Das breite atmosphärische Spektrum der PJ Harvey: 30 Jahre „To Bring You My Love“
popkultur27.02.25
Heute vor 30 Jahren präsentierte PJ Harvey ihre Stärken mit einem noch dynamischeren Sound: To Bring You My Love reicht von ganz leise und atmosphärisch zu laut und wütend – in einer Konfrontation aus Musik und Text, die alte Rollenbilder aufbricht.
Polly Jean Harvey hatte mit ihren ersten zwei Alben, Dry und Rid Of Me, bereits große Wellen gemacht und klargestellt: FLINTA* in der Rockmusik müssen nicht entweder still-bedachte Poet:innen à la Joni Mitchell oder rasend-feministische Punks wie Bikini Kill sein – sie können auch eine Verschmelzung beider sein. Harveys Kunst ist zum einen sophisticated, subtil und wortgewandt, zum anderen ist sie, vor allem in den ersten beiden Alben, laut, wütend und schmutzig. Dieser stürmische Stil wurde in der damaligen Grunge-Ära mit offenen Armen willkommen geheißen, andererseits war sie eben mehr als nur das.
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Abschied vom Rock-Trio
Mit ihrem Drittwerk To Bring You My Love nahm sie den Fuß ein wenig vom Gaspedal herunter, zumindest teilweise. Dafür präsentierte sie ein dynamischeres, vielseitigeres Werk, das ihre Poesie noch mehr zum Leben bringt. Grund für die Ausweitung des Sounds ist auch eine Umstrukturierung der Band. Das PJ Harvey Trio hatte vorher nur aus Harvey an Gitarre und Gesang, Rob Ellis am Schlagzeug und Ian Oliver am Bass bestanden. Nun sehnte sich Harvey nach einem größeren Team.
Sie wollte sich aufs Singen konzentrieren und ließ sich von fünf Session-Musiker:innen unterstützen. „Ich war so ermüdet von diesem Lineup aus nur Gitarre, Bass und Drums“, erzählte Harvey auf der Interview-Disc zu To Bring You My Love. „Das fühlte sich sehr einschränkend an und beim Schreiben des Albums wollte ich mir keine Grenzen setzen. Daher gründete ich diese neue Band, sodass alle Instrumente, die auf dem Album sind, live performt werden können.“
Immersion statt Lärm
Und während Rid Of Me noch von Noise-Rock-Gott Steve Albini produziert war, waren dieses Mal Flood und John Parish dafür zuständig – ebenfalls Legenden alternativer Musik, die aber für ein noch breiteres Soundspektrum stehen. So gibt es etwa auch mal dramatische Streicher, die man davor nicht erwartet hätte. Songs wie Teclo sind ruhiger, als man es zuvor von PJ Harvey hörte, und setzen dafür auf Atmosphäre.
Der Gesang in Working For The Man ist ungewöhnlich dumpf aufgenommen und gemixt, was erstmal verwirrt, aber zusammen mit dem schleichenden Instrumental und dem Text ein starkes Bild kreiert: „Pretty things get in my car / Take them flying, it's not far / Take 'em handsome, take 'em mean / Look good in my steel machine“. Zum einen klingen diese Zeilen, als könnten sie aus einem klischeehaft-misogynen Hard-Rock-Song stammen, wenn ein Mann sie sänge. Andererseits schwebt im Song stets ein unheilvoller Beigeschmack mit, die Vorahnung, dass das lyrische Ich ein herumfahrender Serienmörder sein könnte.
Das Album habe noch mehr als zuvor auf Atmosphäre basiert, erklärte Harvey auf der Interview-CD: „Die Startpunkte einiger Songs waren Gefühle, die ich durch Musik kreieren wollte. Das stand vor allem anderen fest, noch vor der Songstruktur oder den Texten. Es war die Stimmung, die ich durch die Musik bekam, davon ausgehend würde ich weiterarbeiten. Dieses Album aufzunehmen, wurde dadurch zu einem der schwersten Dinge in meinem Leben. Denn ich musste erst in den richtigen Gemütszustand kommen, der sich von Song zu Song unterschied.“
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Rollentausch
Jedoch ist To Bring You My Love kein ruhiges Album. Viel davon fußt auf alter Rock-Musik und es gibt Referenzen auf Artists wie Lead Belly oder Captain Beefheart. Der Titeltrack klingt nicht nur nach Blues, sondern nutzt auch textlich dafür typisches Vokabular, durch Vergleiche mit Jesus oder Deals mit dem Teufel. Harvey singt von einer Frau, die durch viele schlimme Erfahrungen in ihrem Leben gegangen ist, nur um Menschen ihre Liebe zu geben. So bedient sich PJ Harvey in diesem Album oft an klassisch männerdominierter Musik, um sie in Songs über die Narrative von FLINTA*-Personen zu rekontextualisieren. Auch wenn Harvey sich nie als Feministin bezeichnen wollte, ist To Bring You My Love ein Album, das Geschlechterrollen hinterfragt.
Dafür singt Harvey aus Perspektiven unterschiedlicher Charaktere – obwohl viele Hörer:innen sie dennoch fragten, ob ihre Songs autobiographisch seien. Dabei handelt ausgerechnet der bekannteste Track des Albums, Down By The Water, von einer Mutter, die ihre eigene Tochter ertränkt. Die Mutter handelt so, weil sie ihre Tochter für ihre Sünden bestrafen wolle, sie sei zu einer Hure geworden. Der Song spielt mit religiöser Symbolik, etwa Fischen und reinigendem Wasser. So wird Down By The Water zu einer kritischen Beobachtung religiöser und traditioneller Anschauungen zu weiblicher Sexualität. Der Song wird von einem stark verzerrten Bass getragen, über den sich später nervenaufreibend monotone Streicher und ein Kinderlied-artiges Mantra legen – einer der gespenstischen Höhepunkte des Albums, der Harvey zum Durchbruch verhalf.
Generell etablierte To Bring You My Love PJ Harvey endgültig, da es sie als noch detaillierter porträtierte Künstlerin zeigte. Von melodischen Balladen wie C’mon Billy zu Rock-Explosionen wie Long Snake Moan: Das Album überzeugt durch Kontraste. Traditionelle, dreckige Blues-Riffs treffen auf vorwärtsgewandte, verletzliche Lyrik.