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Foto: Jan Philipzen

Review: Drangsal steigen mit neuer Ambition als „Phönix“ aus der Asche empor

Die Neuerfindung von Drangsal als Trio heißt Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen. Das vierte Album ist größer, greifbarer und vielfältiger.

Der Weg aus der Sackgasse

Seit fast zehn Jahren ist Max Gruber alias Drangsal nun fester Bestandteil der deutschen Indie-Landschaft – und wir haben viel mit ihm erlebt. Das Debüt Harieschaim schlug sofort ein: mit einer offensichtlichen Hommage an den New Wave und Post-Punk der 80er und Texten, die größtenteils noch auf Englisch waren. Auf dem Nachgänger Zores entwickelte Drangsal diesen Stil dann in eine eigenständigere Richtung weiter, die das Projekt endgültig etablierte. Noch pathoserfüllter, fast schlagerartig fiel Exit Strategy aus – und dann? Ein paar Singles und Features, ein literarisches Debüt namens Doch, die Supergroups Die Benjamins und Die Mausis. Aber was sollte der nächste große Schritt für Drangsal sein?

Als man das erste Mal Drangsal hörte, schienen so viele Türen in verschiedenste Richtungen offen zu sein, aber nun? Ratlosigkeit. Sogar die Idee, gar keine Drangsal-Platte mehr zu machen. Das ist dann offensichtlich nicht passiert, aber wie wurde der Knoten gelöst? „Im Zuge eines Zusammenbruchs hat Max Gruber den Soloartist Drangsal gekillt und die Band Drangsal gegründet.“

Dieses neue Trio besteht neben Gruber aus Lukas Korn (Produzent für u. a. Mia Morgan sowie Mitglied von Lyschko) und Marvin Holley (Arrangeur für Film und Theater). Zu dritt explodierte der Songwritingprozess in zahlreiche, bunte Ideen. Entsprechend ausufernd ist das Album, das daraus resultierte: 17 Tracks, fast eine Stunde Material und ein fast genauso langer Titel: Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen.

Eine größere Spielwiese

Und natürlich hat sich auch der Sound verändert. Glitzernden Pop gibt es hier immer noch viel, aber vieles klingt organischer. Direkt im ersten Track Love Will See Us Through This stehen etwa Akustikgitarren, Querflöte und Klavier kalten Drummachines gegenüber, was ein wenig an The Notwist erinnert. Auch Bläser und Streicher treten in manchen Songs auf; die Synths, die sich immer wieder einmischen, sind dadurch noch prägnanter. Neben Lukas Korn war Max Rieger der Hauptproduzent, welcher seine Künste hier voll entfaltet.

Dass Drangsal nun dreigeteilt ist, zeigt sich auch darin, dass die Songs vielfältiger und abenteuerlicher sind. Die Bestie mit dem brennenden Schweif wechselt ständig progartig die Taktart, was das unbequeme Gefühl des Songs gut einfängt. Funke & Benzin wechselt plötzlich in eine spannungsgeladene, technoide Bridge, um dann wieder in den gleichen sanften Refrain zu münden. Und der bisher längste Drangsal-Song Nation Of Resignation klingt wie die drohende Apokalypse, die er beschreibt: Er verliert sich in einem Strudel aus Echos, bis nur noch Brachland übrig bleibt. Auf dem Album toben sich die Einflüsse und Ambitionen aus.

Selbstflucht und gelungene Mischungen

Neuerfindung ebnete den Weg zu Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen. Wie der Titel aber zeigt, ist die neue Identitätsfindung nach dem Schlussstrich gar nicht so einfach. Während Gruber stetig nach neuen Ichs sucht, ist er vor allem auf der Flucht vor dem eigenen Selbst – ein altbekanntes Thema in Drangsal-Texten. Da der Musiker bekannterweise gut texten kann, wird das nie langweilig. Inkomplett etwa demonstriert, wie kreativ er mit der deutschen Sprache umgehen kann: „Ich bin groß, wär viel lieber klein, insgeheim und klitze-“ oder „Kannst du etwas für dich behalten? Dann lass es mich sein.“

Ihm dahingehend ebenbürtig ist die Culk-Sängerin und Solokünstlerin Sophia Blenda, bekannt für ihre nuschelnd-mächtige Stimme, feministischen Reflexionen und poetische Ader. Sie ist auf Mein Mo(nu)ment zu Gast und die Chemie stimmt. Es ist ein wunderbar ausgeglichenes Duett und ein klares Highlight abseits der Singles. Von denen bleibt unter anderem Pervert The Source besonders im Kopf: eine funky-virtuose Bassline, dröhnende Bläser und eine der simpelsten, aber besten Pop-Hooks des Albums.

Bei 17 Tracks ist nicht jeder ein Treffer. Der Gedichttrack Rosa gerät dann doch ein wenig prätentiös. Hab Gnade! packt zu sehr in die Dramakiste, ohne dabei eine gute Hook zu liefern. In den besten Momenten des Albums aber wird die neugefundene Experimentierfreude mit theatralischem Pop gekreuzt, wie wir ihn bereits kannten. „Gothic“ war Drangsal zwar immer, auch in den strahlendsten Pop-Momenten. Der organischere Touch sowie die Spielfreude und Soundvielfalt machen die düstere Ästhetik hier aber noch greifbarer und spannender. Eine gelungene Wiedergeburt, ein stolzer Phönix.

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