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Foto: Ryan Clemens

Queer und horny: Willkommen im goldenen Zeitalter von „Sapphic Pop“

Die Popmusik ist so queer wie nie zuvor. Speerspitze dieser sexuellen Revolution sind junge Frauen wie Chappell Roan, Billie Eilish oder King Princess. Sie zelebrieren ihr queeres Leben, erobern damit die Charts und sprengen identitäre Ketten mit der Kraft der Musik.

Schwul ist die Popmusik schon seit Jahrzehnten. Boy George, Freddie Mercury, Elton John, George Michael… die Liste ist lang. Homosexuelle oder queere Frauen hingegen sind lange Mangelware – und oftmals dem male gaze ausgesetzt. „Höhö, schau mal, die beiden Frauen machen miteinander rum.“ Liebe zwischen Frauen wird entweder zu einem verrückten Experiment, um den Boyfriend eifersüchtig zu machen (I Kissed A Girl), Gegenstand handfester Skandale (Madonna und Britney küssen sich live im Fernsehen) oder ist einfach nur ein Fake, um Männer aufzugeilen (t.A.T.u.). Und wenn eine Musikerin dann doch mal offen lesbisch ist wie Linda Perry von den 4 Non Blondes, kostet sie das fast ihre Karriere.

Horny und Spaß dabei

Gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Frauen, ganz gleich, ob homosexuell, bisexuell, queer oder alles dazwischen, kommt viel zu lange viel zu kurz in der Popkultur. Bis jetzt. In den letzten Jahren wuchs eine neue Generation zu jungen Frauen heran, die Geschlechterrollen längst überwunden hat, kein Problem damit hat, horny zu sein und offen über ihre Gelüste singt. Billie Eilish erzählt uns in ihrem monotonen Singsang, dass sie dieses eine Girl gern zum Lunch verputzen möchte, King Princess macht es etwas weniger dezent mit Pussy Is God, Girl In Red seufzt I Wanna Be Your Girlfriend.

Antike Muse, neuer Pop

Das hat ab sofort einen eigenen Namen: Sapphic Pop, benannt nach der antiken griechischen Dichterin Sappho, eine der größten Musen der Antike, die bekannt war, ihre Liebe zu Frauen in kunstvollen Wortgebilden festzuhalten. Das hat auch die US-Autorin James Factora dazu bewegt, einem Essay den Titel Welcome To The Golden Age Of Sapphic Pop Horniness! zu geben. Darin schildert sie den Albtraum jedes konservativen Cis-Mannes, dessen einziger Bezug zu lesbischer Liebe eine Kategorie auf YouPorn ist: „Lesbischer Sex ist in der Mainstream-Popkultur so präsent wie nie zuvor“, schreibt sie darum. „Die Celesbians fühlen sich jetzt frei, offen geil zu sein, und ich könnte begeisterter nicht sein. Dieser Moment hat viel zu lange auf sich warten lassen.“

Sapphic Pop im Circle Store:

Sapphic Pop ist Balsam

In der Tat kannte die Popmusik zwar Musiker, die gay waren, und das oftmals auch offen zugaben. Doch wirklich gay war die Musik eben nicht. Bei Queen wird man zumindest vergeblich nach irgendwelchen queeren Themen suchen. Das ändert sich jetzt. Nicht, weil plötzlich mehr Menschen queer werden als früher – angesteckt, wie die Republikaner:innen fürchten, von all den queeren Themen in Songs und Serien. Nein, weil glücklicherweise immer mehr junge Menschen merken, dass es in der Sexualität mehr gibt als schwarz und weiß. Das reflektiert endlich auch die Musik. Sapphic Pop ist Balsam, ist ein wohltuendes Gegengewicht zur immer noch wild um sich schlagenden Homophobie allerorten.

Der Erfolg dieser Acts unterstreicht die Notwendigkeit dieser Entwicklung – hunderte Millionen Klicks bei Spotify, Headliner-Slots vor zehntausenden Leuten. Sapphic Pop ist unapologetisch queer, laut und unverschämt. Und wird die Popkulturlandschaft nachhaltig verändern. Und das zum Guten, wie James Factora betont: „Konservative tun so, als sei jede Berührung mit queerer Sexualität eine von Natur aus traumatische Erfahrung für junge Menschen. Aber wenn es mehr Popkultur gegeben hätte, die bestätigt hätte, dass es in Ordnung ist, nicht nur Händchen halten und sich gegenseitig die Haare flechten zu wollen, sondern auch fi**en zu wollen, wären meine Jugendjahre vielleicht etwas weniger traumatisch gewesen oder zumindest nicht so voller Scham.“ Die Revolution ist da. Das wird natürlich nicht jeder oder jedem gefallen. Aber das Schöne daran ist: Es ist vollkommen egal.

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