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Foto: Mynxii White

Interview mit Rise Against: „Ich wäre froh, wenn es unsere Band eines Tages nicht mehr geben müsste“

Wenn wir Rise Against jemals gebraucht haben, dann jetzt. Mit Ricochet setzt Chicagos gutes Punk-Gewissen ein lautes Ausrufezeichen hinter seine Message aus Empathie, Zusammenhalt und offene Arme. Bassist Joe Principe über ein Album, das im Widerschein eines einstürzenden Landes geschrieben wurde.

Rise Against könnten ja eigentlich ganz froh sein. Mit dem, was seit Trumps Wiederwahl Anfang 2025 in den USA passiert ist, könnte man unzählige Alben füllen. Dennoch sagt Bassist Joe Principe voller Überzeugung: „Ich wäre froh, wenn es eine Band wie Rise Against eines Tages nicht mehr geben müsste.“ Was es sonst noch über das grandiose neue Album Ricochet zu erfahren gibt, wie es sich wirklich anfühlt, vor zehntausenden Fans zu spielen und wie sich das Leben in den USA verändert hat, verrät er im Interview mit The Circle.

Joe, wie war dein Tag bisher?

Großartig. Das Wetter hier in Chicago ist wunderschön. Wir sind erst letzte Woche von den europäischen Sommerfestivals zurückgekommen. Jetzt ist ein wenig Zeit, den Sommer zu genießen – Radfahren, grillen, mit meiner Familie abhängen.

Wie waren die Festivals? Bei Rock am Ring und Rock im Park habt ihr vor Zehntausenden gespielt...

Ich habe diese Shows wirklich sehr genossen. Wir sind immer gern auf Festivals in Europa, weil wir den Eindruck haben, dass man Rise Against wirklich liebt und versteht. Und lass dir sagen, es gibt einfach nichts Vergleichbares zu diesem Gefühl, wenn man da rausgeht und vor einem Meer an Menschen steht. In unserer Musik geht es immer darum, eine Verbindung zu den Menschen herzustellen – das gilt auf einer riesigen Bühne natürlich umso mehr. Ich meine, wir sind immer noch Punkrocker, die mit den schimmligen kleinen Bühnen aufgewachsen sind. Eine kleine Clubshow ist unvergleichlich – die Nähe, die Intimität, der Lärm, der Schweiß. Aber diese riesigen Shows sind einfach etwas Unbeschreibliches. Ich muss mich immer noch kneifen, wenn ich da rausgehe.

„Nichts erfüllt mich mehr mit Liebe und Frieden als bei einer Hardcore-Show angeschrien zu werden“

Mit Ricochet habt ihr ein wirklich starkes, wenn auch etwa ungewöhnliches Album im Gepäck. Wofür steht es für dich persönlich?

Das Album erzählt für mich die Geschichte, warum ich Musikfan bin, warum ich angefangen habe, Musik zu machen, und warum ich so ein begeisterter Konzertgänger war, als ich aufgewachsen bin. Es geht um Verbindungen. Es geht darum, etwas Gutes in die Welt zu bringen, weil es zu dir zurückkommt. Musik als positives Ventil. Das war damals bei unseren kleinen Punk-Shows so und das begleitet mich bis heute. Ich brauche dieses Ventil in meinem Leben. Ich brauche diese Energie und die positive Stimmung, die ich bekomme, wenn ich eine Live-Band sehe. Dafür steht Ricochet – das Geben und Nehmen in der Szene, aber auch im Rest der Welt.

Hattest du immer diese starke Verbindung zur Hardcore-Punk-Szene oder hast du auch mal gefremdelt?

Punkrock und Hardcore waren immer sehr gute Freunde. Ich konnte mich immer auf sie stützen, mich immer auf sie verlassen, auch wenn ich nichts anderes hatte. Ich habe auch ein Herz für andere Genres. Ich liebe zum Beispiel The Cure und jede Menge anderes Wave-Zeugs. Aber nichts erfüllt mich mehr mit Liebe und Frieden als bei einer Hardcore-Show angeschrien zu werden.

„Das Album ist das punkigste unserer Karriere“

Mit Catherine Marks habt ihr euch auf den ersten Blick für eine überraschende Produzentin entschieden, die zuvor mit boygenius, Wolf Alice oder Alanis Morissette gearbeitet hat. Was habt ihr euch davon versprochen?

