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Foto: Cindy Ord/GettyImages

„I Am: Celine Dion“: Intime Einblicke in katastrophale Momente

Es ist jetzt rund zwei Jahre her, dass Céline Dion mit ihrer Diagnose an die Öffentlichkeit ging: Der kanadische Superstar leidet an einer unheilbaren, neurologischen Autoimmunerkrankung namens Stiff-Person-Syndrom. Dabei handelt es sich um eine seltene Krankheit, bei der der ganze Körper in einen Krampfzustand versetzt wird. Die Auswirkungen sind aber leider gerade noch für Dion verheerender, denn die Krankheit beeinträchtigt auch ihre Stimme massiv. Nun erschien mit I Am: Celine Dion (zu sehen auf Amazon Prime Video) eine Dokumentation von Regisseurin Irene Taylor, die beinahe schon radikal intime Einblicke in Dions Alltag gibt – und den Fokus nahezu gänzlich auf ihre Leidensgeschichte legt.

Ungeschönte, schockierende Szenen

Dabei gelingt Taylor durchaus ein Kunststück – denn während andere Dokus in ihrem PR-Narrativ schon mal recht genau abgesteckte, vermeintliche Wahrheiten in wohldosierte Werbefilme verwandeln, ist I Am: Celine Dion ein erschütterndes Werk. Dass man zu Beginn eine Trigger-Warnung zu sehen bekommt, ist da keine große Überraschung. I Am: Celine Dion zeigt Dion in katastrophalen Momenten – etwa bei einem massiven Krampfanfall. Dabei gibt sich Dion, die große kanadische Diva, absolut uneitel. Die Kamera begleitet sie nicht nur in einige intime Familienmomente mit ihren Söhnen, sondern auch zu Konzerten, in die Physiotherapie sowie zu anderen Terminen. Unter Tränen und sichtlich verzweifelt berichtet Dion von ihrem Leiden. Von der Gewissheit, dass ihr altes Selbst (das auf den großen Bühnen mit dieser immensen Stimme) Vergangenheit sein könnte.

Sie wäre gerne eine Rockerin geworden

Es ist nicht der erste Superstar, der in diesem Jahr seine Stimmprobleme vor der Kamera zeigte: Jon Bon Jovi machte in der Disney+-Dokumentation Thank You, Good Night: The Bon Jovi Story seinen Kampf mit den Stimmbändern öffentlich. Doch während bei Bon Jovi ein nahezu ungebrochener Kampfwille mit gelegentlichen Momenten der Deprimiertheit gezeigt wird, ist es bei Dion die schiere Verzweiflung. Nicht, dass es nicht auch leichtere Momente im Film gäbe: die Kanadierin zeigt sich auch als durchaus humorvolle Zeitgenossin. Sie wäre gerne eine Rockerin geworden, erklärt sie ihrem Physiotherapeuten. Sie habe Leute immer bewundert, die nach dem Konzert gleich an die Bar gehen und einen drauf machen, einen über den Durst trinken und am nächsten Tag trotzdem wieder unter Jubel ihre Rocksongs spielen. Sie hingegen trinkt Tee und Wasser und geht schlafen, scherzt sie. Ebenfalls ein witziger Moment ist, wie man Dion in einem Lagerhaus sieht, in dem ihre zahlreichen Bühnenkostüme aufbewahrt werden. Dion erklärt, dass das eine Art Museum für sich selbst sei.

Leider gibt es bei I Am: Celine Dion aber kein Happy End. Die Krankheit gilt als unheilbar. „Ich hoffe, dass wir ein Wunder finden werden, einen Weg, sie mit wissenschaftlicher Forschung zu heilen, aber im Moment muss ich lernen, damit zu leben“, erklärte Dion gegenüber der Vogue – und beschrieb ihren Tagesablauf so: „Fünf Tage in der Woche unterziehe ich mich einer Sport-, Physio- und Gesangstherapie. Ich arbeite an meinen Zehen, meinen Knien, meinen Waden, meinen Fingern, meinem Gesang, meiner Stimme… Ich muss jetzt lernen, damit zu leben und aufhören, mich selbst in Frage zu stellen.“

Therapie und Entschlossenheit

Genau in diesen Therapiemomenten sieht man sie auch immer wieder im Film. Dion bemüht sich dabei in keiner Sekunde, den Anschein einer Diva wahren zu wollen. Man sieht sie ungeschminkt, weinend. Sie trägt die Haare zum Dutt, dazu eine Lesebrille. Sie zeigt, wie unmöglich die hohen Töne geworden sind – was früher imposant über mehrere Oktaven ging, wird heute in den oberen Registern nur noch ein Krächzen. Dabei bricht sie in Tränen aus – genau wie in dem Moment, an dem sie eine Videobotschaft an ihre Fans aufnimmt und ihnen von der Diagnose berichtet.

Ob Céline Dion jemals wieder in alter Form auf die Bühne zurückkehren kann, ist fraglich. I Am: Celine Dion verdeutlicht das genau. Sie selbst will das zwar, aber kann keine Versprechen abgeben. Das erklärte sie jetzt auch gegenüber der Vogue: „So wie die Dinge stehen, kann ich nicht hier stehen und zu dir sagen: ‚Ja, in vier Monaten.’ Ich weiß es nicht…. Mein Körper wird es mir sagen”, sagte sie. „Es ist hart, ich arbeite sehr hart und morgen wird es noch härter sein. Morgen ist ein neuer Tag. Aber es gibt eine Sache, die niemals aufhören wird, und das ist der Wille. Es ist die Leidenschaft. Es ist der Traum. Es ist die Entschlossenheit.“

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