Einmal Hippie, immer Hippe: Graham Nash kann sich zwar nicht an seinen Woodstock-Auftritt erinnern; die Ideale dieser Zeit tragen ihn jedoch bis heute.
von Björn Springorum
Nash kommt im Sommer hoffentlich nach Deutschland
Wir erreichen Graham Nash in seinem Zuhause mitten in New York City. Auch seine geliebte Wahlheimat, wo er „schon auf dem Weg zum Coffee-Shop zehn verschiedene Sprachen“ hört, wie er schwärmt, ist im Ausnahmezustand. Seine Konzerte wurden erst mal abgesagt. Im Sommer soll er auch einen Auftritt in Deutschland geben, am 17. Juli 2020 in Stuttgart. Weil es bis dahin ja noch ein Weilchen ist, haben wir mit ihm einfach mal über sein Leben gesprochen. Die Chance hat man ja auch nicht jeden Tag.
Graham, in Interviews der vergangenen Jahre war immer mal wieder von dir zu lesen, dass du davon ausgehst, von zukünftigen Generationen vergessen zu werden. Bist du dir wirklich sicher, dass man sich nur an Bob Dylan, die Beatles, Jimi Hendrix und Joni Mitchell erinnern wird, wie du annimmst?
Eigentlich schon, ja. Sie sind in meinen Augen einfach die größten! Sie haben die Musik mehr bereichert als alle anderen. Und das ist okay für mich.
Wirklich?
Absolut! Ich weiß, was ich in dieser Welt erreicht habe. Ich bin stolz auf die Musik, die ich erschaffen habe, denn ich weiß, dass sie einigen Menschen geholfen hat, mit ihrem Leben klarzukommen.
Du bist seit den Sechzigern politisch aktiv, hast all diese sozialen und politischen Krisen und Unwägbarkeiten durchgemacht. Ist die Welt noch dieselbe, die sie vor 50 Jahren war?
Das Internet hat die Welt zu einem fundamental anderen Ort gemacht. Es ließ die Welt zusammenrücken, aber auch auf einen Bildschirm zusammenschmelzen. Einer der größten Unterschiede zwischen den Sechzigern und heute ist wohl, dass die Menschen auf einen Screen starren, ganz egal, wo sie sich befinden. Sie stürzen in Brunnen oder sogar von Klippen, weil sie einfach keine Augen mehr für ihre Umgebung haben. Ich empfehle an dieser Stelle immer ganz pädagogisch ein Buch namens Glow Kids. Es setzt sich mit den Auswirkungen auseinander, die diese Bildschirme auf die Gehirne unserer Kinder haben.
Dennoch hat das Internet auch viel Gutes bewirkt, oder nicht?
In gewisser Weise kann man natürlich sagen, dass es die Welt zu einem besseren Ort gemacht hat. Informationen können sich blitzschnell um den Globus verbreiten, es ist viel leichter, mit weit entfernten Menschen in Kontakt zu bleiben – gerade jetzt, in der Coronakrise, die uns alle betrifft. Es läuft einiges schief damit, aber am Ende des Tages überwiegen wahrscheinlich eindeutig die positiven Auswirkungen.
Kann sich die Menschheit ändern?
Ich denke, es ist sehr wohl möglich, dass sich die Menschheit ändern kann. Es ist nur ein deutlich langsamerer Prozess als immer alle denken. Man darf nicht zu schnell irgendwelche einschneidenden Umwälzungen erwarten. Diese Dinge brauchen Zeit.
Wie haben die Sechziger dich verändert?
Sie machten mir vor allem eines klar: Es gab da draußen viel mehr Menschen, die so dachten wie ich, als ich davor angenommen hatte. Ich stellte fest, dass es Millionen Gleichgesinnte gab, was ich zuvor niemals für möglich gehalten hätte. Das gab mir das unbezahlbare Gefühl von Zugehörigkeit und Bestimmung. Auch wenn ich mich an Woodstock nicht wirklich erinnern kann. (lacht)
Das ist, wie du schon oft erörtert hast, den Drogen zuzusprechen. Sprechen wir lieber über deine Musik. Dein Stück Immigration Man, das du gemeinsam mit David Crosby veröffentlicht hast, ist nur ein Beispiel von vielen, wie tagesaktuell die in deiner Musik angerissenen Themen immer noch sind – in diesem Fall die Drangsalierung bestimmter Menschen bei der Einreise in die USA. Wie fühlt sich das für dich an?
Sehr ambivalent, kann ich dir sagen. Ich gebe gern zu, dass es einerseits schmeichelhaft ist, weil es bedeutet, dass meine Musik eine gewisse Zeitlosigkeit bewiesen hat. Andererseits ist es ein absolut fürchterliches Gefühl, weil es zeigt, wie wenig sich eigentlich geändert hat. Es gibt immer noch mehr als genug Gründe, mit diesen Songs gegen Missstände anzusingen. Vielleicht also ganz gut, dass es diese Songs immer noch gibt.
Auf der anderen Seite gibt es in deinem Schaffen Stücke wie Our House, das die Schönheit deines damaligen, durchaus häuslichen Alltags mit Joni Mitchell und ihren beiden Katzen in Laurel Canyon meisterhaft bündelt.
Gut ausgedrückt! Ein Großteil meiner Musik speist sich aus vollkommen normalen Situationen. Die Schönheit in ihnen zu erkennen, ist eine Wohltat. Ich hatte schon immer die Fähigkeit, die Magie im Alltäglichen zu entdecken. Manchmal wundere ich mich immer noch darüber, wie scheinbar aus dem Nichts ein solches Lied entstehen kann. Ich kann es mir nicht erklären, also habe ich schon vor langer Zeit beschlossen, einfach sehr, sehr glücklich damit zu sein.
Du hast in Los Angeles gelebt, auf Hawaii und natürlich in Manchester. Vermisst du diese Orte manchmal?
Nein, eher weniger. Ich habe mich immer als Weltbürger betrachtet. Im Grunde ist es mir also vollkommen egal, wo ich mich gerade befinde. Mir geht es nicht um Nationen, um Grenzen, um Einwanderer oder Auswanderer. Für mich ist die Welt ein einziger Ort, ein kleiner Planet, auf dem wir alle Zuhause sind. Gerade in diesen schweren Zeiten sollten wir uns das alle mal vor Augen führen.
Obwohl du deine Memoiren schon veröffentlicht hast: Stell dir vor, du könntest diesem Buch noch ein letztes Kapitel hinzufügen. Wie sollte es enden?
Es wäre sehr kurz, nur ein Satz: „Ich habe mein Bestes gegeben.“
Du bist immer noch auf Tournee, wirst auch nach der Coronakrise wieder durch die Welt tingeln. Wird der Tag kommen, an dem du Abschied von der Bühne nehmen wirst?
Ganz ehrlich? Ich denke nicht, dass dieser Tag je kommen wird.