Wäre es nach ihnen gegangen, hätten Kreator ihr Debüt Endless Pain erst später aufgenommen. Doch Kumpel und Gelegenheitsmanager Andreas „Stoney“ Stein sorgt früh für einen Plattenvertrag – und plötzlich geht alles ganz schnell. So richtig zufrieden ist Kreator-Frontmann Mille Petrozza mit dem Ergebnis nicht.
1984 ist die Thrash-Metal-Szene in Deutschland noch übersichtlich. In Südbaden lärmen Destruction, am Main stoßen Tankard lautstark an und in Gelsenkirchen-Buer knarzen Sodom, die damals noch eher im Black Metal unterwegs sind. In Essen-Altenessen wiederum ist 1982 eine Truppe namens Tyrant an den Start gegangen, die inzwischen Tormentor heißt. Weil Gitarrist Miland „Mille“ Petrozza, Bassist Rob Fioretti und Schlagzeuger Jürgen „Ventor“ Reil beim Tape-Trading mithalten wollen, spielen sie ihre ersten Demos Blitzkrieg und End Of The World ein. Die Aufnahmen öffnen ihnen viele Türen, was vor allem daran liegt, dass ihr Kumpel Andreas „Stoney“ Stein zwei Labels anschreibt – ohne die Band zu fragen.
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Endless Pain: Kreator und das Debüt, für das sie noch nicht bereit waren
Tormentor fühlen sich damals fit für Konzerte und Demos, aber keinesfalls für die Produktion ihres Debütalbums. Besonders im Vergleich zu US-Kollegen wie Metallica, Slayer und Exodus haben sie den Eindruck, noch lange nicht gut genug zu sein. Doch ihrem Kumpel und Gelegenheits-Manager Stoney ist das egal. Er glaubt an ihr Potenzial und ist sich sicher: Die Jungs müssen jetzt loslegen, sonst rast der Zug an ihnen vorbei. Er bewirbt die Gruppe bei den beiden großen deutschen Metal-Labels Noise Records und SPV. Wenig später besucht er Tormentor in ihrem Proberaum und wedelt mit einem Plattenvertrag vor ihrer Nase herum. Ein wichtiger Schritt für die Gruppe aus Altenessen. Doch werden sie es packen? Sie trauen sich.
Die Aufnahme von Endless Pain geht im CAT Studio in Berlin über die Bühne, und zwar in zwei Wochen. Viel Zeit für eine junge Band, wenn man bedenkt, dass Black Sabbath ihr Debüt 15 Jahre zuvor an nur einem Tag einspielen mussten. Produzent Horst Müller zeigt sich wenig beeindruckt vom Sound der Ruhrpott-Jungspunde. Doch Tormentor – die sich nach der Produktion in Kreator umbenennen – lassen sich nicht beirren. Gitarrist Petrozza übernimmt endgültig das Mikro, nachdem er sich den Posten zuvor noch mit Schlagzeuger Reil teilte. Das Ergebnis der Sessions sind Klassiker wie der Titeltrack und Tormentor, die bis heute zu den Eckpfeilern der Kreator-Historie zählen. So richtig zufrieden ist Frontmann Petrozza allerdings tatsächlich nicht.
Früher schambehaftet, heute ein Klassiker
Obwohl die Band nun ihr Debüt eingespielt und am 11. Oktober 1985 veröffentlicht hat, verschickt Petrozza beim Tape-Tauschen weiterhin die Tormentor-Demos. Sein Gefühl hat sich bestätigt: Die Band war noch nicht bereit für ihr Debütalbum und er ist unglücklich mit dem Ergebnis. Noch im Studio beim Abhören bemerkt er die zahlreichen kleinen Fehler, die ihm und seinen Jungs unterlaufen sind. Doch ihr Kumpel Stoney hatte ebenfalls recht: Dadurch, dass Kreator früher als viele andere losgelegt haben, profitieren sie von einem zeitlichen Vorteil gegenüber den anderen deutschen Metalbands, die ihre Debüts erst 1987 oder 1988 an den Start bekommen. Kreator werden Teil der Speerspitze des deutschen Thrash. Heute sind sie sogar die Speerspitze.
Mehr als 5.000 Exemplare von Endless Pain gehen damals über die Ladentheke – eine beachtliche Zahl für eine Band, die noch kaum jemand kennt. Das ändert sich rasch: Plötzlich tauchen auf Konzerten Kutten mit frisch aufgenähten Kreator-Patches auf, die dem Debüt beilagen, wie die Musiker später erfahren. Selbst in den USA landet die Platte auf den Turntables einiger mutiger Underground-DJs. Die Szene ist noch familiär, auch über Kontinente hinweg. Wenn eine neue Band ihr Debüt veröffentlicht, spricht sich das herum. Und Kreator profitieren von ihrem frühen Start: Während andere noch im Proberaum schwitzen, laufen sie bereits jenseits des Atlantiks. Was das zur Folge hat, wissen wir heute: Übersichtlich bleibt die deutsche Thrash-Szene nicht mehr lange.