Mentor, Messias, Meister an der Gitarre: Jerry Garcia ist eine der prägenden Figuren der Gegenkultur. Mit The Grateful Dead spielt er sich um den Verstand und zu Weltruhm, befeuert vom höchst wirkungsvollen LSD ihres Soundgurus Owsley Stanley. Vor 25 Jahren stirbt Garcia. Er hinterlässt ein gewaltiges Vermächtnis – und ein Leben, das man eigentlich schleunigst auf die Leinwand bringen müsste.
von Björn Springorum
Eines musste Jerry Garcia schon sehr früh lernen: Urlaube sind mit Vorsicht zu genießen. Mit gerade mal vier Jahren hackt ihm der Bruder beim Holzhacken kurzerhand gleich auch einen Finger ab, als die Familie in den Santa Cruz Mountains in ihrer Heimat Kalifornien Urlaub macht. Und kaum ein Jahr später, diesmal im Urlaub in Nordkalifornien, kommt sein Vater Joe beim Fliegenfischen ums Leben.
Eine Religion namens LSD
Unterwegs ist Garcia Zeit seines Lebens dennoch viel. Physisch wie psychisch. Seinen ersten Joint raucht er 1957, mit 15, ist begeistert von der Droge, die ihn sein ganzes Leben begleiten wird. Als Komponist, Sänger und Gitarrist von The Grateful Dead wird er ab Mitte der Sechziger zum Inbegriff der Gegenkultur: Er wohnt mit seiner Band direkt an der Ecke Haight und Ashbury in San Francisco, die Kreuzung, deren Name bis heute synonym mit der Hippie-Bewegung genannt wird. Ihre Konzerte sind Spielwiesen der neu erwachten Religion namens LSD, ihre Musik ein ungeahnt eklektischer Mischmasch aus Psychedelic Rock, Jazz, Country, Blues und allem, was Garcia, Bob Weir, Ron McKernan, Phil Lesh und Bill Kreutzmann bei ihren ekstatischen Jams noch so in die Finger gerät.
The Grateful Dead Anfang der 1970er. Foto: Getty Images1995 stirbt der legendäre Gitarrist mit 53 Jahren an einem Herzinfarkt in einer Entzugsklinik. Es ist der Schlusspunkt eines irren, wirren Lebens, das ihn vom Banjo-Spieler in einer lokalen Bluegrass-Band zur Ikone der Gegenkultur aufstiegen ließ – zum Messias wider Willen. Hier haben wir mal einige Beispiele für ein einzigartiges Leben gesammelt.
Zweite Geburt
Eigentlich kommt Jerry Garcia am 1. August 1946 im Excelsior-Viertel in San Francisco zur Welt. Später erzählt er gern, dass sein eigentlicher Geburtstag aber der 20. Februar 1961 war. Garcia, damals 14, ist mit Kumpels in einem Auto unterwegs, das mit 140 Sachen durch Palo Alto ballert. Der Wagen rummst in die Leitplanke, Garcia wird durch die Windschutzscheibe geschleudert. Einer seiner Freunde stirbt, Garcia kommt mit einem gebrochenen Schlüsselbein davon. Für ihn ist der Unfall ein Erweckungserlebnis: „In diesem Moment begann mein Leben. Davor verbummelte ich alles. Es war meine zweite Chance. Ab diesem Moment meinte ich es ernst.“ Er gibt die Malerei auf – und widmet sich fortan wie besessen seiner Gitarre. Es war aber eh fast vorgezeichnet: Seinen Geburtsnamen Jerome John Garcia hat er vom Broadway-Komponisten Jerome Kern.
