Mit Million Voices Whisper legt der US-amerikanische Gitarrist, Sänger und Songschreiber Warren Haynes sein viertes Soloalbum vor. Wir verabredeten uns mit Haynes zum ausführlichen Interview.
Warren Haynes ist ohne Frage einer der großen US-amerikanischen Gitarristen unserer Zeit. Egal ob mit The Allman Brothers Band, seiner Zeit im Grateful-Dead-Ableger The Dead, seiner Arbeit mit Dickey Betts oder seiner eigenen Band Gov’t Mule: Das Schaffen des 64-Jährigen, der auch als Sänger und Songschreiber brilliert, ist umfangreich. Nun hatte Haynes mal wieder Lust, ein Soloalbum aufzunehmen – und lud sich dafür unter anderem seinen alten Kumpel Derek Trucks ein. Wie das zustande kam, was Haynes beeinflusst hat und natürlich welche Gitarren und Amps diesmal im Spiel waren, verriet er uns in unserem Gespräch.
Warren, lass uns zu Beginn über deine Soul-Einflüsse reden. Die sind auf deinem neuen Album Million Voices Whisper ja prominent vertreten.
Soul-Musik war meine erste Liebe, lange bevor ich überhaupt wusste, was Einflüsse sind. Ich bin mit zwei älteren Brüdern aufgewachsen, und wir haben Sam and Dave, The Four Tops, The Temptations, The Supremes, Stevie Wonder, Otis Redding und Wilson Pickett gehört. Singen habe ich gelernt, indem ich meine Lieblings-Soul-Sänger in meinem Schlafzimmer nachgeahmt habe – lange bevor ich jemals eine Gitarre in die Hand genommen habe.
Später brachte mein ältester Bruder eine Platte von Sly and the Family Stone mit nach Hause. Das führte irgendwann dazu, dass er Alben von Jimi Hendrix, Cream, Johnny Winter und Jeff Beck mitbrachte und schließlich die Allman Brothers. Aber bevor all das kam, war es für mich nur Soul-Musik. Dieses Album greift in gewisser Weise auf diese Zeit zurück.
Es ist fast ein Jahrzehnt seit deinem letzten Soloalbum Ashes And Dust vergangen. Wann hast du angefangen, an diesem neuen Album zu arbeiten? Und schreibst du gezielt für ein Projekt, oder entscheidest du später, wo die Songs hingehören?
Wenn ein Projekt am Horizont steht, versuche ich, gezielt dafür zu schreiben. Aber wenn ich zwischen Projekten bin, schreibe ich einfach aus dem Wunsch heraus, einen Song zu vervollständigen. Wenn mir eine Idee kommt, arbeite ich sie aus und entscheide später, ob sie zu Gov’t Mule passt, auf eines meiner Soloalben gehört oder vielleicht sogar nirgendwohin.
Der Schreibprozess für dieses Album geht tatsächlich bis zur COVID-Lockdown-Zeit zurück, weil ich während dieser Zeit ständig geschrieben habe. Ich konnte mein Haus nicht verlassen, also wurde das Schreiben meine Art, mit dem Wahnsinn umzugehen. Während dieser Zeit sind viele Songs entstanden, und einige davon haben es auf zwei Gov’t-Mule-Alben geschafft. Andere, wie From Here On Out und Day Of Reckoning sind schließlich auf diesem Album gelandet. Aber die meisten Songs auf diesem Album sind neuer und in den letzten zwei bis drei Jahren entstanden.
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Ein Highlight des Albums ist die Zusammenarbeit mit Derek Trucks, deinem langjährigen Bandkollegen bei The Allman Brothers Band. Wie ist euer Verhältnis heute?
Derek und ich sehen uns heutzutage recht häufig. Wir haben in den letzten Jahren ein paar Mal zusammen auf der Bühne gejammt, aber im Studio zusammenzuarbeiten, das ist lange her – bis jetzt. Diese Wiedervereinigung begann mit Real, Real Love, einem Song, den Greg Allman begonnen, aber nie fertiggestellt hat. Ich habe den Song vervollständigt und dachte sofort, dass Derek und ich ihn zusammen aufnehmen sollten.
Das führte zu einem Gespräch darüber, dass wir auch gemeinsam Songs schreiben sollten. Ich bin nach Georgia zu ihm gefahren, und wir haben innerhalb von drei Tagen vier oder fünf Songs geschrieben. Ursprünglich wollten wir die Songs in seinem Studio in Florida aufnehmen, aber das war gerade im Umbau. Am Ende hat es besser gepasst, dass er nach Connecticut kam, wo ich gerade das restliche Album aufgenommen habe.
