40 Jahre „The Wall": Die definitive Verschmelzung von Konzeptalbum und Rockoper feiert runden Geburtstag!
popkultur29.11.19
The Wall ist nicht das erste Konzeptalbum der Rock-Geschichte. Aber das berühmteste, erfolgreichste, komplexeste und sehr wahrscheinlich auch stimmigste. Zu seinem 40. Geburtstag widmen wir uns der Entstehung dieses Epos – und seiner spannendsten Nachfolger.
von Björn Springorum
Hört euch hier The Wall von Pink Floyd an
The Who haben ganze Pionierarbeit geleistet. Schon 1969 – also vor genau 50 Jahren – ließen sie ihren Tommy auf uns los, eines der ersten Konzeptalben der Geschichte und durchaus so etwas wie ein Blueprint in Sachen Rock Opera. Doch auch wenn die Handlung des Klassikers dem Leben und Streben des Protagonisten Tommy folgt, so ist der Plot alles andere als stringent und der Inhalt der einzelnen Songs bisweilen nur lose miteinander verknüpft.Zehn Jahre später sieht das schon ganz anders aus. Als Pink Floyd am 30. November 1979 ihr elftes Studioalbum The Wall veröffentlichen, zeigen sie der Rock-Welt, wie man ein Konzeptalbum nach Maß inszeniert. Die Erkenntnisse, die daraus gewonnen werden konnten, waren unter anderem: Man braucht einen starken Plot – in diesem Fall das Leben des abgehalfterten Rock-Stars Pink (Parallelen zu real existierenden Personen klar beabsichtigt!), dessen selbst verursachte Entfremdung von der Gesellschaft durch eine Mauer symbolisiert wird. Das passt genau! Das trifft den Nerv einer Zeit, in der der Eiserne Vorhang ebenso gelebte Wirklichkeit ist wie die Berliner Mauer. 1980 ging kein Album öfter über die Ladentheken der Welt als dieses.
Eines der besten Alben aller Zeiten
Man braucht aber natürlich auch verdammt starke Musik. Und da lassen sich Pink Floyd auf ihrem letzten Album als Quartett natürlich nicht lumpen: Ursprünglich fand die Kritik die 80 Minuten noch reichlich prätentiös und aufgeblasen; seit Jahrzehnten gilt The Wall aber längst als eines der besten Alben aller Zeiten. Nebenbei enthält es mit Another Brick In The Wall, Part 2 die einzige Nummer Eins der Band in den USA, Großbritannien und Westdeutschland. Und klar, ganz nebenbei befindet sich auf dem theatralischen Art-Rock-Meisterwerk mit Comfortably Numb noch ein zweites Jahrhundertlied.
Drittens: Nach einer zweijährigen Tournee, die in Sachen Produktion und Spezialeffekten so ziemlich alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt, wird The Wall 1982 für die große Leinwand adaptiert. Und selbst 2010, als Roger Waters das Album mal wieder exhumiert und auf Tournee bringt, gelingt ihm mit „The Wall Live“ eine der erfolgreichsten Touren aller Zeiten eines Solokünstlers. Kurz gesagt: The Wall ist eines der besten, erfolgreichsten und wegweisendsten Alben aller Zeiten. Und das Rüstzeug, das dieses Epos bot, das ebnete in der Folgezeit dem einen oder anderen Klassiker den Weg.
Von Meat Loaf bis Green Day
Durch MTV in den Achtzigern, digitale Musik in den Neunzigern und das Aufkommen der Streamingdienste in diesem Jahrtausend gewinnt der einzelne Song gegenüber dem Albumformat als solches zwar zunächst mehr und mehr Bedeutung. Von dem schaurigen Liebesgeschichten eines Meat Loaf oder den eng verzahnten Großtaten Arcade Fires über Green Days American Idiot (2004), Operation: Mindcrime von Queensrÿche (1988) und The Black Parade von My Chemical Romance (2006) bis hin zu den Metropolis-Wunderwerke von Dream Theater ist der Einfluss von Pink Floyds desillusionierendem Rockstar-Abgesang in einer feindlichen Welt bis heute deutlich messbar. Mehr noch: The Wall allein macht in seiner Verschmelzung von Ernsthaftigkeit und Entertainment deutlich, wie weit allzu theatralische, pathetische Bombast-Materialschlachten wie die von Avantasia übers Ziel hinausschießen.
Aber noch mal: Weder Rockopern noch Konzeptalben waren Pink Floyds Erfindung. Auch The Lamb Lies Down On Broadway von Genesis (1974), Bowies Ziggy Stardust (1972) oder Zappas Joe's Garage (1969) gab es vor The Wall. Die Vermählung von fortlaufender Geschichte, Musik, Zeitgeist, eigener Biografie und bombastischer Bühnenshow, die geht jedoch auf das Konto von Pink Floyd. Dass dieser Höhepunkt zugleich für die Risse im Bandgefüge verantwortlich ist, die nie mehr gekittet werden sollten, ist nur eine weitere Anekdote aus der unberechenbaren und tragischen Welt des Rock'n'Roll.