Zehn Songs, über 140 Minuten – so und nicht anders muss eine waschechte Prog-Playlist aussehen. Von Ende der 1960er- bis Ende der 1970er-Jahre war Progressive Rock das spannendste, was moderne Musik zu bieten hatte. Rockmusik entwickelte sich zu einer ungeahnten Kunstform, die mit den größten Werken der Hochkultur konkurrieren wollte. Wir haben uns auf die Suche nach den Anfängen des Genres gemacht und zehn der wichtigsten Songs zusammengetragen, die Progressive Rock an die Grenzen des Machbaren und in ungeahnte ästhetische Sphären trieben.
Hört euch hier alle 10 Songs, die Progressive Rock geprägt haben in einer Playlist an und lest weiter:
1. The Moody Blues – Nights In White Satin
Progressive Rock hat viele Vorläufer, vom psychedelisch angehauchten Pop der Beach Boys und der Beatles über die frühen Rock-Abenteuer von Pink Floyd bis zu allerlei Experimental-Musik à la Frank Zappa und Captain Beefheart. Auch The Moody Blues zählen zur ehrwürdigen Riege der Proto-Prog-Gruppen, und ihr sinfonischer Evergreen
Nights In White Satin ist eine Blaupause für das, was viele ambitionierte Prog-Bands später auf die Spitze treiben sollten: Ein pompöser und ausufernder Song, voller Wendungen und Schnörkel.
2. King Crimson – The Court Of The Crimson King
Als eines der ersten wirklich reinrassigen Progressive-Alben – und garantiert auch eines der besten aller Zeiten – gilt King Crimsons Debütalbum aus dem Jahr 1969. Diese Platte ist die reinste und perfekt umgesetzte Essenz der Prog-Idee. Kommerzielle Gedanken konnte die Band um Robert Fripp mit diesen hochkomplexen und vor feingeistiger Schönheit strahlenden Kompositionen wohl kaum haben. Es ging hier um nicht weniger als um erhabene Kunst, deshalb muss dieses Album unbedingt in einer Reihe mit den größten Kunstwerken der Geschichte stehen, von Literatur bis Malerei.
3. Genesis – The Return Of The Giant Hogweed
King Crimson hatten also direkt mit einem Meisterwerk die Prog-Ära eingeleitet. Doch das schüchterte die Konkurrenz nicht ein, sondern spornte sie an. Eine weitere britische Band, die Progressive Rock definieren sollte, waren Genesis, die spätestens mit ihrem dritten Album
Nursery Cryme (1971) den Dreh raus hatten. Es war die große Zeit von Peter Gabriel, der die musikalische Vielseitigkeit seiner Band mit einem unglaublichen inhaltlichen Einfallsreichtum ergänzte. Der Kreativität waren da keine Grenzen gesetzt. Genesis sollten noch einige weitere Prog-Meilensteine veröffentlichen, bevor Gabriel die Band Mitte der 1970er verließ.
4. Emerson, Lake & Palmer – Tarkus
Zu den ganz großen Prog-Giganten gehören natürlich auch ELP. Das Trio hat den Ausdruck „Bombast-Rock“ quasi erfunden. Mit ihrem zweiten Album
Tarkus (1971) zeigten die Briten, in welche ungeahnten Dimensionen man mit Rockmusik vordringen kann und führten gleichzeitig ein Millionenpublikum an Progressive Rock heran. Der starke Einfluss von Klassik in ELPs Musik ging manchem Rocker zwar zu weit, doch musikalisch und technisch übertrumpften diese Ausnahmekünstler die besten Metal- und Hardrock-Bands des Jahrzehnts mit Leichtigkeit.
5. Yes – Close To The Edge
In Sachen Komplexität und Konzeptverliebtheit ließen ELP alle bisher gekannten Dämme brechen und bereiteten damit den Weg für diesen riesigen Erfolg von Yes. Besonders in den frühen 1970er-Jahren waren Yes vielleicht die innovativste unter allen Prog-Bands. Man fühlt sich bei ihnen oft wie in der Oper – so richtig verstehen tut man das alles nicht, aber man spürt, dass hier etwas wichtiges passiert. Und man fühlt es, es berührt einen, egal ob man den Worten und den Strukturen folgen kann. Ihr Meisterwerk
Close To The Edge erreicht ein Maß an Transzendenz, von dem andere Bands nur träumen konnten.
6. Jethro Tull – The Poet And The Painter
Noch eine Legende – und eine, die man sofort erkennt, wenn Ian Anderson mit seiner berüchtigten Querflöte einsetzt. Mit
Thick As A Brick (1972) und vielen anderen Alben haben Jethro Tull Musikgeschichte geschrieben und Progressive Rock um viele sehr markante Stücke reicher gemacht.
7. Mike Oldfield – Tubular Bells, Pt. II
Auch wenn wir uns hier im Bereich der großen Bands bewegen, wollen wir ein Einzelgenie nicht unerwähnt lassen: Mit seinem Mammutwerk
Tubular Bells (1973) dachte Multiinstrumentalist Mike Oldfield Prog um einige Ecken weiter, brachte Folk und Elektronik mit ins Spiel und lieferte damit die Grundlage dafür, was später einmal zu New Age werden sollte. Da wurde es dann mitunter recht kitschig, aber was Oldfield hier leistete, war im absoluten Wortsinn progressiv.
8. Rush – 2112
Als Mitte der 1970er-Jahre allen anderen großen Prog-Bands langsam die Ideen auszugehen schienen, kamen Rush mit diesem Klassiker ums Eck – einer Hymne, die alle Dimensionen des Genres abdeckte und einen kernigen Sound auferstehen ließ, den man sonst eher bei Led Zeppelin oder Pink Floyd bekam. Kein Wunder, dass Rush nach
2112 (1976) zu einer der größten Rockbands der kommenden Jahre wurden, die neben guten Riffs auch ein spannendes Narrativ von Science Fiction bis zu fast alberner Mystik in ihr Werk einbauten.
9. Novalis – Medley: Sommerabend
Die deutsche Prog-Szene wollen wir natürlich nicht außen vorlassen. Mit Krautrock hatte sich zwar eine ganz spezielle Art von experimentellem Rock in Deutschland entwickelt, doch es gab auch klassische Prog-Rocker wie Grobschnitt, Eloy oder eben Novalis. Ganz im Stile des namensgebenden Dichters schrieben die Hamburger verträumte und lyrische Rockepen, von denen
Sommerabend (1976) wahrscheinlich das zeitloseste ist. Der Einfluss von King Crimson ist hier nicht zu überhören.
10. The Mars Volta – Cicatriz ESP
Wie wir alle wissen, sind Ende der 1970er-Jahre die Punks angetreten, um die alten Rock-Dinosaurier von der Bildfläche zu putzen. Das haben sie auch geschafft – die Tage von Progressive Rock waren nun erst mal gezählt. Aber vor allem in den 1990er-Jahren formierten sich neue Post-Prog- und Neo-Progressive-Bands, die ihre Songs wieder auf gute zehn Minuten und mehr anschwellen ließen. The Mars Volta waren definitiv einer der besten Gruppen auf diesem Terrain, weil sie nicht nur epigonenhaft alte Stile aufwärmten, sondern Prog ins moderne Zeitalter führten und mit einer Prise Metal würzten. Da bekommt man doch direkt wieder Lust auf das nächste Revival.
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