Wir haben zwei Tage im Studio verbracht, und es war eine sehr natürliche, organische Zusammenarbeit. Wir kennen uns musikalisch so gut, dass wir fast Gedanken voneinander lesen können. Ich finde, das Resultat ist fantastisch geworden.
Fühltest du eine besondere Verantwortung, als du Real, Real Love basierend auf einem unvollendeten Text von Greg geschrieben hast?
Es war sehr inspirierend, an den Texten zu arbeiten. Als ich Gregs unvollständigen Text sah, hatte ich sofort Ideen, wie ich ihn fertigstellen könnte. Die Musik dazu zu schreiben, ging überraschend schnell. Manchmal läuft es so – manchmal eben nicht. Aber wenn es schnell geht, bin ich immer dankbar dafür.
Ich hatte definitiv das Gefühl, dass es meine Verantwortung war, den Song so zu vervollständigen, wie Greg es gewollt hätte. Wir haben im Laufe der Jahre so viele Songs zusammen geschrieben, dass ich ein gutes Gefühl für seinen Stil und seine musikalischen Eigenheiten entwickelt habe. Es war mir sehr wichtig, den Song in seinem Geist fertigzustellen, da es ja seine ursprüngliche Idee war. Ich denke, sein Geist ist in der gesamten Performance spürbar.
Du hast auch mit Willie Nelsons Sohn Lucas Nelson und Jamie Johnson auf dem Album gearbeitet. Kannst du uns mehr darüber erzählen?
Wir drei haben vor ein paar Jahren bei der Last-Waltz-Tour zusammengearbeitet, wo wir die Hauptsänger waren und der Musik von The Band Tribut gezollt haben. Unsere Stimmen harmonierten dabei unglaublich gut – Jamie übernahm die tiefen Parts, ich die mittleren, und Lucas die hohen. Es war eine wirklich wunderschöne Harmonie, und ich wollte diese Magie unbedingt im Studio einfangen.
Bei einer gemeinsamen Songwriting-Session vor einigen Jahren habe ich den beiden meinen Song Day Of Reckoning vorgestellt. Lucas hatte fantastische Ideen, wie man den Song musikalisch weiterentwickeln und ihm eine neue Richtung geben könnte. Jamie ergänzte das mit einer tiefen Gospel-Antwort, inspiriert von dem, was Lucas vorgeschlagen hatte. Das war ein magischer Moment, der mich endgültig davon überzeugt hat, dass wir diesen Song gemeinsam aufnehmen müssen.
Lucas spielte außerdem großartige Gitarrenparts auf dem Track. Ich liebe es, wie unsere Stimmen zusammenklingen – diese Kombination ist wirklich einzigartig.
Welche Gitarren und Verstärker hast du für dieses Album verwendet?
Ich habe hauptsächlich meine Signature Les Paul und eine Custom Shop ES-335 verwendet. Außerdem habe ich ein Prototyp-Modell der Firebird mit P-90s gespielt, das bald als neues Signature-Modell veröffentlicht wird. Die Verstärker, die ich benutzt habe, waren der Homestead 212 Combo, der Alessandro Recording Amp und ein Prototyp des neuen Gibson Falcon Amps, an dem ich gerade mit Gibson arbeite. Lucas hat seine Les Paul Jr. durch einen Vox AC-30 gespielt, der zufällig im Studio war und fantastisch klang. Ich wollte für dieses Album bewusst nicht den typischen schweren Gov’t-Mule-Sound, sondern etwas, das besser zur Musik und den Songs dieses Albums passt.
Deine Firebird mit den P90s kenne ich aus deinem Rig Rundown aus dem Jahr 2023. Ist das dein Signature Modell?
Ja. Wir haben drei oder vier verschiedene Prototypen ausprobiert, die sich vor allem bei den Schaltern unterschieden haben. Einer hatte einen Strat-ähnlichen 5-Wege-Schalter, ein anderer einen Push-Pull-Knopf für den mittleren Pickup, und ein weiterer hatte einen Kippschalter für den mittleren Pickup. Letzterer hat mir am besten gefallen.
Am Ende habe ich mich entschieden, den traditionellen Les-Paul-Toggle-Switch zu behalten, weil ich mich daran gewöhnt habe. Der Strat-Schalter fühlte sich für mich einfach nicht natürlich an. Ich denke, wir sind jetzt ziemlich nah dran, das finale Modell fertigzustellen, und ich bin wirklich gespannt darauf, es der Welt zu präsentieren.
Ich habe gelesen, dass du noch weitere Signature Modelle in Planung hast. Stimmt das?
