„Ich bin der Mann auf dem flammenden Kuchen!“: Paul McCartney im Interview zu „Flaming Pie“
popkultur21.07.20
1995 machte sich Paul McCartney, inspiriert durch seine Arbeit an der Beatles Anthology, daran, sein zehntes Solo-Album aufzunehmen. Das zwei Jahre später unter dem Namen Flaming Pie veröffentlichte Resultat kann mit einer Gästeliste aufwarten, die ihresgleichen sucht: McCartney konnte nicht nur die beiden inoffiziellen Beatles George Martin und Geoff Emerick für das Projekt gewinnen, sondern verpflichtete auch ELO-Mitbegründer Jeff Lynne als Co-Produzent. Ach ja: Steve Miller, Ex-Beatles-Kollege Ringo Starr sowie Frau Linda und Sohn James mischten auch noch mit.
Am 31. Juli erscheint Flaming Pie nun als neuestes Rerelease aus Maccas Archive Collection. Anlässlich der umfangreichen Neuauflage des Erfolgsalbums blickt der Musiker im Interview zurück auf die Entstehungszeit des Albums, die Zusammenarbeit mit Ringo Starr und die Geschichte des flammenden Kuchens.
Hört hier zur Untermalung Flaming Pie:
Paul, woher stammt die Idee mit dem Flaming Pie, und wie kam es überhaupt zu diesem Albumtitel?
Als wir damals gerade loslegten mit den Beatles, da gab es in Liverpool so eine lokale Musikzeitschrift namens Mersey Beat. John war gebeten worden, ihnen zu erläutern, wer wir waren und wofür wir damals standen – und er sagte dann in typischer Lennon-Manier: „Wir hatten diese Vision: Vor uns erschien ein Mann auf einem flammenden Kuchen und er sprach: Von diesem Tag an sollt ihr die Beatles sein, geschrieben mit einem A.“ Und das war’s dann: Von da an war das unsere Standardantwort auf die Frage „Warum heißt ihr denn nun eigentlich The Beatles“.
Und dann dachte ich irgendwann: Ich bin der Mann auf dem flammenden Kuchen! Darüber schreibe ich mal einen Song. Das alles ist also schon mit einem Augenzwinkern gemeint. Der Typ, der dieser Mann auf dem flammenden Kuchen ist, der ist ziemlich cool. Er ist ziemlich verrückt. Und alle, denen ich davon erzählt habe, mussten unweigerlich grinsen.
Jetzt in unserem Store erhältlich:
Da hängt also schon ein großes Erbe dran, weil der Titel auf diesen Mersey-Beat-Artikel zurückgeht. So viel von John steckt da drin, so viel Geschichte, viele schöne Erinnerungen, die ich damit verbinde. Überhaupt waren die Titel John und mir immer wahnsinnig wichtig: Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band, Rubber Soul – darauf reagierten die Leute mit einem „What?! Wie bitte?!“ Und mir gefiel gerade dieses Schräge, Unkonventionelle an Flaming Pie.
Hattest du also die Beatles während der Arbeit am Album permanent im Hinterkopf?
Ich hatte kurz davor am Anthology-Projekt der Beatles gearbeitet und hatte nun dieses Bedürfnis, endlich wieder neue Musik zu machen. Die Anthology war spannend, weil dieser Rückblick mir die Standards der Beatles in Erinnerung rief, den Standard unserer Songs. Ein guter Auffrischungskurs war das, und indirekt war damit auch schon der Rahmen für dieses Album abgesteckt.
Die Anthology brachte all diese Erinnerungen wieder hoch, an die ich davor so lange nicht gedacht hatte, weil es nie einen Grund dazu gegeben hatte. All diese ganzen Beatles-Erinnerungen. Das war eine sehr schöne Zeit, so unbeschwert, mit Ringo und George endlose Gespräche über die ganzen Dinge zu führen, die wir gemacht hatten. Besonders die Gespräche mit George, den ich ja sogar noch länger kannte. Ich erinnerte mich an unsere alten Witze, an die ganzen alten Songs… an die kleinen Dinge. Auch aus der Zeit vor den Beatles. Als er einfach nur mein kleiner Buddy war, den ich schließlich in die Band holen sollte.
Nach dem Abschluss dieses Projekts wusste ich viel genauer, wie mein nächster Schritt aussehen könnte.
Woher wusstest du denn, wo du anfangen musstest?
