Das meiste an Nick Drakes Karriere verläuft tragisch. Allen voran natürlich sein viel zu früher Tod, aber eben auch der beschämende Kaltstart seines einnehmenden Debüts Five Leaves Left. Heute längst einer der ganz großen Klassiker – bei Erscheinen 1969 doch nur ein müdes Gähnen wert. Jetzt erscheint das Meisterwerk in einer autorisierten und erweiterten Ausgabe neu.
In Großbritannien gibt es heute im gesamten Folk-Genre wohl keine einzige Person, die abstreiten würde, von Nick Drake beeinflusst zu sein. Der weltabgewandte Barde mit der melancholischen Musik verbringt die meiste Zeit seiner kurzen Karriere in relativer Bedeutungslosigkeit. Erst ab den Achtzigern werden seine drei Alben wiederentdeckt – und binnen weniger Jahre zu Klassikern. Plötzlich steigt der hoffnungslose Romantiker, dessen Musik stets eine neblige, entrückte Mystik umgab, zum Heiligen der Folkmusik auf, zum Soundtrack-Darling kauziger Indie-Filme und zum ausgewiesenen Vorbild für Kate Bush, Robert Smith, Bon Iver.
Zu pastoral, zu englisch, zu romantisierend?
Wie zum Henker konnte es dann passieren, dass sich in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern so gut wie niemanden für seine wundervoll verklärte Musik interessierte? Vielleicht ja weil er selbst in der damaligen Zeit, in der Folk durch Dylan zur Massenware wurde, nicht dazu passte? Herausstach? War seine Musik zu pastoral, zu englisch, zu romantisierend an ein untergegangenes England der viktorianischen Zeit angelehnt, in der man unter Sonnenschirmen im Park spazieren ging?
Vielleicht. Vielleicht war sie aber auch einfach zu gut. Zu anspruchsvoll für die auslaufende Hippie-Bewegung und die heraufziehenden wilden Siebziger. Im Grunde war Nick Drake Poet und Musiker zugleich, einer, der William Blake und William Butler Yeats nicht nur las, sondern sich einverleibte. Von ihnen übernimmt er seine Symbolik, seine Naturmystik. Nach seiner Geburt in Burma wächst er im ländlichen Südengland auf und verfällt dem Herbst so sehr, dass er ihn später nur mit Mühe aus seiner Musik heraushalten kann. Die wird vom Pianospiel seiner Mutter ebenso geprägt wie von Dylan, Paul Simon oder Donovan. Insbesondere A Hard Rain’s A-Gonna Fall hinterlässt im jungen Nick Drake einen derart bleibenden Eindruck, dass er selbst Musiker werden will. Miles Davis, Jazz oder Klassik ziehen ihn auch an. In der Nacht seines frühen Drogentods hört er Bachs Brandenburgische Konzerte.
„Er sah aus wie ein Star“
Der Weg zu seinem Debüt Five Leaves Left ist lang und steinig. Er lernt Klarinette, dann Saxofon und Piano. Erst 1965, mit 17, kauft er sich seine erste Akustikgitarre, eine Levin, auf der er sein eigentümliches, faszinierendes Fingerpicking entwickelt, das irgendwo zwischen Folk, höfischer Musik und Flamenco irrlichtert. Die profunde Melancholie, die den jungen Drake einhüllt, macht ihn als Student in London schnell zur mystischen Figur. Er spielt in kleinen Clubs und Cafés, wird von Ashley Hutchings von Fairpoint Convention entdeckt. „Er sah aus wie ein Star. Er sah wunderbar aus, er schien zwei Meter groß zu sein“, so erinnerte er sich mal.
Hutchings ist es auch, der Nick Drake mit dem Produzenten Joe Boyd bekannt macht. Er wird Zeit seines Lebens Drakes Mentor bleiben. Die beiden arbeiten zusammen, Drake ignoriert sein Literaturstudium im Cambridge fortan und nimmt im Herbst 1968 (natürlich) mit Boyd sein erstes Album auf. Eine schwere Geburt: Boyd verfolgt eher die Philosophie des Beatles-Produzenten George Martin und will das Studio als Instrument nutzen, während Drake ein intimer, organischer Klang vorschwebt. Die Arbeiten im Londoner Sound Techniques Studio sind irgendwann dennoch abgeschlossen – auch wenn sie immer wieder mühsam in die freien Stunden zwischen den Aufnahmen von Fairpoint Convention geschoben werden müssen, die im selben Studio Unhalfbricking aufnehmen.
Hier gibt's das Making-Of zum Debüt von Nick Drake:
Bis zu seinem Tod wurden nur 4000 Platten verkauft
Neben zahlreichen Studiomusikern für die klassische Kammerorchester-Instrumentierung sind auch Fairport-Convention-Gitarrist Richard Thompson und Pentangle-Bassist Danny Thompson auf Five Leaves Left zu hören. Durchaus ein kleiner Promi-Boost, der dem Album dennoch nicht hilft. Bei Erscheinen im Sommer 1969 interessiert sich niemand so wirklich für dieses wunderschöne, rührende, poetische Album irgendwo zwischen Folk, Kammermusik und Jazz.
Erst lange nach seinem tragischen Überdosistod 1974 nähert man sich seinem Werk erneut an und entdeckt eine sehnsüchtige Schönheit darin, die Drake von allen anderen Songwritern seiner Generation abhebt. Gesungen in halblauten Tönen, wie gemacht für Englands Natur, geht Five Leaves Left als eines der schönsten Folk-Alben überhaupt in die Geschichtsbücher ein. Spät, aber besser als nie. Und obwohl Nick Drake zunehmend verbitterter wird, weil seine Musik weitgehend auf Ignoranz stößt (er verkauft zu Lebzeiten ganze 4000 Platten!), schreibt er zwei weitere Alben, darunter sein Meisterwerk Pink Moon. Wir können alle dankbar dafür sein, dass Nick Drake seine herbstliche Vision für eine kurze Zeit mit uns allen teilen konnte.
Davon erzählt The Making Of ‚Five Leaves Left‘, das definitive Making-Of dieses Albums mit unveröffentlichten Demos, Studio-Outtakes und bisher ungehörten Songs auf vier Discs, die die Geschichte erzählen, wie Nick Drakes Debütalbum 1969 bei Island Records veröffentlicht wurde.