Wir haben mit Dave Bayley, Frontmann von Glass Animals, gesprochen: Über das neue Album I Love You So F***ing Much, seine Lieblingsplatten und jegliche Formen der Liebe.
Glass Animals: Abkühlung nach den Hitzewellen
Glass Animals befinden sich in einer spannenden Zeit. Nicht nur hat die Indie-Pop-Band im Juli ihr neues Album I Love You So F***ing Much veröffentlicht, dieses entstand auch während eines großen Umbruchs: Mit dem vorherigen Album Dreamland, vor allem aber der Single Heat Waves, erreicht die britische Band ein plötzlicher, riesiger Erfolg. Natürlich sind Glass Animals schon seit circa zehn Jahren ein geläufiger Begriff, dank der verdienten Anerkennung für Alben wie How To Be A Human Being auch außerhalb der Indie-Kreise. Heat Waves, welcher aktuell über 3 Milliarden Streams auf Spotify zählt, hat die Band dennoch in viel größere Dimensionen geworfen.
Sänger, Multi-Instrumentalist und Songwriter Dave Bayley verrät uns im Interview, wie sich das auf das neue Werk auswirkte: „Ich fühlte mich sehr realitätsfremd nach dem letzten Album. Es hatte uns auf diese verrückte Reise genommen, die ich aber hauptsächlich übers Internet mitverfolgte wegen Covid. Nichts fühlte sich echt an. Deswegen wollte ich herausarbeiten, was echt ist, und – am allerwichtigsten – mich wieder erden.“ Was bedeutet das nun thematisch für das Album, was ist „echt“? Der Titel I Love You So F***ing Much gibt schon einen Hinweis: Liebe.
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Gerade in der Zeit, in der so viel Aufmerksamkeit auf Dave Bayley und den Rest der Band gerichtet wurde, habe er das gemerkt: „Leute sagen dir, dass du immer extrovertiert sein musst und dies machen musst, sei auf Social Media und so weiter. Aber nichts davon ist echt. Do real shit!“ Und warum ist ausgerechnet Liebe nun dieser „real shit“? Weil sie immer da ist, immer Thema ist.
„Liebe hat uns alle geformt. Seit dem Anfang des Lebens, jeden Tag bis jetzt, auf extreme Art und Weise. Von dem Moment an, an dem du geboren bist, existiert Liebe zwischen dir und deiner Mutter, Familie, wer auch immer dich großzieht. Sogar bevor du geboren bist, hörst du es in den Gesprächen von Leuten. Und das ist komplett grundlegend, aber wir alle haben unterschiedliche Erfahrungen damit. Dieser Entwurf dessen, was Liebe sein oder nicht sein kann oder sollte, bildet sich schon in diesem jungen Alter.“
Nicht nur romantische Liebe
Man würde denken, Liebe sei ein Thema, das schon so oft in Musik abgegrast wurde, dass schon alles gesagt sei. Aber Glass Animals belehren uns eines anderen. Auf den zehn Songs begegnet uns Liebe in verschiedensten Formen: „Gute Liebe, schlechte, gruselige… Es kann alle möglichen Emotionen haben“, erklärt Dave. „Es klingt so fröhlich, wenn man sagt, es geht um Liebe, aber es geht um alle möglichen Dinge.“ How I Learned To Love The Bomb etwa behandelt die abstoßende und gleichzeitig anziehende Wirkung der dunkleren, schlechten Seiten eines geliebten Menschen. Wonderful Nothing wiederum behandelt die Liebe zum Hass – klingt erstmal paradox, aber wenn man darüber nachdenkt, ist das ein Phänomen, das schon immer existiert und in den letzten Jahren leider immer sichtbarer wird, wenn man etwa aktuelle politische Trends betrachtet.
Bayleys Lieblingssong auf dem Album ist allerdings ein anderer: Lost In The Ocean. Denn dieser ist als letzter Track ein bisschen wie das Fazit und der Ausblick der Platte. „Im ganzen Album geht es um unterschiedliche Arten von Liebe, hauptsächlich gruselige und traurige. Und im letzten Track geht es darum, die Schönheit in all diesen Momenten zu sehen, und wenn man das tut, wird alles in Ordnung sein. Es ist das erste Zeichen von Optimismus.“ Stimmt, selbst wenn man diese Erklärung nicht kennt, hört man direkt, dass dieser Song etwas fröhlicher klingt als die meisten auf dem Album.