Es gibt da ein paar Sachen, die ich schon mit den Beatles immer gemacht habe: Bevor ich mich zum Beispiel aufs nächste Album gestürzt habe, hab ich mir immer den Vorgänger noch einmal in Ruhe angehört. Ich nahm mir also beispielsweise Rubber Soul vor, spielte das Album in voller Länge und hörte es mir an, wie ein Fan es hören würde. Dadurch wurde mir klar, was zu tun war: Da also lag die Latte auf dem letzten Album. Dann probieren wir doch mal, jetzt noch ein Stückchen höher zu springen.
Diese Denkweise war auch bei Flaming Pie im Spiel; das Album hatte durchaus diesen Beatles-Einschlag. Solche Anklänge gibt es immer. Das lässt sich auch gar nicht vermeiden. Wenn man schreibt, steckt da automatisch die eigene Handschrift drin. Und wenn man gerade sein gesamtes bisheriges Lebenswerk überdacht hat, dann weiß man schon, wohin es als nächstes gehen soll.
Wie würdest du den Songwriting-Prozess beschreiben, auf dem die Stücke von Flaming Pie basieren?
Songs können von überall herkommen. Damals brachte ich manchmal Linda zu einem ihrer Koch-Jobs, und in einem konkreten Fall hatte ich sie zu einer Fotosession auf einer Farm in Kent gefahren. Ich wollte nicht stören, ging also ins Obergeschoss und kreierte meine eigene kleine Fantasiewelt, indem ich einen Song komponierte.
Ich wusste, dass Lindas Shooting ungefähr zwei Stunden dauern würde, also setzte ich mir diese Deadline, um den Song fertigzustellen. So entstand Somedays. Das komplette Stück schrieb ich in diesen zwei Stunden. Normalerweise steht hinterher vielleicht ein Großteil eines Stücks und man plant dann, den Rest in der Woche danach fertigzumachen, aber hier wollte ich wirklich komplett fertig werden. Wenn Linda dann nach dem Shooting fragen würde, „Was hast du getrieben? War es sehr langweilig?“, wollte ich antworten: „Ach, ich habe diesen Song geschrieben. Magst du ihn hören?“ Das alles ist nur so ein kleines Spielchen, das ich manchmal mit mir selbst spiele. John und ich haben dieses Spiel immer gespielt, und ich glaube auch nicht, dass wir je länger als drei Stunden gebraucht haben, um einen Song zu schreiben.
Bei diesem Album hast du die meisten Instrumente selbst eingespielt. Was für Gedanken gingen dir durch den Kopf, als du die Aufnahme-Sessions geplant hast?
Ich denke darüber ehrlich gesagt gar nicht so viel nach. Das Tolle daran ist, dass ich ja immer alle Optionen habe. Das absolute Extrem wäre, einfach alles alleine zu machen. Und es gibt Songs auf Flaming Pie, wo ich so vorgegangen bin. Somedays zum Beispiel: Den habe ich selbst aufgenommen, habe alles selbst eingespielt, genau wie bei McCartney davor. Doch als ich dann an der finalen Version saß, dachte ich mir, dass der Song vielleicht doch noch ein bisschen zusätzliches Arrangement vertragen könnte – also rief ich George Martin an. Wer könnte das besser als er?
Paul McCartney mit Co-Produzent und Mitmusiker Jeff Lynne (Electric Light Orchstra).Welche Aspekte sind anders, wenn du alles im Alleingang machst? Gibt es da konkrete Dinge, die dir aufgefallen sind?
Ich habe keine Formel, wie man ein Album aufzunehmen hat. Und das betrachte ich als Luxus, dass ich diese Formel auch gar nicht haben muss. Aber es gibt immer irgendeinen Auslöser, der mich eine bestimmte Richtung einschlagen lässt.
Es könnte zum Beispiel sein, dass ich mir gerade die Spontaneität alter Beatles-Aufnahmen anhöre… oder ich höre eine meiner Soloplatten, ja, vielleicht höre ich sogar ein wenig Stevie Wonder – der nimmt übrigens auch viele seiner Alben im Alleingang auf.
Ein anderes Beispiel wäre die Arbeit, aus der schließlich Chaos And Creation In The Backyard hervorgehen sollte, denn da sagte Nigel Godrich schließlich zu mir: „Können wir das ohne deine Band machen?“ In dem Fall war das also der Grundgedanke.
