Endlich geht es mal nicht um seinen Zwist mit Roger Waters: Auf Luck And Strange brilliert David Gilmour als grandioser Sänger, Gitarrist und Songwriter, lässt Richard Wright auferstehen und setzt sich ganz ohne Melodrama mit dem Tod auseinander.
Eine schwarze Katze bringt ja eigentlich Unglück. Für einen David Gilmour gelten aber bekanntlich andere Gesetze. Wenn der also sein neues Soloalbum mit der instrumentalen Auftaktträumerei Black Cat eröffnet, dann ist das ein gutes Zeichen. Ein Totem. Ein Versprechen. So beginnt Luck And Strange dann auch: Das Intro ist Gilmours unverkennbarer Gitarrenstimme vorbehalten, der folgende Titeltrack kippt in einen lässigen englischen 3/4-Blues, schleppend, ein wenig knarzig, mit akzentuierenden Orgeltupfern (zu denen später mehr). Man kann nicht anders als an Wish You Were Here zu denken.
5 Soloalben in 45 Jahren
Aber so ist das natürlich bei einer Ikone wie David Gilmour. Ganz automatisch, unterbewusst, unfreiwillig gar forscht man in seiner Musik nach Anknüpfungspunkten an seine Arbeit mit Pink Floyd. Das ist ungerecht, unangemessen und würde ihm gar nicht gefallen, wüsste er es. Aber arme Sünder*innen wie wir können nun mal nicht anders. Und natürlich hat Gilmour eine charakteristische Stimme, die man ebenso eng mit Pink Floyd verbindet wie sein luftiges, sphärisches Gitarrenspiel.
In den letzten rund 45 Jahren hat er aber eben auch fünf Soloalben veröffentlicht – Luck And Strange inklusive. Neun Jahre sind seit Rattle That Lock vergangen. Vielleicht, so könnte man unken, würde der Maestro öfter etwas Neues veröffentlichen, wenn er sich nicht so häufig öffentlich über Roger Waters aufregen würde; vielleicht ist das aber auch vermessen. Denn letztlich steht Qualität über Quantität, und was das angeht, hätten wir auch noch zehn Jahre länger auf Luck And Strange warten können. Ja, es ist so gut.
„Wunderbarer Mangel an Respekt“
So frei, so unverkopft, so fabulierend musikalisch und dabei ganz und gar bei sich selbst klang Gilmour tatsächlich das letzte Mal in den Siebzigern bei Pink Floyd. Es ist deswegen vielleicht kein Wunder, dass er Luck And Strange als sein bestes Album seit Dark Side Of The Moon bezeichnet. Über fünf Monate hat er die Platte in Brighton und London mit Produzent Charlie Andrew (Alt-J) aufgenommen – und dabei eine Art Andrew-Watt-Moment erlebt wie die Stones oder Ozzy: „Er hatte einen wunderbaren Mangel an Wissen oder Respekt für meine Vergangenheit“, so Gilmour über die Arbeit mit dem jungen Produzenten.
Richard Wright spielt mit
Vielleicht wirkt die Platte deswegen so entschlackt. Weniger pompös, nicht mehr so heimgesucht von den aristokratischen Geistern der Vergangenheit. Oder zumindest nur von denen, die man auch im Studio haben möchte: Luck And Strange enthält nämlich 2007 aufgenommene Keyboardspuren des verstorbenen Pink-Floyd-Mitglieds Richard Wright . Die Brücke von dieser Vergangenheit in die Zukunft wird von Gilmours Stammbaum geschlagen: Gilmours Frau Polly Samson und sein Sohn Charlie haben die Lyrics geschrieben, während seine Tochter Romany die Harfe zupft und das wunderschöne, verletzliche Between Two Points (ein Cover der Montgolfier Brothers) auch singt – einer der uneingeschränkten Höhepunkte des Albums.
Nicht von der Zeit verwelkt
Ein Familienprojekt also. Mit dem Segen von Richard Wright und unter der Aufsicht eines Produzenten, der Gilmour nicht auf einem Podest sieht wie so viele andere. Das muss man als David Gilmour erst mal machen. Aber so hoch der Einsatz auch gewesen sein mag: Das Ergebnis spricht für sich. Natürlich bekommt seine Gitarre genügend Aufmerksamkeit, natürlich können wir uns immer noch hineinlegen in dieses sanfte Wogen, dieses unermüdliche Fließen seiner Musik. Und seine Stimme, die ist nicht mal im Ansatz verwelkt von der Zeit. Er scheint aber eher nur für sich und seine Freund*innen zu spielen als für alle anderen. Luck And Strange zeigt Gilmour, den Musiker. Und nicht Gilmour, die Legende . Zumindest in Sachen Solowerk ist das seine Bestmarke.
Leicht zu verdauen sind die Songs teilweise trotzdem nicht. Das knurrige, ahnungsvolle Dark And Velvet Nights ist seine persönliche lange dunkle Nacht der Seele, andere Stücke setzen sich mit dem Alter, mit Sterblichkeit auseinander. Viele von Samsons poetischen Texten liefern unheilvolle Anspielungen auf die herannahende Dunkelheit. Auf ein Ende. Gilmour ist 78, vielleicht ist das nur folgerichtig. Der Kloß im Hals ist trotzdem da, wenn er singt: „How will we part? Will I hold your hand, or you be left holding mine?“
Bei aller inhaltlichen Schwere gelingt es dem Album, eine Balance zu halten. Es gibt liebliche Melodien und lässig zuckelnde Beats wie in The Piper’s Call, es gibt Pink-Floyd-Endlosigkeit, Orgelflirren und orchestralen Pomp in Sings. Das große Finale ist dann aber das über siebenminütige Scattered. Ein wundervolles Liebeslied über das Ende aller Tage, über diese herannahende Nacht, die niemand aufhalten kann. Wie früher steigert sich das alles langsam, aber stetig in eine aufwühlende Coda (ein Schelm, wer da nicht an A Day In The Life denkt), die von einem grandiosen Solo gekrönt wird. „Time is a tide that disobeys, and it disobeys me“, heißt es da. Ein Finale, das sprachlos macht.
Die Uhr tickt. Gilmour weiß das. Vielleicht erklärt das ja die Dringlichkeit der Songs ja. Aber die Dunkelheit, sie zieht gerade erst herauf. Machen wir das Beste aus der Zeit, die wir noch haben.