Ja, neben der Firebird arbeiten wir an einer roten Les Paul mit P-90s-Tonabnehmern. Diese Gitarre hat dieselbe Höhenwiedergabe-Schaltung wie meine andere Signature Les Paul. Diese Schaltung sorgt dafür, dass die Höhen nicht verloren gehen, wenn man die Lautstärke herunterdreht. Ich habe diese Gitarre bereits ein bisschen gespielt und freue mich darauf, sie in Zukunft häufiger einzusetzen.
Was fasziniert dich so sehr an P-90s?
Der Klang. P-90s haben eine andere Dynamik als Humbucker – sie sind ein bisschen crunchiger und haben diesen schönen, rohen Charakter. Früher waren P-90s sehr beliebt, aber sie hatten dieses Brummen, weshalb der Humbucker entwickelt wurde. Trotzdem gibt es etwas Magisches an ihrem Klang. Ich freue mich darauf, mich wieder mehr in diese Klangwelt hineinzubegeben.
„Ich spiele seit über 50 Jahren direkt mit einem Verstärker und sehe keinen Grund, das zu ändern.“
Was hältst du von digitalem Equipment wie Amp-Modeling-Technologien wie Kemper und Quad Cortex?
Bisher hat mich Amp-Modeling nicht wirklich überzeugt. Die Technologie wird sicher immer besser, aber das letzte Mal, als ich es ausprobiert habe, war es dem Klang eines echten Verstärkers deutlich unterlegen. Es fehlt oft an der Reaktion, dem Feedback, das ein Verstärker einem Spieler gibt. Ich habe es auch im Studio getestet, und wenn man die Sounds nebeneinander vergleicht, gewinnt der Verstärker immer. Vielleicht hat sich das mittlerweile verbessert, und in ein paar Jahren ist es näher dran, aber ich spiele seit über 50 Jahren direkt mit einem Verstärker und sehe keinen Grund, das zu ändern.
Ich mag es beispielsweise auch nicht, wenn ich im Studio Gitarren über die Kopfhörer höre. Wenn ein Gitarrensignal durch Monitore oder Kopfhörer läuft, wird es oft durch Hochtöner oder Tweeter verzerrt, und das verändert den Klang. Ich bevorzuge es, Gitarrenklänge über 12-Zoll- oder 10-Zoll-Lautsprecher zu hören. Der Sound ist dann einfach wärmer und natürlicher. Im Studio brauche ich etwas Zeit, um mich an das Hören über Kopfhörer zu gewöhnen. Am liebsten höre ich den Verstärker direkt im Raum oder in einem anderen Raum mit offener Tür, damit ich die Luftbewegung spüren kann. Das ist für mich ein wichtiger Teil des Sounds.
Einer der großen Schwerpunkte The Circle ist das gute, alte Vinyl. Wie hörst du am liebsten Musik?
Ich liebe Vinyl. Momentan habe ich zwar keinen Plattenspieler zu Hause aufgebaut, aber das wird sich bald ändern. Vinyl bietet für mich den besten Klang. Ich bin kein Gegner von CDs – der Sound ist auch gut –, aber ich bevorzuge Vinyl. MP3s mag ich hingegen überhaupt nicht. Viele Menschen hören Musik heutzutage über MP3s und billige Ohrstöpsel, und das ist einfach kein fairer Weg, Musik zu genießen. Wenn ich Musik höre, dann am liebsten über hochwertige Lautsprecher oder Kopfhörer. Vinyl durch eine gute Anlage zu hören, ist ein echtes Erlebnis.
Wie sieht es auf Tour aus?
Wir hören viel Musik im Bus. Aber nicht oft über Kopfhörer, sondern über die Lautsprecher. Und zwar ziemlich laut, während wir die Straßen hinunterfahren!
Hast du in letzter Zeit irgendwelche jungen Gitarrentalente entdeckt, die dich begeistert haben?
Es gibt definitiv einige jüngere Musiker und Musikerinnen, die mich beeindrucken. Einer davon ist Lucas Nelson. Er ist zwar nicht mehr ganz „neu“, aber im Vergleich zu mir natürlich viel jünger. Ich liebe die Art, wie er Gitarre spielt – er hat einen eigenen Stil, der eine Balance zwischen Tradition und Innovation schafft. Außerdem ist er ein großartiger Songwriter.
Ein weiteres Konzert, das mich kürzlich wirklich begeistert hat, war eine Doppel-Show mit Brittany Howard und Michael Kiwanuka. Beide haben schon eine Weile Karriere gemacht, sind aber immer noch relativ jung. Brittany Howard hat eine unglaubliche Bühnenpräsenz, eine wahnsinnige Stimme und einen ganz eigenen Sound, der sich jeder Kategorisierung entzieht. Und Michael Kiwanuka ist ein brillanter Songwriter mit einer Tiefe, die man heutzutage nicht mehr so oft findet. Ihre Auftritte haben mich wirklich inspiriert.
