Sincerely, kommt von Herzen, geboren aus emotionalem Tumult und neuen Erkenntnissen. Kali Uchis reflektiert, wertschätzt und verteilt Liebesbriefe ‒ und klingt dabei romantischer und schöner denn je.
Ende und Anfang
Das Leben verlief im letzten Jahr turbulent für Kali Uchis: Erst erschien ihr gelobtes Album Orquídeas, wurde für einen Grammy nominiert und gewann weitere Preise. Dann wurde sie Mutter ‒ ein lebensverändernder, schöner Moment, wie sie selbst sagt. Aber zeitgleich litt auch ihre eigene Mutter an Lungenkrebs und starb schließlich im Winter daran.
Mutter zu werden, während man langsam die eigene Mutter verliert, rief eine ziemliche Verwirrung der Gefühle hervor. Aber das Arbeiten am nächsten Album Sincerely, wurde zur Zuflucht, mit der sie alles verarbeiten konnte, schrieb Kali Uchis im Magazin Marie Claire: „Ich liebe es, mein Herz auszuschütten und eine Geschichte zu erzählen. Oft schreibe ich Musik für jemanden, sodass sich das Hören anfühlt, als würde man einen Brief lesen. Jeder Song auf Sincerely, ist ein anderer Brief an eine andere Person.“
Der Titel Sincerely, passt dazu gut: Zum einen nutzt man das Wort ‒ samt Komma, natürlich! ‒ meist am Ende von Briefen. Zum anderen klingt das Album einfach sehr sincere, sehr ehrlich, liebevoll und sanft. Es hat Texte, die geliebten Personen gewidmet sind, und Musik, die noch weicher und verträumter klingt, als wir Kali Uchis bisher kannten.
Kali Uchis im Circle Store:
Romantik in Zeiten des Schmerzes
Einer dieser Briefe geht an ihr Baby: ILYSMIH heißt „I love you so much, it hurts“ und drückt aus, wie überwältigend das Gefühl ist, ein Kind in die Welt zu setzen. Für ihren Sohn verspürt Kali Uchis eine Liebe, die so stark ist, dass sie dadurch auch die schlimmsten Schmerzen bewältigt ‒ seien es die Schmerzen der Geburt oder die des Verlusts ihrer eigenen Mutter.
Und auch romantische Liebessongs finden sich hier natürlich zu Genüge. „Love is a gun, I’ll bite the bullet“, singt Uchis in For: You. Gegenüber Billboard hatte Uchis es so ausgedrückt: „Das Album handelt davon, wie man Freude im Leben findet, trotz der aktuellen Lage der Welt ‒ trotz der Umstände, in denen man sich befindet, dennoch das eigene Leben zu romantisieren.“
Träumerischer Sound
Warm und romantisch klingt auch die Musik auf Sincerely,. Nach dem tanzbaren Reggaeton von Orquídeas kommt es langsam und verträumt daher. Langeweile aufgrund mangelndem dynamischen Kontrasts kommt aber nicht auf. Uchis probiert sich an verschiedenen Stilen, die alle in einem smoothen, einfach schön klingenden Rahmen stattfinden. Davon stehen ihr manche Genres (wie Dream Pop in Lose My Cool,) zwar besser als andere (der etwas klischeehafte Doo-Wop in All I Can Say). Die Songs fließen aber alle nahtlos ineinander über, wodurch nichts allzu fehl am Platz wirkt.
In die Produktion des Albums kann man sich hineinlegen, so voll und opulent kommt diese daher. Saftige Basslines und psychedelische Gitarren machen ein weiches Bett. Die Streicherarrangements in vielen Songs kommen fast etwas märchenhaft daher. Diese Ästhetik konnte man schon durch den mystischen Album-Trailer erwarten:
Uchis’ Gesang passt schlicht perfekt zum smoothen R&B des Albums. In Songs wie Territorial kommt sie düster und verführerischer denn je daher ‒ was schon etwas heißen will; in Sugar! Honey! Love! hebt sie ihre Stimme in zuvor ungekannte Höhen, die den himmlischen Vibe des Songs unterstützen.
Nicht jeder Song zündet gleich gut, Sincerely, enthält aber insbesondere in der ersten Albumhälfte einige der besten Songs ihrer Karriere: Heaven Is A Home…, Sugar! Honey! Love, It’s Just Us, Territorial und mehr wollen immer wieder neu aufgelegt werden. Es hagelt schmerzhaft-schöne Akkordfolgen und Ohrwürmer en masse. Die Singles hebt Kali Uchis sich für den Schluss des Albums auf, aber bis dahin liegen wirklich genug Highlights auf dem Weg.
Rückkehr als erwachsene Frau
Obwohl Kali Uchis hier viel Neues ausprobiert, sind die R&B- und Soul-Anleihen irgendwo eine Rückkehr zu ihren Wurzeln. So sieht sie selbst das auch, als eine Rückkehr auf eine erhabene, reife Art: „Mehr als Frau und weniger als Mädchen“, sagte sie im Interview mit GQ España und bezeichnete es als ein reflektives und existenzielles Werk.
Der Tod ihrer Mutter und die Geburt ihres Kindes brachten Kali Uchis dazu, ihre eigene Identität neu zu entdecken. Damit kam eine neue Lebensfreude, eine Wertschätzung dessen, was und wen sie im Leben hat. Man hört ihr die Dringlichkeit an, mit der sie diese Erkenntnis teilen will. Und Sincerely, schafft es, diese Freude auf uns zu übertragen.