Hunde und Dinosaurier
Um diese ganzen Perspektiven auf Liebe zu erforschen, musste Bayley viel in der eigenen Vergangenheit kramen. Für die nächste Glass Animals-Platte ist er daher offen, etwas anderes zu probieren: „Beim Album denke ich mehr über Sachen in der Vergangenheit nach als: ‚Ich habe gerade etwas erlebt und muss jetzt einen Song darüber schreiben‘. Vielleicht muss ich auch einfach mal einen Song über meinen Hund schreiben.“ Schließlich steckt das Wort „Animals“ ja im Band-Namen!
Auch soundtechnisch wollen Glass Animals weiter experimentieren. Nicht, dass das nicht schon der Fall wäre, jedes Glass Animals-Album hat bisher mit einem Pop-Püree überzeugt, das gerne mal aus den unterschiedlichsten Genres zusammengemischt ist. Es muss aber immer wieder Neues her, am besten Unerforschtes: „Wir denken über mehr prähistorische Sounds nach, weil das kaum jemand gemacht hat. Oder mittelalterlich vielleicht, man hört nicht viele Lauten oder das Klirren von Schwertern in der Pop-Musik. Bei prähistorischen Sounds könnte man Dinosauriergeräusche oder Höhlenmenschen und Keulen nehmen. Oder Meteore. So wie Jurassic Park, aber als Song.“ Klingt auf jeden Fall spannend.
Fünf Vinyl-Favoriten
Bei so einem ungezähmten Durst nach neuen Klängen überrascht es nicht, dass Dave Bayleys Musikgeschmack ziemlich breit gefächert ist. Wir fragen ihn nach fünf Platten, die in seiner Vinyl-Sammlung essenziell sind. Zuallererst: Das White Album der Beatles – ist schließlich ein Klassiker, der wahrscheinlich in den meisten Plattenregalen steht. Für Bayley trägt das Album besonderen sentimentalen Wert, da es die erste Platte war, die er je besaß, übergeben aus der Sammlung seines Vaters. Zweitens: Das erste Album, das er sich selbst auf Platte kaufte: Kendrick Lamars Conscious-Rap-Konzeptalbum good kid, m.A.A.d city.
Für noch tanzbarere Momente nennt Bayley It’s Album Time von Todd Terje: „Es ist großartig für jede Party. Wenn du es anmachst, werden die Leute tanzen.“ Was einige überraschen dürfte, da man bei Platten oft nicht direkt daran denkt: Film-Soundtracks, für die hat der Glass Animals-Frontmann eine besondere Schwäche. Sein Favorit: Der Score zu The Good, The Bad and The Ugly von Ennio Morricone. Und zu guter Letzt ein R&B-Klassiker: Voodoo von D’Angelo. Und das nicht nur, weil es ein weiteres von Bayleys Lieblingsalben und seine am meisten gespielte Platte ist. Das Album hat auch Relevanz für die Arbeitsabläufe von Glass Animals: „Die erste Pressung klingt unglaublich. Daher nutze ich sie immer als Referenz, wenn wir Vinyl pressen lassen und ich den Klang vergleichen will.“
Kontakt durch Kunst
Bevor das nächste Glass Animals-Album in den Vinyl-Presswerken landet, wird die Band allerdings erstmal einige Gigs spielen. Darauf freut sich Dave Bayley immer besonders, denn: „Das Beste am Live-Spielen ist das Beisammensein in der Gemeinschaft, das zu sehen und zu fühlen. Ich habe das Gefühl, bei Live-Shows verlieren alle ihr Ego für eine Weile. Es geht weniger um dich selbst und mehr um alle.“ Der Kontakt von Kunstschaffenden und Kunstrezipierenden durch das gemeinsame Erleben der Kunst ist eben etwas ganz Magisches. Bei dem Thema wird er daher zum Ende fast schon ein wenig philosophisch:
„Das ist generell so mit Musik. Wenn du einen Song hörst, teilst du eine Erfahrung mit jemandem, auch wenn du die Person nicht kennst. Und du bestätigst, dass andere Leute sich mit dieser Sache identifizieren. So bildet man eine Art der Verbundenheit, man fühlt sich weniger allein.“
Was für ein schönes Fazit.