Natürlich gibt es viele junge Leute, die spannende Dinge machen, aber ich bin nicht immer nur auf der Suche nach reiner Gitarrenmusik. Was mich am meisten interessiert, ist Musik, die eine Verbindung aufbaut – sei es durch den Gesang, die Texte oder die Atmosphäre. Lucas, Brittany und Michael schaffen das auf ihre eigene Weise, und das schätze ich sehr.
Du bist ja nicht nur Gitarrist, sondern auch ein hervorragender Sänger und Songschreiber. Nervt es dich, wenn man dich immer nur auf die Gitarre anspricht?
Ich habe damit überhaupt kein Problem. Es macht mich einfach glücklich, wenn die Leute irgendetwas an meiner Musik schätzen – sei es mein Gitarrenspiel, meine Stimme oder die Songs, die ich schreibe. Ich verstehe, warum der Fokus oft auf meiner Gitarre liegt, denn die Gitarre war immer ein sehr zentraler Bestandteil dessen, was ich tue, besonders mit den Allman Brothers.
Die Allman Brothers haben eine der beeindruckendsten Gitarrentraditionen in der Musikgeschichte, und als ich zu der Band gestoßen bin, war das eine riesige Gelegenheit für mich als Gitarrist. Es hat mich in eine Position gebracht, in der mein Spiel auf der ganzen Welt genau unter die Lupe genommen wurde. Das war gleichzeitig aufregend und herausfordernd.
Aber ich war nicht nur wegen der Gitarre bei den Allman Brothers. Die Band hat mich auch als Sänger und Songwriter aufgenommen. Trotzdem wusste ich, dass Greg Allman die Hauptstimme der Band ist und immer sein würde – und das war auch richtig so. Greg war einer meiner absoluten Lieblingssänger, lange bevor ich ihn kennengelernt habe. Ich habe so viel von ihm gelernt, allein schon durch das Hören der Allman Brothers-Musik in meiner Jugend.
Ich habe vielleicht in der Band weniger gesungen, als ich es gewohnt war, aber das hat mich nie gestört. Es war für mich eine Ehre, in einer Band zu spielen, die ich seit meiner Jugend bewundert habe, und mit Greg zusammenzuarbeiten, war ein Erlebnis, das mich als Sänger und Musiker nachhaltig geprägt hat. Seine Stimme, sein Stil und seine Emotionen in der Musik – das war wirklich etwas ganz Besonderes.
Später bist du auch in den Grateful-Dead-Kosmos eingetreten, warst ab 2004 Teil von The Dead.
Meine Verbindung zur Grateful-Dead-Welt entstand hauptsächlich durch Phil Lesh [Grateful-Dead-Bassist, Anm.] mit dem ich in den späten 90ern zu spielen begann. Phil war ein wirklich außergewöhnlicher Musiker, aber auch ein Philosoph, wenn es um Musik geht. Er hatte eine einzigartige Herangehensweise, die mich zutiefst inspiriert hat.
Eine der wichtigsten Lektionen, die ich von Phil gelernt habe, ist, die Musik so sein zu lassen, wie sie in dem Moment entsteht, und sie nicht zu sehr zu kontrollieren. Phil hat keinen Druck auf die Musik ausgeübt. Er hat sie einfach fließen lassen und sie in all ihren Facetten geschätzt – egal, ob ein Stück besonders großartig oder eher durchschnittlich war. Für ihn war der Weg, den die Musik nahm, genauso wertvoll wie das Ergebnis.
Manchmal gerieten wir bei unseren Sessions in ausgedehnte Jams, und diese konnten entweder magisch sein oder nirgendwo hinführen. Aber Phil hat keinen Unterschied gemacht – für ihn ging es immer um die Reise, nicht nur um das Ziel. Phil war genauso glücklich über einen guten Jam wie über einen, der irgendwie nicht zündete. Diese Einstellung hat mich sehr geprägt. Ich habe erkannt, dass man offen für alles sein muss, was Musik einem in einem bestimmten Moment gibt.
Ich habe unglaublich viel von Phil gelernt, und ich schätze meine Beziehung zu Bob, Mickey und Billy und die Jahre, in denen wir zusammen Musik gemacht haben, wirklich sehr. Für jemanden wie mich war es eine unglaubliche Gelegenheit, sowohl mit den Allman Brothers als auch mit den verbleibenden Mitgliedern der Grateful Dead arbeiten zu dürfen. Das hätte ich mir nie träumen lassen.