The Murder Capital kehrten im Februar 2025 mit ihrem aktuellen Album Blindness zurück. Im Interview spricht Sänger James McGovern über kreative Distanz, persönlichen Verlust und wie man sich als Band weiterentwickelt, ohne sich zu wiederholen.
Der Umgang mit Traumata war ein zentrales Thema im bisherigen Schaffen der Band - dieses Mal ging es darum, traumatische Erfahrungen hinter sich zu lassen. When I Have Fears (2019), das Debütalbum der Band, entstand im Zuge mehrerer persönlicher Tragödien.
„Mein Freund hat sich das Leben genommen, Gabes Mutter ist gestorben, und Holmes’ Onkel ist gestorben“, sagt McGovern. „Es gab einfach eine Menge Tod und Trauer um uns herum.“ Auf die Frage, ob Blindness diesen Schmerz wieder aufgreift, antwortet er: „Es ging nicht darum, das Trauma zu wiederholen. Es ging darum, es zu überwinden.“
Die Entstehung von Blindness war im Schaffen der Band besonders – denn man arbeitete mit viel räumlicher Distanz. Während des Schreibprozesses lebten die fünf Musiker an verschiedenen Orten in Irland, Deutschland und Großbritannien. Daraus entwickelten sich eine neue Perspektive, neue Impulse – und eine besondere Art der Veränderung durch Schmerz.
James, euer aktuelles Album ist im Februar erschienen. Wie würdest du eure musikalische Reise seit dem Debüt beschreiben?
Unser Debüt war stark vom Umfeld geprägt. Ein enger Freund von mir hat sich das Leben genommen, Gabes Mutter ist gestorben, Holmes’ Onkel auch. Es war eine Zeit voller Verlust und Trauer – und das hört man der Platte an. Musikalisch haben wir damals viel Joy Division und sowas gehört, deswegen hat es diese Post-Punk-Kante – aber das war nie der Plan. Wir haben einfach geschrieben und Genre nie wirklich diskutiert. Es hat viel Wut darin gesteckt. Gleichzeitig gab es da aber auch cineastischere Elemente und Songs wie Slowdance oder On Twisted Ground haben das Bild dann komplettiert. Ein Album nur mit Bangern liegt uns einfach nicht.
War das zweite Album eine bewusste Abkehr davon?
Ja, Gigi’s Recovery war eine klare Reaktion. Wir wollten dieses Post-Punk-Label abschütteln und unseren Sound weiterentwickeln. Im Studio fühlte sich das ziemlich angespannt an und es gab eine Menge Reibung. Wir waren alle in verschiedene Richtungen unterwegs, aber genau das machte das Album aus. Es beginnt in einem Zustand der Spannung und bewegt sich dann im Verlauf des Albums zum Licht hin – und auch textlich komplex. Ich hatte bei mir zuhause quasi eine Tatort-Szenerie aus Lyrics an der Wand hängen, die ich ständig umsortiert habe, um das richtige Narrativ zu finden. Es war sehr durchdacht – man hört das auch. Viele Songs sind während des Lockdowns entstanden, da hatten wir Zeit zum Überarbeiten.
Und dann kam euer drittes Album – Blindness. Was war diesmal anders?
Diesmal wussten wir alle, was wir wollten. Bei den ersten beiden Alben sind wir zwar gemeinsam losgerudert, aber ohne zu wissen wohin. Jetzt war die Richtung klar. Wir dachten auch mehr daran, wie sich die Songs live anfühlen würden. Gleichzeitig ließen wir uns treiben – von Themen, von Stimmungen. Ich hätte nie gedacht, dass so viel Irland und Politik in die Platte einfließt, aber genau das ist passiert. Das ist das Schöne am Musikmachen: Du glaubst, du lenkst das Ganze – aber am Ende überrascht dich das Album selbst.
Wie sah diesmal der Schreibprozess aus – gemeinsam oder getrennt?
Ganz anders. Beim Debüt und beim zweiten Album waren wir fast durchgehend zusammen. Jetzt leben wir in verschiedenen Städten – Dublin, London, Berlin, L.A. Wir haben viel allein geschrieben, und uns dann in verschiedenen Städten getroffen. Und: Wir haben diesmal keine aufwendigen Demos gemacht, sondern alles einfach mit dem Handy aufgenommen. Das war Johns Congletons [Produzent] Idee. Einfach ins Studio gehen und schauen, was passiert.
Ihr habt also einfach allem seinen natürlichen Lauf gelassen.
Ja, total, es sollte natürlich und ungebunden sein. Beim zweiten Album hatten wir feste Demos, an denen wir klebten – das hat das Aufnehmen echt schwer gemacht. Und manchmal auch frustrierend. Ich weiß nicht, ob es Spaß machen muss, ein Album aufzunehmen – aber es muss sich lebendig anfühlen. Man muss atmen können.
Das scheint euch gelungen. Man hört förmlich, wie euer neues Album atmet.
Danke, das freut mich! Ich finde auch, dass das durchkommt.
Mit wem würdest du gern mal zusammenarbeiten?
Mit Lou Reed. Aber ich versuche mal, an jemanden zu denken, der noch am Leben ist – das ist schwieriger... Ich würde sehr gern mit meiner Freundin Ellie von Wolf Alice einen Song aufnehmen. Ihre Stimme ist unglaublich. Ich sage nicht zu viel Gutes, sonst sagt sie wieder, ich soll die Klappe halten – aber hey, sie ist großartig.
Was beeinflusst deine Musik?
Alles – ehrlich gesagt ist es fast leichter zu sagen, was nicht beeinflusst. Die Welt, das aktuelle Geschehen, Filme, Literatur, Beziehungen, Menschen, Begegnungen. Im Moment ist vieles traurig. Ich finde es aktuell schwer, meine Tage zu genießen – wegen dem, was in der Welt passiert. Und trotzdem: Es gibt gute Menschen da draußen. Manchmal muss man Social Media auch mal abschalten, um das zu sehen.
Ihr seid seit März fast nonstop auf Tour. Gibt’s ein Erlebnis, das dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Ja, auf jeden Fall. In Berlin und Köln durften wir nicht mit der palästinensischen Flagge auf die Bühne. Also haben wir spontan draußen gespielt. Das war intensiv, besonders und berührend. In Berlin beim Gretchen, in Köln im Rheinpark. Die Gespräche mit den Fans waren offen, ehrlich und tief. Wir haben viel aus diesen Gesprächen gelernt. Was ich wichtig finde: Gerade junge Menschen sollten keine Angst haben, ihre Stimme zu erheben – auch wenn ihnen gesellschaftlich Scham dafür eingeredet wird. Geschichte kann man reflektieren – und man kann daraus lernen. Jeder Mensch hat eine Stimme, und jede Stimme zählt.