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Interview mit Betterov: „Kunst muss für alle da sein“

Große Kunst hat Betterov sein mit Spannung erwartetes zweites Album getauft. Darauf übersetzt der bekennende Springsteen-Fan die eigene Biografie in seine ganz eigene, zutiefst melancholische Musikwelt. Eine große, ausladende Bestandsaufnahme in bewegenden Indie-Schauerliedern.

Jetzt auf Vinyl - Betterov's große Kunst:

Betterov ist eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Indie-Welt. Er wächst mit Bruce Springsteen auf, darf später selbst mit den Springsteen-Ultras The Gaslight Anthem auf Tour gehen. Dazwischen: Einige der stärksten, emotionalsten und dunkelsten Momente der jüngeren deutschen Popgeschichte. Große Kunst ist sein zweites Album nach dem sensationellen Olympia – die Leiden des jungen Betterov, Bestandsaufnahme seines Lebens, Aufarbeitung der Familiengeschichte und Liebesbrief an seine musikalische Sozialisation.

Lass uns bei deiner bemerkenswerten Doppelsingle 17. Juli 1989 / 18. Juli 1989 anfangen, auf der du ein tragisches Stück Familiengeschichte vertonst. Was kannst du darüber erzählen?

In diesen Stücken erzähle ich die Fluchtgeschichte meines Vaters nach, der am 17. Juli 1989 mit drei selbstgebauten Haken über die beiden Zäune der innerdeutschen Grenze in die BRD geflohen ist. In 17. Juni 1989 erzähle ich die Geschichte dieser Flucht – und wie es danach weiterging, erzähle ich in 18. Juni 1989. 

Das war seltsam, denn anfangs dachte ich, dass das alles gar nichts mit mir zu tun hat. Aber je mehr ich geschrieben habe, desto mehr wurde mir klar, dass diese Nacht natürlich auch mein Leben geprägt hat. Wenn in dieser Nacht was passiert wäre, wäre ich vielleicht gar nicht auf die Welt gekommen. Es vergeht kein 17. Juli, an dem ich nicht darüber nachdenke.

Wie hast du dich mit deinem Vater auf diese Songs vorbereitet?

Weil ich hier nicht meine eigene Geschichte erzähle, war mir natürlich wichtig, dass alles stimmt. Man will es richtig erzählen, nichts falsch machen. Ich bin die Strecke oft abgelaufen – auch mit ihm zusammen. Für den Videodreh waren wir dort auch nachts unterwegs, was dann natürlich noch mal eine ganz andere Erfahrung war. Das war eine sehr emotionale Zeit. Und so hat dieses Buch nach 36 Jahren noch mal ein neues Kapitel bekommen.

Autobiografisch ist es auch im rührenden Papa fuhr immer einen großen LKW. Magst du diese Geschichte auch noch erzählen?

Ich habe einen großen Teil meiner Kindheit auf der Autobahn verbracht. Mit meinem Vater. Wir sind am Wochenende immer irgendwo hingefahren, und diese Stimmung nachts auf der Autobahn, wenn man kurz vor dem Einschlafen ist, ist untrennbar mit meiner Kindheit verbunden. Später, als ich auf Tour war und im Nightliner lag, kam dieses Gefühl wieder hoch. Dabei wurde mir klar, wie unterschiedlich unsere Berufe sind. Meine Eltern haben wahnsinnig hart gearbeitet. Ihr ganzes Leben lang. Und auch wenn ich einen ganz anderen Weg eingeschlagen habe, stellt man eines Nachts doch fest, dass es dennoch Parallelen gibt.

Es ist aber nicht nur ein autobiografisches Stück, oder?

Nein. Es geht auch um all diese Menschen, die ihr ganzes Leben hart körperlich arbeiten und am Ende wirklich komplett heruntergewirtschaftet sind. Da verlaufen ganz andere Linien in einer Gesellschaft. Da sind Menschen, die trotz der harten Arbeit nicht schlafen können, weil sie Schmerzen haben.

Fällt es dir leicht, in deinen Songs so offen und ehrlich zu sein?

Leicht ist das nicht, nein. Es kostet mich viel Überwindung und Kraft, aber ich finde, dass es sich lohnt. Auch ich selbst finde Künstler:innen am Spannendsten, die etwas von sich zeigen. Die dich mitnehmen in ihr Leben.

Genannt hast du dein zweites Album Große Kunst, und wie es sich bei einem solchen Titel gehört, schöpfst du in Sachen Arrangements und Orchestereinsatz aus dem Vollen. Aber was hat den Titel überhaupt inspiriert?

Der Song Große Kunst stand sehr früh. Ich glaube sogar, es war der erste fertige Song des Albums. Damals wusste ich sofort, dass auch das Album diesen Namen tragen würde. Das war ein großer Vorteil, weil ich dann eine ganze Welt rund um diesen Song und diesen Titel bauen konnte. Ich wollte all diese klassischen Musikzitate verwenden, ich wollte einen großen, ausladenden Sound. Außerdem schwebte mir vor, dass das ganze Album wie ein Fluss sein sollte, mit nahtlosen Übergängen, Motiven und wiederkehrenden Elementen.

Kunst ist bis heute ein Privileg. Man hat den Eindruck, dass Kunst nur gewissen gesellschaftlichen Schichten vorbehalten ist.

Für uns gab es früher keine Kunst. Die DDR war ein Arbeiterstaat mit einem winzig kleinen Bildungsbürgertum. Es wurde delegiert, wer Abitur machen durfte und wer nicht. Menschen, die in meinem Umfeld studiert haben, kann ich an einer Hand abzählen. Erst als ich nach Berlin ging, habe ich gemerkt, dass das gar nicht so normal ist. Dass es im Westen ganz anders lief und läuft. Als ich Schauspiel studierte, hatte ich Menschen um mich herum, von denen die meisten aus Akademikerfamilien kamen. Es kam fast überhaupt nicht vor, dass jemand aus einer Arbeiterfamilie kunstaffin ist. Der Arbeiterklasse wird gesagt, dass Kunst kein Ort für sie ist. Dass sie da nicht hingehören. Das finde ich falsch. Kunst ist für alle da. Und vor allem ist Kunst nicht schwer zu verstehen. Kunst sollte verbinden, nicht trennen.

Wie kamst du in Berlin zurecht?

Ich bin sehr bodenständig und eher ländlich aufgewachsen. Da war Berlin natürlich ein Schock. Ich versuche in Berlin immer, irgendwo am Stadtrand zu wohnen, um möglichst schnell draußen zu sein. Umzingelt von Beton gehe ich ein.

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