Es war nicht weniger als ein popkultureller Erdrutsch, als im Jahr 1983 Michael Jackson das Musikvideo zu seiner Single Thriller veröffentlichte. Ein Kurzfilm als Musikvideo – so etwas hatte es noch nicht gegeben. Thriller beschäftigte über Jahre Kritiker, Kulturwissenschaftler und Fans und wurde nicht nur zum erfolgreichsten sondern auch zum einflussreichsten Musikvideo aller Zeiten gewählt.
Schaue dir hier das offizielle Musikvideo zu Thriller an und lies weiter:
Warum manch ein künstlerisches Werk dermaßen durch die Decke geht, während andere sich in Schall und Rauch auflösen, ist nicht immer leicht zu verstehen. Der 33. Geburtstag des Thriller-Videos ist ein guter Moment, sich an einer Erklärung zu versuchen. Vier Aspekte scheinen zusammen gekommen zu sein, die dem Video besonders zum Kultstatus verhalfen.
Musik als politisches Medium: Thriller trug dazu bei, dass schwarze Musiker endlich im Musikfernsehen und Radio gespielt wurden
Man muss sich das einmal vorstellen: 1983 wurde noch immer in vielen Radiostationen nur Musik weißer Künstler gespielt. Das 15. Amendement, demzufolge niemand an seinem Recht zu wählen durch seine Hautfarbe oder Rasse gehindert werden darf, stammt aus dem Jahr 1870. Und Rosa Parks Weigerung, im Bus für einen Weißen aufzustehen, war ebenfalls fast 30 Jahre her. Doch in der Popkultur gab es auch in den 1980er Jahren noch jede Menge Rassismus.
Ja, es war Michael Jacksons Kometenerfolg, mit dem sich viel Geld verdienen ließ, der die weißen Bosse mächtiger Radio- und TV-Stationen am Ende überzeugte. Aber wenigstens ließen sie sich überhaupt überzeugen. Vor Thriller spielte MTV kaum Musik von Jackson und anderen Afroamerikanern.
Und so marschierte CBS-Records-Chef Walter Yetnikoff eines Tages in die Zentrale von MTV und polterte, er werde dem Sender keine Videos mehr zur Verfügung stellen – von keinem Musiker – und er werde MTVs offenkundige Bevorzugung weißer Künstler öffentlich kritisieren, sollte der Sender nicht endlich anfangen, Jackson zu spielen. Bald würde MTV Thriller zwei Mal pro Stunde ausstrahlen, um dem Bedürfnissen der Fans gerecht zu werden. Es war damit das erste Musikvideo eines schwarzen Künstlers, das auf MTV in heavy rotation laufen sollte. MTV wurde bald zu einem Musiksender mit einem Schwerpunkt auf Pop und R&B. Und Jackson trug auf jeden Fall dazu bei, den Weg für andere schwarze Musiker wie Prince zu ebnen. Und nicht nur im noch jungen Musikfernsehen begann sich etwas zu verändern. Auch die Radiosender, die traditionell nur weiße Musik spielten, versuchten sich an Thriller – teilweise unter hässlichem Protest ihrer Hörer, so zum Beispiel bei dem New Yorker Sender WPLJ.
Mit Jacksons Thriller-Video wurde das Musikvideo zur Kunst
Das hatten die Zuschauer des jungen Musikfernsehens noch nicht gesehen: Ein Musikvideo, das eine Geschichte erzählte, eine gruselige obendrein. Thriller ist eine Hommage an die eher komischen als gruseligen Horrorfilme der 1950er Jahre. Es hat einen Plot, mit Spannungskurve, Intro- und Outro. Der Kurzfilm erzählt eine Geschichte mit mehreren Ebenen und Realitäten. Jackson selbst sagte über seine Idee zum Film: “My idea was to make this short film with conversation ... in the beginning - I like having a beginning and a middle and an ending, which would follow a story.” Er erzählt weiter, dass es schwierig gewesen sei, die Szenen nicht ins Komische abdriften zu lassen. “Wie lässt man Zombies und Monster tanzen, ohne dass es albern wird?”.
