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Foto: Thistle Brown

Like a „Virgin“: Lorde wird zur androgynen Pop-Gottheit

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Irgendwie hat man den Eindruck, dass bis zu diesem Punkt alles nur Vorgeplänkel war: Mit ihrem furchtlosen neuen Album Virgin legt Neuseelands Superstar Lorde alle Zwänge und Erwartungen ab. Und steigt als androgyner Phönix aus der Asche.

Vor über 40 Jahren singt Madonna diese verheißungsvollen Zeilen: „I made it through the wilderness, somehow I made it through, didn’t know how lost I was until I found you.“ Sie sind natürlich aus dem Klassiker Like A Virgin – und erhalten all die Jahre später durch Lorde eine ganz neue Bedeutung. Auch die Neuseeländerin hat sich verloren, wusste lange nicht, wer sie ist, wie sie liebt, was sie will.

Lorde macht keine Gefangenen mehr

Das ist spätestens jetzt Geschichte: Mit Virgin gibt Lorde ihr definitives Karriere-Statement ab. Ein mutiges, flickerndes, persönliches Album, das durch und durch sie ist. Die letzte hier zitierte Zeile aus Like A Virginuntil I found you – ist deswegen klar auf sie selbst zu beziehen. Lorde hat sich gefunden. Und gibt sich nicht wieder her. Vier Jahre hat sie sich Zeit gelassen für dieses Album. Vier lange Jahre seit diesem hippieesken Fiebertraum Solar Power, in denen sie vor allem dieser einen Frage nachgegangen ist: Wer bin ich eigentlich?

Frau, Mann, Lorde

Das ist verständlich. Royals macht sie in einem Alter zum Star, in dem die meisten von uns nicht mal wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Sie ist 17, als der Erfolg sie überrollt, kaum 18, als sie den Soundtrack für The Hunger Games – Mockingjay kuratiert. Da bleibt wenig Zeit für Reflexion. Jetzt hat sie sich diese Zeit einfach selbst genommen. Und alles hinterfragt. Ihren künstlerischen Ausdruck, ihre Rolle in der Industrie, ihre Sexualität. Sie hat in Interviews erzählt, dass sie sich als Frau fühlt, an manchen Tagen aber eben auch als Mann. Beide Energien, die feminine und die maskuline, zirkulieren durch die Blutbahn dieses besonderen Albums.

Diese neugewonnene Selbsterkenntnis macht Virgin so stark. Musikalisch mag es einerseits wie eine Rückkehr zu ihren flirrenden Electro-Wurzeln wirken; inhaltlich ist es ein krasses Freischwimmen, ein undogmatisches Manifest zur Selbstliebe. Der Laurel-Canyon-Vibe von Solar Power ist verschwunden, sehr wahrscheinlich, weil viele Fans nicht so recht warm wurden mit dieser neuen Flower-Power-Lorde. Man muss aber eben auch sagen: In Sachen Pop-Stadion-Banger sind wenige besser als sie.

Rückkehr zum großen Pop-Spektakel

Virgin ist eine Rückkehr zum monumentalen Pop-Spektakel von Melodrama – aber das von einer Künstlerin, die ihre Stärken viel konsequenter ausspielt. Songs wie Man Of The Year oder Hammer sind schon jetzt Klassiker in ihrem eigenen Kanon, die unmissverständlich klarmachen, dass wir es hier mit einer libertären Künstlerin zu tun haben, die ihre Geschichte nach ihren eigenen Regeln fortschreibt. Es ist also nicht übertrieben, wenn wir hier von einer Wiedergeburt schreiben, von einem Phönix, der strahlend aus der Asche aufsteigt.

Virgin im Circle Store:

Schon das Cover schreibt Geschichte

Außerdem erzählt niemand schon mit dem Artwork eine Geschichte wie sie. Nach ihrem letzten „Skandal-Cover“, bei dem man ihr doch glatt zwischen die Beine schauen konnte (na sowas!), zeigt das von Heji Shin fotografierte Artwork diesmal eine Röntgenaufnahme eines Beckens mit einer Gürtelschnalle, einem Hosenschlitz und einer Spirale. Virgin dürfte somit das erste Cover mit einem derartigen Bild sein. Ein Stück Pop-Geschichte.

Die Songs sind verletzlich und doch voller Kraft, verpackt in einen Sound, der nur als spektakulär zu beschreiben ist. Lorde selbst sagt, Virgin sei mit Blut geschrieben worden, und entsprechend chaotisch, dunkel, voller scharfer Kanten und Widersprüche sind die Songs auch. Lorde fletscht die Zähne – und wir sollten uns alle in Acht nehmen.

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