
Review: Mit „People Watching“ perfektioniert Sam Fender seinen Sound zwischen UK und USA
platten21.02.25
Wer so einen Nachnamen trägt, muss es in der Gitarrenmusik weit bringen. Wie weit, zeigt Sam Fender auf People Watching: Sein drittes Album perfektioniert den Grenzgang zwischen Springsteen’schem Heartland Rock und Britpop.
Niemand wird bezweifeln, was für ein massives Talent Sam Fender ist. Jede:r, der ihn hört, der das erste Mal dieser Stimme und diesen Songs lauscht, ist ergriffen. Erfüllt von bittersüßer Euphorie, von Melancholie; denkt über all das nach, was war, wie man zu dem Menschen geworden ist, der einem heute aus dem Spiegel entgegenblickt. Große Musik kann das. Und Sam Fender schreibt seit seinem fantastischen Debüt Hypersonic Missiles genau das. Große Musik.
People Watching gibt’s in vielen tollen und exklusiven Formaten hier:
Elton John schenkt ihm Gitarren
Mittlerweile ist er bei Album drei angekommen. Viel ist passiert. Er bekam zwei Gitarren von Elton John geschenkt. Er sagte eine US-Tour aus Mental-Health-Gründen ab. Er bekam BRIT Awards. Er wurde 30. Sam Fenders zweites Album Seventeen Going Under ist ein Meilenstein der englischen Gitarrenmusik, eine Masterclass in Sachen Songwriting und längst ein Klassiker, der all seine Einflüsse von Steely Dan über Bruce Springsteen und Joni Mitchell bis hin zu den Smiths oder Kendrick Lamar hörbar, spürbar machte.
Dem muss man erst mal etwas nachfolgen lassen. Sam Fender hat sich Zeit gelassen für dieses dritte Album, hat erst mal genau das gemacht, was der Platte schließlich ihren Namen gegeben hat: People Watching. Sam Fender war immer schon ein Beobachter der menschlichen Seele, der in seinen Songs Persönliches (wie er als 17-Jähriger seine Mutter finanziell unterstützte) und Universelles zu verknüpfen weiß, wie es vor ihm eben nur die großen Liedermacher geschafft haben. Springsteen, Knopfler, Clapton.
Die Musik schielt auf die große Bühne
Es stimmt schon, dass Sam Fender mittlerweile eher in den Arenen zuhause ist und die Pub- oder Clubbühnen lange hinter sich gelassen hat. Es stimmt schon, dass man das auch der Musik anmerkt. Doch People Watching schafft es, sich die Rohheit, Verletzlichkeit und Aufrichtigkeit zu bewahren, die seinen beiden Vorgängern so gut zu Gesicht stand. Es gibt mehr Bläser, mehr Keyboards, mehr epische Arrangements als früher. Doch im Kern ist Sam Fender immer noch der Chronist Newcastles, ein Geschichtenerzähler, der die vergessenen Schichten der Gesellschaft sichtbar macht. Und das diesmal auch schon im Artwork aus der Feder der verstorbenen Fotografin Tish Murtha, die für ihre Dokumentationen von Randgruppen, sozialem Realismus und dem Leben der Arbeiterklasse in Newcastle upon Tyne und dem Nordosten Englands bekannt war. Das visuelle Gegenstück zu Sam Fenders Musik also.
Eskapismus und Realismus
Vielleicht mehr denn je vermitteln seine Lieder eine expansive „Wir schaffen das“-Einstellung, selbst dann, wenn sie das „Wir können nicht mehr“-Leben der Zurückgelassenen dramatisieren. Dieses Spannungsfeld ist es gerade, das der Musik bei aller Melancholie auch Hoffnung gibt. Es muss ja nicht immer so weitergehen, wie es gerade läuft. So entsteht eine originäre, unverkennbare Mischung aus großflächigem Eskapismus und sozialem Realismus, diesmal eben mit der etwas größeren Geste.
Der eröffnende Titelsong strotzt dann auch nur so vor seinem charakteristischen Sound, den motorischen Rhythmen und Emotionen, die die Arme weit ausbreiten. Er ist eben immer noch der Geordie Springsteen, mehr noch auf diesem Album denn je, weil er mittlerweile ebenfalls die Stadiongröße erreicht hat wie Springsteen und dennoch glaubhaft seine Blue-Collar-Songs singt. Chin Up zeigt ihn dann aber quintessenziell britisch und mit Oasis-Vibe, während Remember My Name die Klangwelt der englischen Brass-Kapellen aufgreift. Man merkt also schon: Es gibt viel zu entdecken. Sam Fender hat seinen Kosmos behutsam ausgedehnt, lässt die melodramatischen Dinge noch melodramatischer, die Rocker noch rockiger erklingen. Das haben wir auch Produzent Adam Granduciel von The War On Drugs zu verdanken. Andernfalls hätte People Watching hier und da durchaus ins Pathetische abdriften können.