Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 8.5.1970.
von Christof Leim
Mit dem Beginn der Siebziger endet die aktive Phase der Beatles, die das vorherige Jahrzehnt dominiert und die Popmusik definiert hatten wie keine Gruppe vorher und nachher. Am 8. Mai 1970 erscheint das letzte Studiowerk, einen Monat nach der Trennung. Genau genommen hätten die Fans Let It Be schon früher hören sollen, und auch musikalisch war das Ganze anders geplant…
Hier bekommt ihr einen Eindruck von Let It Be:
Eigentlich wollten die Beatles mit diesem Album zu ihren Ursprüngen zurückkehren: Denn damals im Jahr 1969 haben die vier Musiker die Nase voll von überproduzierten und überambitionierten Studiokreationen. Auch fehlen insbesondere Paul McCartney die Konzerte, die die Band schon 1966 aufgegeben hatte. Der Bassist bedauert, dass das deswegen Zusammenspiel gelitten hat und sehnt sich nach den Zeiten zurück, als die vier Jungs als perfekt funktionierendes Ensemble die Bühnen der Welt erobert hatten. Zudem steht es generell mit der Stimmung in der Band und dem Verhältnis der Musiker untereinander nicht zum Besten.
Deshalb initiiert McCartney im Anschluss an die Arbeiten zum White Album (1968) das neue Projekt, das zunächst den passenden Titel Get Back trägt. Er regt an, dass die Musiker wie früher als Gruppe spielen, zu viert, gleichzeitig, ohne Schnickschnack und aufwändige Orchestrierung. Das neue Album möchte er weitestgehend live aufnehmen, bei einem einmaligen Konzert zum Beispiel oder sogar auf einer Tour. Außerdem soll das ganze Unterfangen in einem Film festgehalten werden. Entsprechend wird auch das Cover konzipiert, nämlich als Quasi-Neuauflage des Artworks ihres Debüts Please Please Me. Dafür stellen sich die Beatles ins Treppenhaus ihrer Plattenfirma EMI in London wie damals – in gleicher Pose, aber deutlich weiterentwickelt von den adretten Pilzköpfen von einst.
So sollte das Cover von “Get Back” aussehen, bevor die Platte zu “Let It Be” wurdeDer Plan funktioniert nicht
Die drei anderen Beatles reagieren mit mäßiger Begeisterung: Auf Liveshows hat insbesondere George Harrison nach den endlosen Auftritten der Vergangenheit keine Lust mehr. Immerhin können sich alle mit dem Gedanken anfreunden, endlich wieder als richtige Band zu spielen. Doch leider funktioniert das alles nicht so, wie es soll: Zunächst einmal lädt McCartney den Toningenieur Glyn Johns zur Mitarbeit ein, stellt aber dessen Aufgaben nie richtig klar. In der Folge weiß auch Stammproduzent George Martin nicht so recht, wer nun was machen soll. In letzter Konsequenz agiert Martin wie gehabt als Ideengeber, Johns als Ingenieur der Aufnahmen.
Bei den ersten Proben ab 2. Januar 1969 in den Twickenham Studios in London herrscht dicke Luft. Vor allem John Lennon zeigt kaum Interesse. Es kommt zum handfesten Streit, in dessen Folge George Harrison sogar für ein paar Tage aussteigt. Als die Band nach seiner Rückkehr am 22. Januar in den eigenen Apple Studios weitermacht, läuft es nicht besser. Die Idee von Liveshows ist da schon wieder vom Tisch, die Mannschaft samt Gastkeyboarder Billy Preston stellt sich lediglich am 30. Januar 1968 für ein paar Songs auf das Dach des Apple-Gebäudes. Dieses „rooftop concert“ ist legendär und eine Geschichte für sich (die hier steht), passiert aber vor allem, um ein Ende für den Film zu bekommen.
Es gefällt nicht
Während dieser Zeit experimentieren die Beatles mit Hunderten von Songs, eigenen Kompositionen und Coverversionen, aber die richtige Inspiration finden sie nicht. Nach den Sessions fertigt Glyn Johns vom 10. März bis 28. Mai in den Abbey Road Studios einen Mix des Albums an, doch das Ergebnis missfällt der Band. Die geplante Veröffentlichung wird deshalb von Juli 1969 auf September verschoben. Da haben die Beatles schon Abbey Road im Kasten, das sie viel lieber veröffentlichen wollen. Damit darf man genaugenommen Abbey Road als das letzte Studiowerk der Beatles betrachten, weil es zwar vor Let It Be erschien, aber danach aufgenommen wurde.
Im Dezember soll Glyn Johns Get Back dann noch einmal abmischen und nur die Songs auswählen, die im noch unveröffentlichten Film zu sehen und hören sein werden. Am 8. Januar 1970 ist er damit fertig, doch erneut lehnen die Musiker das Ergebnis ab. Im März 1970 schließlich zieht Manager Allen Klein den US-Produzenten Phil Spector hinzu, der für seinen „Wall of sound“-Ansatz bekannt ist. Spector mischt sämtliche Tracks neu ab und fügt bei drei Nummern Orchestersequenzen und Chöre hinzu. Damit klingt Get Back so gar nicht mehr nach einer Rückkehr zu den Ursprüngen, George Martin nennt das Ergebnis “überproduziert”.
Trauriger Abschluss
Mittlerweile heißt die Platte Let It Be. Sie erscheint am 8. Mai 1970, zeitgleich mit dem Film gleichen Namens. Der sollte ursprünglich die Aufnahmen dokumentieren, zeigt aber vor allem die Disintegration der Band. Let It Be erreicht die Spitze der Charts auf beiden Seiten des Atlantiks, doch zum ersten Mal erhalten die “Fab Four” durchwachsene bis negative Kritiken. Für viele Fans ist das Album als Schlusspunkt einer bemerkenswerten Karriere ziemlich traurig. Zu diesem Zeitpunkt gibt es die Beatles bereits nicht mehr...
Epilog: 2003 erscheint schließlich unter der Ägide von Paul McCartney eine alternative Version der Platte namens Let It Be…Naked, die die Songs in ihren „naturbelassenen“ Fassungen und vor allem ohne die Produktion von Spector zeigen.
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