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Foto Mike Terry

Schlaf gut: Max Richters Post-Klassik-Meisterwerk „Sleep“ wird 10

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Achteinhalb Stunden dauert Sleep in voller Länge, eine komplett durchgeschlafene Nacht. Und obwohl sich das entspannende, seicht wogende Post-Klassik-Meisterwerk durchaus zum (Ein)Schlafen eignet: Auch zehn Jahre nach seiner Veröffentlichung versüßt es unseren Wachzustand.

Und das Experiment geht weiter: Zum Jubiläum von Sleep veröffentlicht Max Richter am 6. September das neue Album Sleep Circle. Das Album soll mit seinen 90 Minuten Spielzeit – der typischen Dauer eines REM-Schlafzyklus – die ideale musikalische Untermalung für Traumzustände bieten.

Ein Manifest für die Entschleunigung des Lebens wollte Max Richter komponieren. Eine neue Entdeckung der Langsamkeit, angelehnt an Bachs Goldberg Variationen, die der große Komponist einst für einen Auftraggeber schrieb, der an Schlaflosigkeit litt. Ein Mammutprojekt, nichts weniger, das am Ende auf eine Gesamtlänge von acht Stunden und 30 Minuten kommt. Diese kolossale Länge allein führte dazu, dass die gesamte Aufführung des Werkes, bei dem Zuschauer:innen in Betten lagen, gleich ins Guinness Buch der Rekorde kam – für die längste Live-Übertragung eines einzelnen Musikstücks.

Man sieht also schon: Die Rahmenbedingungen sind bei Sleep von anderer Dimension. Sagt natürlich noch gar nichts über den Inhalt von Max Richters Konzeptalbum über die Neurowissenschaft des Schlafs. Oder? Denn wer Richter kennt, wusste schon vor 2015, wozu der deutsche Neoklassik-Meister fähig ist. Seine Werke oszillieren fein zwischen Klassik, Avantgarde und Ambient, die Klangwelten, die er schafft, sind einnehmend, nah, federleicht und doch nie beliebig.

Schlaf wird zu Kunst

Sleep sollte dennoch etwas Besonderes werden. Konzipiert von Richter und seiner Partnerin, der bildenden Künstlerin Yulia Mahr, ist es bewusst auf eine ganze Nachtruhe ausgelegt. Der Komponist wollte erforschen, wie sich unser Gehirn während des Schlafes verhält. „Schlafen ist eine der wichtigsten Tätigkeiten des Menschen“, sagte er damals. „Wir verbringen ein Drittel unseres Lebens mit Schlafen, und seit meiner Kindheit gehört es zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Für mich ist Sleep ein Versuch, herauszufinden, wie dieser Raum, in dem das Bewusstsein Urlaub macht, zu einem Ort werden kann, an dem Musik leben kann.“

Sleep Circle von Max Richter vorbestellen:

Das achtstündige Wiegenlied wurde von Richter für Klavier, Cello, zwei Violen, zwei Violinen, Orgel, Sopran, Synthesizer und Elektronik komponiert. Es besteht aus 31 Abschnitten in langsamem Tempo. „Bei der Komposition von Sleep habe ich versucht, die Erfahrung des Zuhörers, ob schlafend oder wach, in den Mittelpunkt des Stücks zu stellen“, so Richter. Was er vielleicht nicht ganz bedacht hat: Eigentlich ist es doch viel zu schade, dieses faszinierende, sanft wogende, betörende und kristallin flirrende Stück Musik „nur“ zu hören, wenn wir schlafen.

Neue Lieder für schlaflose Grafen

Was dieses umfangreiche Werk so einzigartig und so wertvoll macht, ist die verblüffende Eigenschaft, dass es Schlaf zur Kunstform macht. Deshalb kann man es natürlich jederzeit als Einschlafhilfe benutzen; man sollte es aber mindestens einmal bewusst in voller Länge wach hören. Was dann passiert, ist etwas Erstaunliches: Man wird im Handumdrehen einen traumähnlichen Zustand versetzt, in dem Gedanken fließend erscheinen und die Welt irgendwie weicher wirkt. Wie eine Trance oder ein leichter Rausch. Nur ganz ohne Nebenwirkungen.

Während der Komposition befragte Richter sogar den angesehenen amerikanischen Neurowissenschaftler David Eagleman, um mehr über die Gehirnfunktionen beim Schlafen zu erfahren. Das macht Sleep zum Bindeglied zwischen Musik und Wissenschaft. Und zu einem Werk, das allein durch seine Länge in der Tradition eines John Cage, Terry Riley oder LaMonte Young steht. Neue Lieder für schlaflose Grafen eben.

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