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Foto: Jim Dyson/Getty Images

Review: Nick Caves „Wild God“ ist eine meisterhafte Ode an das Leben

Wild God ist ein beschwörendes, ekstatisches Meisterwerk. Nach Jahren der Trauer kanalisiert Nick Cave mit seinen furiosen Bad Seeds seinen Schmerz endgültig in Katharsis. Ein Triumph.

Nick Cave hat das Stadium des Sängers längst transzendiert. Hat sich unzählige Male getötet, um gewandelt aufzuerstehen. Lange vorbei sind die wilden Jahre des erratischen Junkies, ebenso vorüber seine Zeit als Schmerzensmann der Rockmusik. Innerhalb weniger Jahre verliert er zwei Söhne, wird von Schmerz und Trauer übermannt, steht doch wieder auf. Um zu schreiben, um zu atmen, um zu fühlen. In dieser Zeit, so sagt er,  haben ihn die Konzerte davor bewahrt, aufzugeben .

Kurz nach der Jahrtausendwende kommt niemand an diesem Song vorbei: Mit Butterfly landen die Rap-Rocker Crazy Town einen gewaltigen Hit. Es wird ihr einziger bleiben – und führt unweigerlich zum Ende der Band. Das ist die Geschichte hinter Butterfly.

Pure, nackte Lebenslust

Seine Musik wandelte sich auch. Die Platten Skeleton Tree und Ghosteen waren introspektive Studien, weniger Songs, eher Skizzen, sanfte Ambient-Collagen, die die fundamentale Macht der Trauer ins Zentrum stellten. Auch diese Zeit, so scheint es, ist vorbei. Obwohl die Trauer nie vergehe, wie er betont, ist Nick Cave auf der anderen Seite aus einem langen finsteren Tal aufgetaucht. Und erzählt uns auf Wild God davon.

Ekstatisch, freudig, voller purer, nackter Lebenslust und deutlich lebhafter als zuletzt geht er mit seinen Bad Seeds zu Werke, steigert die Stücke lustvoll in monumentale, furiose Ausbrüche. Wild God feiert das Leben als das, was es ist: ein Wunder. Ein kompliziertes, chaotisches, manchmal unverständliches und unausweichlich schmerzhaftes. Aber eben doch ein Wunder. Es ist ein Meisterwerk, nicht weniger als das, ein bemerkenswertes Album, dass es vollbringt, dass man sich neu in das Leben verliebt.

Wuchtige Schwärmereien

Kein Zweifel: So optimistisch, so schwärmerisch klang diese Band noch nie. Dennoch ist es bei allem Pathos, bei aller Liebe und allem verzückten Gesang nie zu viel. Die große Leistung dieses Albums ist, dass es nie kippt, nie melodramatisch oder kitschig wird. Die Art und Weise, wie die Bad Seeds ihre bemerkenswerten Stücke konstruieren, der ruhige Beginn, das Schwelen, das Surren, das langsame Aufbäumen bis zum entfesselten Klimax, hat nicht mehr viel mit klassischen Rock’n’Roll zu tun. Doch es bewegt mindestens genau so wie die fiebrigen Finsterhymnen von Tender Prey.

Berauschende Bandleistung

Nach dem poetischen Sonnett Song Of The Lake und den bereits bestens bekannten, sensationellen Titelsong geht es bei Joy gleich um die Kernaussage des Albums: „We’ve all had too much sorrow, now is the time for joy.“ Das ist so persönlich wie universell, gilt für Cave selbst wie für den Rest der Welt, die sich einmal mehr zahlreichen verheerenden Kriegen und Katastrophen ausgesetzt sieht.

Die Rolle des Warren Ellis ist nicht zu überschätzen, der Soundhexer beschenkt auch das 18. Studioalbum dieser einzigartigen Band mit einer Fülle besonderer Klänge und Melodien. Sogar als Sänger mit berauschend hoher Engelsstimme tritt er hervor, das bärtige Zauselgenie, umgeben von einem Halo aus purem Klang. Sogar Schlagzeuger Thomas Wylder hat so viel zu tun wie zuletzt auf Dig, Lazarus, Dig!!! Beispielhaft darf da das explosive Ende von Song Of The Lake gelten.


Die Melancholie verschwindet nie

Wild God schafft es mühelos und spielerisch, den meditativen, fließenden Sound der letzten Jahre mit dieser charakteristischen Wucht zu verbinden, für die die Band insbesondere live bekannt ist. Luftig klingt das, ahnungsvoll, getragen von glühenden Melodien und dieser inhärenten Melancholie, die auch bei aller Lebensfreude nicht verschwindet. Die Trauer, sie verschwindet nie ganz; das heißt aber nicht, dass das Leben vorbei ist. Nach diesem Album versteht man das besser.


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