Irgendeinen Auslöser gibt es immer, irgendwas, das mich „darauf hätte ich jetzt Lust“ denken lässt. Und ich würde sagen, im Fall von Flaming Pie war dieser Auslöser wahrscheinlich Jeff Lynne.
Die Gitarre spielt eine sehr große Rolle auf dem Album. Wie bist du da herangegangen?
Ja, genau genommen spielen gerade meine Gitarren, die eher heavy klingen, auf diesem Album eine wichtigere Rolle. The World Tonight wäre da ein Beispiel. Das ist schon ein eher härteres Riff.
Als Linda und ich uns gerade erst über den Weg gelaufen waren, sagte sie mal: „Ich wusste ja gar nicht, dass du auch so harte Gitarrensachen spielst. Ich liebe das!“ Einfach nur für mich habe ich das eigentlich immer gemacht, aber wenn man etwas immer nur für sich macht, bekommt man nicht mit, dass es auch anderen Leuten gefällt. Was nun dieses Album angeht, sagte Linda dann: „Spiel mal richtig Gitarre und hol da keinen anderen dazu, um das zu machen.“ Er ist schon etwas einfältig, mein Style als Gitarrist. Nicht gerade umwerfend technisch… ein bisschen wie der Ansatz von Neil Young vielleicht. Ich sehe da durchaus Parallelen zu Neil. Ich weiß, dass wir auf ähnliche Dinge stehen.
Kannst du dich noch daran erinnern, woher die Idee kam, auch Ringo ins Boot zu holen?
Jahrelang hatte ich immer wieder zu Ringo gesagt, dass wir unbedingt mal was zusammen machen müssten, weil wir ja nie wirklich viel außerhalb von den Beatles zusammengearbeitet hatten. Eines Abends machte dann Jeff den Vorschlag – „Warum holst du eigentlich nicht Ringo dazu?“ Und ich sagte nur: OK! So kam es dann einfach so dazu.
Ich hatte diesen Song Beautiful Night, den ich schon ein paar Jahre zuvor geschrieben hatte. Ich mochte ihn immer, fand aber auch, dass ich noch nicht die perfekte Version davon aufgenommen hatte.
Also holte ich dieses Stück hervor, als Ringo vorbeikam, und es war sofort wie früher, wie in den guten alten Zeiten! Mir wurde da erst klar, wie lange wir das nicht mehr gemacht hatten. Aber es war echt ungezwungen, es war immer noch da. Also machten wir Beautiful Night fertig und verpassten dem Stück am Ende noch einen schnellen Part, den es vorher nicht gegeben hatte. Und wie wir dann das Studio verlassen und den Abhörraum betreten, imitiert Ringo einen Türsteher und sagt, „all right then, on your way…“ – wenn man genau hinhört, kann man das auch auf dem Album hören; wir haben es einfach drin gelassen.
Nachdem Beautiful Night also im Kasten war, reichte mir das nicht: Es hatte mir zu viel Spaß gemacht, und ich wollte, dass wir weitermachen. Ringo war also da, er war in Topform, der Sound passte, und ich sagte: „Warum machen wir nicht einfach eine Jam-Session oder so?“
Ich schnappte mir meinen Hofner-Bass, er legte los am Schlagzeug und Jeff Lynne spielte Gitarre dazu – wir drei hatten ganz spontan so ein richtiges kleines R&B-Ding am Laufen. Und dann habe ich den schlimmsten Traum eines Schauspielers wahr gemacht: Er steht auf der Bühne und weiß nicht, in welchem Stück er da gelandet ist. Wenn man so eine Session veranstaltet, ist der Gesang genau dieser Traum – weil du dich überall hinbewegen kannst, du kannst einfach alles machen mit der Stimme. Allerdings muss man dafür wirklich seinen Kopf frei bekommen, alles vergessen – obwohl man ja gerade auch noch Bass spielt – und dem Kopf erlauben, sich an irgendeinen mystischen Ort zu bewegen. Einfach alles zu improvisieren.
Na ja, als wir damit durch waren, spielte ich die Aufnahme Ringo vor und er sagte nur: „Das ist erbarmungslos.“ Und das war Really Love You.
Die meisten Schlagzeugparts dieses Albums hast du selbst eingespielt; was hat Ringo denn genau beigesteuert?
