Nichts ist für die Ewigkeit: The Cure trauern sich auf „Songs Of A Lost World“ in Hochform
popkultur01.11.24
Monument in Moll: Auf ihrem ersten Album seit 16 Jahren fahren The Cure harte Geschütze auf. Songs Of A Lost World ist genau so groß, klagend und neblig wie sein Titel vermuten lässt.
Irgendwann haben The Cure diese Welt verlassen. Sich abgekehrt von lästigen Dingen wie der Moderne und sich in einer Echokammer ihrer eigenen Vergangenheit eingerichtet. Dinge kamen und gingen, doch The Cure wurden unveränderlich, über die Jahre immer starrer, immobiler. Wie ein ausgestopftes Lebewesen aus ferner Zeit. Es wurde nie ausgesprochen, aber umgekehrt verhielt es sich praktisch genau so: Die Welt hatte abgeschlossen mit The Cure, hatte dieses unvergleichliche Kapitel der englischen Düstermusik irgendwann fast beiläufig geschlossen.
Doch The Cure waren noch nicht fertig. Irgendwie war da noch was am Boden dieser Rotweinflasche, das Robert Smith loswerden wollte. Nein, nicht wollte. Musste. Allein, The Cure sind ein träges Wesen, ein monolithischer Titan, der sich mit der Geschwindigkeit eines Gletschers unter der Mitternachtssonne ins Tal schiebt. Wir werden alle sterben. Dann können wir uns ja wohl bitteschön auch Zeit dabei lassen.
Songs Of A Lost World im Store:
Was der Tod doch für eine Muse sein kann
2018 feiert die Band den 40. Geburtstag, 2019 wurde erstmals ein neues Album angekündigt. Da war 4:13 Dream auch schon elf Jahre her. Es sollen noch fünf lange Jahre vergehen, bis dieses Album endlich erscheint. Aber The Cure sind eben ein Wesen, das Zeit braucht. Robert Smith lässt sich nicht hetzen, nicht von Fans, nicht von einem Label und schon gar nicht von sich selbst. Er operiert aus seiner ureigenen Filterblase zwischen Katermelancholie, Rotweintrunkenheit und Weltschmerz, gräbt tief und fordert mit seinen Songs Of A Lost World Manifeste der Melancholie zutage, die die Band in seltener und ungeahnter Form zeigt. Was der Tod doch für eine Muse sein kann.
Die acht Tracks sind eine Reise ins Herz der Dunkelheit, eine Reflexion der Sterblichkeit, die große Bestandsaufnahme eines Lebens. Das Album donnert, es erschüttert, es reißt Wunden auf und küsst sie gleich darauf. Songs Of A Lost World zeigt schmerzhaft, dass alles, was wir lieben, vergehen wird. In dieser Dunkelheit gibt es aber immer genug Herz, dass man nicht abstürzt, nicht hineinfällt in diese Kaskaden in Moll, die vom Ende aller Dinge erzählen wie der Priester bei einem Begräbnis. Ja, wie gesagt, wir werden alle sterben. Aber wir sind damit nicht allein.
Berauschend schöner Flirt mit dem Tod
Schon der Opener Alone reicht aus, um das Album zu verstehen: Sieben Minuten – die ersten drei davon nimmt Smith Anlauf, ehe er erstmals Luft holt – wälzen sich allumfassend melodramatisch, gotisch und getragen vor sich hin, wie der Fluss Lethe, dessen Wasser vergessen lässt. Inspiriert von einem Gedicht von Ernest Dowson (This is the end of all the songs man sings), ist das hier der Archetyp eines The-Cure-Songs, ein berauschend schöner Flirt mit dem Tod.
Das Album entwickelt sich über seine knapp 50 Minuten zum legitimen Pornography-Nachfolger, zu einer großartigen, kompromisslosen, trotz aller Trauer lebendigen Elegie, die auch mal an Cocteau Twins oder sogar an Pink Floyd erinnert. Das Leben ist bittersüß, weil es nur von der Ahnung des Endes überhaupt erst lebenswert wird. Robert Smith weiß das besser als die meisten anderen. And Nothing Is Forever wird dadurch zum Bruder von Klassikern wie Plainsong. Pop-Appeal gibt es auch, in A Fragile Thing zum Beispiel, doch überwiegend liegt Songs Of A Lost World im langen Schatten der eigenen Sterblichkeit. Das säuerlich brummende Warsong oder das krachige, kantige Drone:Nodrone geben da schon eher das Gebot der Stunde vor: schwere Noir-Rocker, die sich in Kaskaden über die Hörer:innen ergießen und mit hinausziehen auf diesen Ozean der Trostlosigkeit.
Alles endet dann mit Endsong, natürlich tut es das, ein letztes, zehnminütiges Aufbäumen. Immer schon war Robert Smith klar, dass dieser Song eines Tages dieses Album beschließen würde. Jetzt tut er es endlich, ein großer Schlussakt, gravitätisch wie Staatstrauer und doch durch und durch menschlich. Denn das macht Songs Of A Lost World letztlich so großartig – seine Wärme, seine Verletzlichkeit, seine Menschlichkeit. Auch wenn sein Schöpfer in den letzten Jahren fast alles verloren hat.