Seine große Liebe
Jerry Garcia ist einer dieser Typen, die sich ohne Gitarre nackt gefühlt haben. Für ihn ist Musik, ist das Gitarrenspiel, etwas zutiefst Spirituelles, dem man mit der nötigen Gravitas zu begegnen hat. Er spielt keinen Song zweimal gleich, liebt die Improvisation, verabscheut alles einstudierte. Stattdessen lauscht er einfach seinem Rhythmusgitarristen Weir und lässt sich von ihm zu seinen kaskadierenden Soli inspirieren. Bluegrass, der frühe Rock‘n‘Roll, Country, Jazz, Django Reinhardt und John Coltrane schlagen alle ähnlich stark in seiner Brust.
Der spirituelle Führer
Jerry Garcia will nur Gitarre spielen. Die Stimmung der Sechziger macht ihn aber zu einer Symbolfigur, einem Dylan gar nicht mal unähnlich, die er schnell zu verabscheuen beginnt. Dennoch arbeitet er mit an Besessenheit grenzendem Elan im Studio, wirkt als Instrumentalist an über 50 Alben mit, darunter auch an Jefferson Airplanes Surrealistic Pillow. Die Band selbst nennt Garcia ihren „spirituellen Berater“. Und ist damit alles andere als allein.
Eher ein Antiheld
Die Aufnahme in die Rock And Roll Hall Of Fame in Cleveland ist für viele Musiker*innen das Highlight ihrer Karriere. Jerry Garcia sah das naturgemäß ein bisschen anders. Als man ihn 1994 mit The Grateful Dead in die Ruhmeshalle der modernen Musik aufnehmen will, weigert er sich, an der Zeremonie teilzunehmen. Der Rest der Band geht hin – und bringt als Ersatz einen Pappaufsteller von Garcia mit auf die Bühne. Humor, Dead-Style.
Unser Manager, der LSD-Magnat
The Grateful Dead liefern ab Mitte der Sechziger den Soundtrack zu den Acid Tests, bei denen erstmals im großen Stil LSD konsumiert wird. Der Hersteller der Droge, der Acid King Owsley Stanley, wird zum Gönner der Gruppe, mietet ihnen ein Haus und kauft ihnen Equipment. Weil er auch als Tontechniker aktiv ist und seine Wall Of Sound perfektionieren will, nutzt er die Band als Versuchskaninchen. Er zeichnet wie besessen die Konzerte seiner Günstlinge auf, versorgt sie praktisch durchgehend mit lysergischem Treibstoff. „Wir waren eine ganze Zeit lang praktisch pausenlos auf dem Zeug“, sagte Garcia mal. „Das war gut und ziemlich abgefahren.“
Keinen Bock auf Woodstock
Auch The Grateful Dead haben 1969 in Woodstock gespielt. Sie haben sich nur nie so gern daran erinnert. Anstatt eines legendären Auftritts, wie ihn so viele ihrer Zeitgenoss*innen auf die wackeligen Bretter legen, geben The Grateful Dead eher ein ärmliches Bild ab: „Wir waren alle ziemlich hinüber und es war mitten in der Nacht“, erinnert sich Garcia 1971 in einem Interview. „Wir wussten zwar, dass da draußen eine halbe Million Menschen stehen, aber wir sahen keinen einzigen von ihnen. Außerdem standen mit uns 100 Menschen auf der Bühne und wir hatten echt Sorge, dass sie zusammenbricht. Oh, und es regnete so stark, dass wir jedes Mal einen elektrischen Schlag bekamen, wenn wir unsere Gitarren anfassten.“ Ist ja auch irgendwie legendär.
https://www.udiscover-music.de/popkultur/grateful-dead-letztes-album-built-to-lastSpäte Ehrungen
Jerry Garcia ist vielleicht nicht der*die einzige Musiker*in, nach der*dem man ein Tier benannt hat (in seinem Fall eine Kalerlake); und vielleicht auch nicht die einzige Berühmtheit, nach der Wissenschaftler *innen einen Asteroiden benennen. Aber er ist zweifellos der einzige Musiker, nach dem man eine Eissorte benannt hat: Cherry Garcia von Ben and Jerry‘s aus Vermont. Sorry Fürst Pückler, aber Sie waren kein Musiker.