Virtuose, Zappa-Schüler, Innovator, Musikphilosoph und Entertainer: Am 6. Juni 2020 feiert Steve Vai seinen 60. Geburtstag. Ohne ihn wäre die Gitarrenwelt nicht dieselbe.
von Markus Brandstetter
Es gibt diese legendäre, aber völlig unrealistische Szene im 1986 erschienenen Film Crossroads – Pakt mit dem Teufel, in der es zum Gitarrenduell zwischen Ralph Macchio und Steve Vai kommt. Macchio spielt Eugene Martone, der eine Seele vor dem Teufel retten muss. Der wiederum hat Vai – oder besser gesagt Jack Butler, so heißt Vais Charakter – ins Rennen geschickt. Wie sich das gehört, ist die Waffe des Duells nicht das Florett, die Schrotflinte oder das Messer, sondern das gepflegte Gitarrensolo. Zunächst scheint es nicht klar, ob Gut oder Böse das Duell gewinnt, beide haben offensichtlich ihre Skalen geübt. Schlussendlich scheitert das Böse – Vai – an einem Stück von Niccoló Paganini. Immer verspielt er sich an diesem verdammten Ende. Unrealistisch ist diese Szene aber nicht wegen dem alten, metaphysischen Crossroad-Mythos oder der Seelenrettung … sondern weil Steve Vai ein Gitarrenduell in Wirklichkeit nie verlieren würde. Und außerdem definitiv einer von den Guten ist.
„Little Italian virtuoso“
Genau wie Joe Satriani, bei dem Vai als Teenager Stunden genommen hatte, kam Vai Mitte in den 1980er-Jahren zu Ruhm – und veränderte die Gitarrenwelt nachhaltig. Als er Anfang der 1990er-Jahre mit Passion And Warfare, seinem zweiten Solo-Album (nach Flexable aus dem Jahr 1984) als Solokünstler durchstartete, hatte er bereits jede Menge Erfahrung und Tourbus-Meilen auf dem Buckel – unter anderem als Musiker in Frank Zappas Band.
Vai war in jungen Jahren zu Zappa gestoßen. Zunächst transkribierte er für ihn, anschließend wurde er – nach einer höllischen Audition, wie sich Vai gerne erinnert – in die Band aufgenommen. Zappa bezeichnete ihn anerkennend als seinen „little Italian virtuoso“ oder als Stunt-Gitarristen. Sogar einen Titel widmete er Vai: Stevie’s Spanking ist aber natürlich kein Lobgesang auf Vai, sondern bissiger Zappa-Humor. Die Zappa-Schule hat Vai zweifellos nachhaltig geprägt – sowohl musikalisch als auch in Sachen Arbeitsethos. Mit einigen Zappa-Mitstreitern arbeitete Vai später auch für seine Solokarriere zusammen: Mike Keneally spielte lange in Vais Live-Band, mit Terry Bozzio nahm er das Album Sex & Religion auf.
Virtuosentum und Übungsroutine
Steven Siro Vai, geboren in Long Beach, New York, holte in den 1980er-Jahren außerdem alles aus dem Rockstar-Ding raus, was ging. Er spielte bei Whitesnake, ersetzte Yngwie Malmsteen bei Alcatraz und tourte nicht nur mit David Lee Roth, sondern spielte auch auf dessen erstem Album nach dessen Trennung von Van Halen, Eat ’Em And Smile.
Da war Vai längst der Hotshot der Gitarrenszene. Allerdings gibt es kein Virtuosentum ohne Üben – das hatte er schon als Teenager schon sehr ernst genommen. Er erstellte sich detaillierte Übungspläne, teilte die Zeit genau auf spezifische Felder auf – und übte den ganzen Tag. Das ging soweit, dass er sogar beim Essen mit einer Hand weiterübte. Nur keine Zeit verlieren! Sein um knapp vier Jahre älterer Lehrer Joe Satriani merkte schnell, dass sein Schüler mit ihm auf Augenhöhe war. Später besuchte Vai das Berklee College Of Music, wo er unter anderem mit der Transkription von Zappa-Stücken begann. Die vielleicht schwierigste Aufgabe: Die Transkription von The Black Page, das – salopp formuliert – so heißt, weil tonal soviel passiert, dass das Blatt vor lauter Noten nahezu schwarz erscheint. Vai schickte Zappa seine Transkription – und sogar der Maestro war beeindruckt.
