte) nur halb so schön wäre. Fleißig, reichlich und unbeirrbar besingen die Herren Popmusikanten ihre Angebeteten, Verflossenen oder Herzdamen in weltberühmten und unsterblichen Songs. Die eigentlichen Musen, die Protagonisten in den Strophen und Refrains, die bleiben aber weitgehend anonym oder sind längst in Vergessenheit geraten. Bis jetzt!
The Hollies: Carrie Anne
Der Aufstieg und Fall der Marianne Faithfull ist beispiellos und tragisch.
Mick Jagger und seine Freundin Marianne Faithfull in London. Foto: Dove/Daily Express/Hulton Archive/Getty ImagesMit 17 taucht sie in Londons Künstlerszene auf, verdreht allen den Kopf. Mick Jagger und Keith Richards schreiben ihr As Tears Go By, mit dem sie als Popstar durchstartet und mit den Hollies auf Tour geschickt wird. Mit Sänger Allan Clarke hat sie eine Affäre, obwohl er verheiratet ist, mit Graham Nash freundet sie sich an. Der empfindet aber offensichtlich mehr für sie als sie für ihn: Er schreibt Carrie Anne über sie, traut sich aber jahrzehntelang nicht, das zu verraten. Erst 1995 erfährt die Popwelt, dass dieser Song von ihr handelt.
Leonard Cohen: Chelsea Hotel No. 2
Ein legendärer Song über eine legendäre Frau an einem legendären Ort: Leonard Cohen erzählt von seiner Nacht mit Janis Joplin in Zimmer 104 des Chelsea Hotel in New York City.
Sängerin Janis Joplin in New York,1969. Foto: David Gahr/Getty ImagesCohen, ein großer Fan des Hotels, sagte mal: „Ich mag Hotels, in die man um vier Uhr morgens mit einem Zwerg, einem Bären und vier Ladys im Schlepptau einchecken kann, ohne es das jemanden stört.“ Oder eben mit Janis Joplin.
The Beatles: Dear Prudence
Als John Lennon und die Beatles in Rishikesh auf der Suche nach kosmischer Erfüllung, Erleuchtung und manch anderem sind, befindet sich in ihrer Meditations-Gang auch Prudence Farrow, die Schwester von Mia Farrow. Während es die Beatles eher locker sehen und sich Zeit nehmen für den Pfad ins Glück, übertreibt es Prudence gehörig mit dem Meditieren, bis alle im Camp Sorge um ihre geistige Gesundheit haben. Die Beatles versuchen, sie mit Gesang aus ihrer Hütte zu locken, Lennon schreibt sogar Dear Prudence für sie. Wer kann schon von sich behaupten, von den Beatles einen Song geschrieben bekommen zu haben, nur weil man seine Hütte am Fuß des Himalayas nicht verlässt?
The Velvet Underground: Femme Fatale
Mit nur 28 Jahren wird Edie Sedgwick tot in ihrem Schlafzimmer gefunden. Unfall oder Selbstmord ist nicht klar, ändert aber nichts an der Tragik einer weiteren viel zu früh verschiedenen Persönlichkeit der Sechziger. Mit Anfang 20 erregt sie die Aufmerksamkeit von Andy Warhol, der sie zum It-Girl in seinem Factory-Kosmos macht, zu seiner Königin. Er überredet Lou Reed sogar, einen Song über sie zu schreiben – Femme Fatale, ein Song, dessen Titel schon alles sagt. Auch Dylan, den sie im Chelsea Hotel kennenlernt, widmet ihr Songs – gerüchteweise sogar Like A Rolling Stone!
Donovan: Jennifer Juniper
Jenny Boyd ist eine dieser strahlenden Hippie-Erscheinungen, denen man sofort erliegt. Ihre Schwester heiratet George Harrison, sie geht bei den Beatles ein und aus, arbeitet auch in der verlustreichen Apple-Boutique und heiratet Mick Fleetwood gleich zweimal. Mit Donovan, so beteuert der schottische Troubadour zumindest, läuft nie etwas. Verknallt ist er dennoch in Boyd – und schreibt ihr kurzerhand das unschuldige Jennifer Juniper. Allemal besser als Fleetwood, der seine Frau mit keinem einzigen Song bedenkt.
The Kinks: Lola
Obwohl die Geschichte, dass die Kinks ihre stürmische Nummer am legendären New Yorker Transvestiten Candy Darling aufgehängt haben, der auch das Vorbild für Walk On The Wild Side ist, die coolere ist, ist sie wahrscheinlich nicht wahr. Der Realität am nächsten kommt die: Kinks-Manager Robert Wace tanzt bei einer exzessiven Party in seinem Apartment die ganze Nacht mit einer dunkelhäutigen Frau, der er mit Haut und Haar verfallen war. Als am nächsten Morgen Sonnenlicht das Apartment erhellt, erkennt Wace Bartstoppeln am Kinn der Frau. Die, so stellt sich heraus, ein Mann ist. Passiert...
The Rolling Stones: Angie
Die Stones-Nummer ist beispiellos, was Mythen und Mären rund um ihre Bedeutung angeht. Seit 1973 wird gerätselt, wer diese Angie ist, die Mick Jagger so wunderschön das Herz bricht. Keith Richards‘ damalige Flamme Anita Pallenberg? Jaggers Ex Marianne Faithfull? Oder doch eher Bowies Frau Angela? Alles Quatsch, sagt Keith Richards 1993 dann endlich: Der Name des Songs wurde von der Geburt seiner Tochter Angela inspiriert. 2010 revidiert er das. Jetzt ist der Name einfach nur Zufall. Wir werden also vielleicht nie erfahren, um wen es im Text geht.