Diese Magie. Weißt du, es ist immer großartig, sich mit Ringo zusammenzusetzen. Es lohnt sich wirklich jedes Mal. Jedes Mal macht es Spaß. 2019, als ich gerade meine Tour in Los Angeles zu Ende brachte, kam Ringo zu mir auf die Bühne und wir spielten Helter Skelter zusammen. Er legte los am Schlagzeug und ich sang mit dem Gesicht zum Publikum, weil ich ja am Mikrofon stand. Aber immer, wenn ich gerade nicht am Mic stehen musste, also während der Solo-Passagen und so, habe ich mich jedes Mal zu ihm umgedreht, einfach um mir anzuschauen, wie dieser Typ Schlagzeug spielt. Und ich denke nur bei mir: Oh Gott, wie viele Erinnerungen in diesen zehn Metern zwischen uns hier zu finden sind… Er am Schlagzeug und ich am Bass. Wie viel gemeinsame Lebenszeit hier gerade im Spiel ist.
Also, ja, das ist schon eine Art Magie. Inzwischen werden wir beide richtig emotional, was das angeht – was auch richtig ist! Wir sollten so fühlen. Das ist eine verdammt emotionale Angelegenheit, diese Zeitspanne. Zumindest das ist sie.
Kann man sagen, dass du auf Mehrdeutigkeit setzt, wenn du Songs über emotionale Themen schreibst, die einen Bezug zur Realität haben?
Das stimmt. Selbst wenn ich über eine ganz konkrete Angelegenheit schreibe, verschleiere ich die Sache. Das ist halt meine Art, so habe ich mich einfach entwickelt als Songwriter. Wenn ich über Einsamkeit schreiben will, dann ist es bei mir eine Eleanor Rigby, die das für mich ausbaden muss; bei Little Willow war es der Tod von Maureen Starkey. Ich weiß noch, wie ich mich in ein Zimmer zurückgezogen habe und meine Gefühle in diesen Song gesteckt habe. Die ganze Zerbrechlichkeit des Lebens steckt in diesem Song – nur nannte ich ihn dann eben nicht Maureen, wenn du weißt, was ich meine: Er heißt Little Willow. Ich bevorzuge es immer, eine Erzählung, eine Geschichte zu erfinden, die Dinge mit etwas Fantasie zu verpacken. Denn so kann ich meine Gefühle zeigen, aber alles ist nicht ganz so direkt. Auch für die Leute ist es einfacher damit umzugehen, wenn ich das Stück Little Willow nenne. Schließlich haben wir alle unsere Little Willow, man kann sich damit identifizieren.
Calico Skies ist noch so ein Song, mit dem sich die Menschen identifizieren können. Mir gefällt das. Ich habe die Zuhörer*innen nämlich immer im Hinterkopf, wenn ich schreibe, aber manchmal passieren einfach Dinge, auf die ich unbedingt mit einem Song reagieren muss. Das fühlt sich jedes Mal gut an: Alles fühlt sich dadurch irgendwie realer an. Man stellt dann wirklich die eigenen Gefühle zur Schau.
Welche Stücke sind deine Lieblingssongs von Flaming Pie?
Souvenir ist ein kleines bisschen ein Favorit. Den hätte ich echt gerne als Single veröffentlicht, dabei wusste ich, dass kein Mensch auf diesem Planeten die Nummer jemals zur Single gemacht hätte…
Ich war gerade in Jamaika im Urlaub, als ich den geschrieben habe. Es war ein entspannter Nachmittag zum Faulenzen. Und ich dachte an Wilson Pickett. An echten R&B. Ich mag dieses Gefühl, dieses Faulenz-Ferien-Feeling. Als ich dann eine Demoversion aufnahm, klingelte mittendrin plötzlich das Telefon. Ich ließ es klingeln. Dann fing es an zu regnen, so ein richtiger Tropenschauer – alles während der Aufnahme! Ich liebte diese Demoversion, hätte sie auch fast so aufs Album genommen, weil die Stimmung so einzigartig war und man hören konnte, was da vor sich ging.
Bei der Arbeit mit Jeff haben wir diese Demoaufnahme dann als Leitfaden genommen und das Stück exakt nachgebaut: Phrase für Phrase, indem wir einfach qualitativ bessere Aufnahmen darübergelegt haben. Das Gewitter haben wir zwar nicht neu aufgenommen, aber wir haben dafür gesorgt, dass die neue Version mindestens so gut ist – und auch das Feeling vom Originaldemo erhalten bleibt.