Jackson kann es jedenfalls und die Tanzszenen der Zombies, die aus ihren Gräbern steigen, die Straße entlang stolpern und sich dann ganz plötzlich elegant und synchron zur Musik bewegen, haben einige der coolsten Dancemoves der 80er Jahre hervorgebracht. Der plötzliche Wechsel zwischen den Realitätsebenen ist dabei äußert raffiniert: Zunächst die Geschichte des Pärchens im Wald, das sich verschüchtert seine Zuneigung versichert, um dann plötzlich ins Albtraumhafte abzugleiten, als der Junge sich in einen Werwolf verwandelt und seine Freundin durch den Wald jagt. Schnitt in einen überfüllten Kinosaal, bei dem Teenager popcornverschlingend eben diesen Horrorfilm sehen und Michaels Freundin sich gruselt und nach Hause will (Michael: “It´s just a movie.”). Auf dem Nachhauseweg wird klar: Das Ganze ist doch irgendwie kein Film, dann Erwachen aus einem Alptraum – es war alles nur ein böser Traum. Oder etwa nicht?
Michael Jackson bediente sich innerhalb des Videos verschiedenster künstlerischer Genres
In den 80ern bestanden Musikvideos hauptsächlich aus Lip-sync-Versionen des Songs sowie ein paar Tanzeinlagen. Hatte das Video eine Storyline, so war diese eng mit den Lyrics des Songs verknüpft. Das Video sollte den Song begleiten, mehr nicht. Thriller besteht einerseits aus genau jenen Tanzeinlagen und in die Kamera gesungenen Strophen. Doch hinzu kommen Filmszenen mit eigener Handlung, in denen die Musik pausiert. Und Jackson war auch der Erste, der beispielsweise den legendären Horror-Schauspieler und Sprecher Vincent Price bat, mit seiner markanten Gruselstimme einen Monolog zu sprechen, um diesen dann in dem Video zu verbauen.
Darkness falls across the land
The midnite hour is close at hand
Creatures crawl in search of blood
To terrorize y'awl's neighbourhood
And whosoever shall be found
Without the soul for getting down
Must stand and face the hounds of hell
And rot inside a corpse's shell
The foulest stench is in the air
The funk of forty thousand years
And grizzly ghouls from every tomb
Are closing in to seal your doom
And though you fight to stay alive
Your body starts to shiver
For no mere mortal can resist
The evil of the thriller
Can you dig it?!
Von einem Star der Szene vorgetragene Lyrik in einem Musikvideo – das war neu und aufregend.
Jackson setzte mit Thriller neue Modetrends
Teenies der 1980er Jahre brauchten nur ein modisches Asset, und sie gehörten auf dem Schulhof zu den cool kids on the block: eine rote Lederjacke mit aufgedrucktem M, wie sie Jackson im Thriller-Video trägt. Dank zahlloser Kopien war das apfelrote Stück dann auch bald überall zu bekommen.
Jackson soll sich so sehr über diesen Trend geärgert haben, dass er ein Gerichtsverfahren gegen die New Yorker Firma führte, die die Jacke tausendfach plagierte. Im Original hatte übrigens die Frau des Regisseurs John Landis, Deborah Landis, die Jacke für Jackson geschneidert. Sie sollte, so sagte Landis, Jackson ein bisschen kräftiger wirken lassen und war deshalb vor allem an den Schultern breit geschnitten. Noch heute kann man sich sicher sein: Wenn Kanye West oder Chris Brown irgendwo mit einer roten Lederjacke auftreten, ist das kein Zufall sondern ehrfürchtige Würdigung. Die Jacke wurde im Jahr 2011 übrigens versteigert – für 1.8 Millionen US-Dollar. Sein glücklicher neuer Besitzer nannte sie “the greatest piece of rock and roll memorabilia in history”.