Einer der einflussreichsten Gitarristen überhaupt
Wenn Steve Vai spielt, klingt das unverkennbar nach Steve Vai. Er besitzt nicht nur eine herausragende Technik, ein großes theoretisches Wissen sowie vielleicht einen offensichtlichen physischen Vorteil (die langen, dünnen Finger scheinen wie gemacht für schnelle Sololäufe und größere Sprünge) – sondern auch jede Menge kreative Neugierde, Lust auf Erkundung und Experiment und viel Humor. Vai kommt eben aus der Zappa-Schule, das merkt man ihm und seiner Musik auch an.
Joe Satriani & Steve Vai. Foto: Kevin Winter/Getty ImagesSteve Vai verbindet Virtuosentum mit viel Spiritualität (eines seiner Lieblingsthemen), ohne dabei allzu esoterisch zu werden. Er ist irgendwie alles zugleich: Gitarrengott und Trickster, Musikphilosoph und Showman, Rockstar und Erzieher. Vai ist akrobatisch und kreativ, wagemutig, virtuos und albern. Vais Spiel besteht nie aus reinen Turnübungen oder verbissenen Technik-Demonstrationen. Vor allem live ist da viel Überzeichnung und jede Menge Augenzwinkern dabei – da wäre Vai viel zu sehr Showman, um darauf verzichten. Siehe: Windmaschine, futuristische Uniformen und Laseraugen.
Erfolg mit Signature-Gitarre
Vai hat aber nicht nur seinen Fans, sondern auch der Gitarrenindustrie viel Freude gemacht. Nachdem er seine Anfänge auf Strats oder modifizierten Superstrats machte, begann er, mit der japanischen Gitarrenfirma Ibanez zusammenzuarbeiten. Die Ibanez JEM, Vais Signature-Modell, wurde ins Leben gerufen. Bis heute ist sie eines der bekanntesten und beliebtesten regulären Signature-Gitarrenmodelle.
Die Optik ist unverkennbar: Der Monkey-Grip auf dem Korpus, die spitze Form, die vielen Verzierungen und Inlays – und gerne knallige Farben (rosa, knallgelb), Blumenmuster. Oder ganz in weiß, wie Vais langjährige Hauptgitarre „EVO“. Die JEM setzte in der Gitarrenwelt Maßstäbe. Vor kurzem veröffentlichten Vai und Ibanez die neue Signature-Linie: Aus JEM wurde PIA, nach Vais Ehefrau benannt. Die Optik ist relativ ähnlich, die Details sind etwas anders, der Preis etwas höher. Neben Ibanez arbeitet Vai auch seit Jahren mit dem Tonabnehmer-Hersteller DiMarzio zusammen – und veröffentlichte auch andere Signature-Teile (Bad-Horsie-Wah, Carvin-Amps et cetera). Und auch die siebensaitige Gitarre hat Vai im Rock populär gemacht – und die Ibanez Universe veröffentlicht. Bands wie Korn, die die siebensaitige Gitarre im Metal etablierten, nannten ihn als großen Einfluss.
Einfluss für neue Generationen
Eine neue Generation an Gitarrenvirtuos*innen, die derzeit immer mehr an Fahrt und Popularität gewinnt, beruft sich immer wieder auf Vai als wichtigen Einfluss, darunter der australische Prog-Gitarrist Plini, Gitarrenwunder Tosin Abasi oder Alice-Cooper-Gitarristin und Solokünstlerin Nita Strauss. Mit vielen davon konnte man Vai gemeinsam auf der Bühne sehen, sei es bei seinem Gitarren-Happening „Generation Axe“ oder erweiterten G3-Gipfeltreffen (bei denen er immer wieder mit seinem alten Freund Joe Satriani zusammen trifft).
Vai selbst macht auch mit 60 weiterhin das, was er immer gemacht hat: Er versucht, neue Territorien auf seinem Instrument für sich – und andere – zu erschließen. Während des Corona-Lockdowns hat er es außerdem etabliert, zweimal pro Woche mit seinen Fans per Videostream über seine Philosophie, Routine, Technik und vieles mehr zu sprechen. Was Vai stets betont: Es geht nie um Virtuosität als Selbstzweck. Vielmehr ist es wesentlich, seine eigene Stimme zu finden und seine Technik so weit zu entwickeln, dass man eben das sagen kann, was man sagen möchte. Wie weit man technisch dafür gehen muss, hängt von der musikalischen Vision ab, ist im im Grunde aber zweitrangig. Eines steht fest: Vai ging für seine Vision sehr weit.