Weißt du, ich glaube, wir waren an einem Punkt in unserer Karriere, an dem wir einfach ein Risiko eingehen wollten. Wir wollten einfach mal was anderes machen, um uns selbst ein bisschen zu verändern. Wir sind jetzt schon seit 25 Jahren eine Band und wollten uns für unser zehntes Album einfach mal wieder ein bisschen selbst fordern. Jedes Album ist wie ein eigenes Kapitel in unserer Geschichte. Es ist nichts im Voraus geplant. Doch die Songs, die wir diesmal geschrieben hatten, passten einfach zu einem anderen Ansatz. Ricochet ist eine weitere Momentaufnahme. Vielleicht wird die Platte danach knallhart Punk oder deutlich mehr Metal. Hängt eben davon ab, wie wir uns fühlen.

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Wie habt ihr die Arbeiten erlebt?

Man mag es nicht glauben, wenn man so liest, was Catherine sonst so alles produziert, aber meiner Meinung nach ist Ricochet das rohste Album, das wir jemals aufgenommen haben. Wir haben so viel es ging live aufgenommen. Keine unzähligen Gitarrenspuren, keine dreistimmigen Backing Vocals. In diesem Sinne ist das Album tatsächlich das punkigste unserer Karriere.

„Jeder US-Amerikaner ist ein illegaler Einwanderer“

Was mir so gut an den Themen von Ricochet gefällt, ist die Kernaussage, dass wir alle verwandt sind. Dass wir alle eine Fluchtgeschichte in der Familie haben. Dass wir alle Immigranten sind.

Ich bin einfach immer wieder verblüfft, dass so viele Menschen das nicht so sehen. Das ist etwas, worüber ich jeden Tag nachdenke, weil ich selbst von italienischen Einwanderern abstamme. Warum erkennen das so wenige Menschen? Denn das ist ja nicht das, was uns trennt, sondern das, was uns verbindet. Meine Großeltern sind aus Italien hierher gekommen. Einwanderer kamen hierher, um ein besseres Leben zu führen, um etwas in ihrem Heimatland zu entfliehen. Was auch immer das gewesen sein mag. In den USA sind wir diejenigen, die die indigenen Völker vertrieben, vernichtet haben. Jeder US-Amerikaner ist ein illegaler Einwanderer. 

Dennoch haben auch viele Menschen Trump gewählt, von denen man das niemals erwartet hätte.

Ich weiß. Und das Schlimmste ist: Meine Mutter auch! Sie hat mich so erzogen, dass Hautfarbe keine Rolle spielt. Und jetzt hat sie ihn selbst gewählt. Weil er die Angst der Menschen ausnutzt.

Was bedeutet es für dich als Künstler, deinen Wurzeln als politische Band treu zu bleiben?

Ich habe das so tief in mir. Punkrock hat diesen Schrei nach Veränderung in mir geweckt, diesen Drang, etwas zu verbessern. Dieses Feuer ist nie erloschen. Subkultur hat mir beigebracht, dass es in Ordnung ist, ich selbst zu sein. Ein Individuum zu sein. Deshalb nutze ich meine Stimme. Deshalb spreche ich es aus, wenn ich mit etwas nicht einverstanden bin.

„Aber genau das sollte unser Ziel sein, oder? Dass uns die Themen ausgehen“

Was würdest du Künstlern sagen, die Angst haben, sich politisch zu engagieren, weil sie befürchten, Fans zu verlieren?

Folgt einfach eurem Herzen. Könnt ihr noch länger schweigen?

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Wie hat sich die Bedeutung älterer Hymnen wie Prayer Of The Refugee über die Jahre verändert?

Für mich sind diese Songs immer noch genauso relevant wie damals, als wir sie geschrieben haben. Das ist einerseits erschreckend, andererseits wussten wir damals schon, dass wir zeitlose Themen anpacken.

Was würde denn mit Rise Against passieren, wenn die Welt urplötzlich eine Wende hin zu Gerechtigkeit und Gleichheit nehmen würde?

Ich wäre froh, wenn es unsere Band eines Tages nicht mehr geben müsste. Wenn uns die Themen ausgehen würden. Aber es gibt so viele Probleme weltweit, dass ich das leider nicht sehe. Aber genau das sollte unser Ziel sein, oder? Dass uns die Themen ausgehen.

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