Mitte der 80er Jahre erschütterte die Thrash Metal Explosion die Musikwelt und brachte u. A. die legendäre Band Megadeth hervor. Seitdem ist dieser Name allgegenwärtig. Trotz bisher 50 Mio. verkaufter Album ist Dave Mustaine, löwenmähniger Kopf der Band, motivierter als je zuvor und marschiert mit einer Entschiedenheit und Leidenschaft nach vorn, die einigen seiner halbherzigen jungen Kollegen gut zu Gesicht stünde. Dystopia ist Megadeths 15. Album und ein Paradebeispiel erstklassigen Thrash Metals. uDiscover spricht mit Mustaine über den Entstehungsprozess, die aktuelle Besetzung der Band und die Außenwahrnehmung des Mannes, der im Zentrum des Ganzen steht.
“In den letzten zwei Jahren ging es bei uns auf und ab: Managementwechsel, der Verlust meiner Schwiegermutter und die Sache mit der Rust In Peace-Reunion,” erzählt Mustaine und bezieht sich dabei auf die gescheiterten Pläne, die Besetzung dieser vergangenen Ära wieder zusammenzubringen. Stattdessen holte sich die Band schließlich frisches Blut: das brasilianische Wunderkind Kiko Loureiro (von Angra) und, die weitaus größere Überraschung, Chris Adler, Drummer der mit Platin ausgezeichneten Schwergewichte Lamb Of God.
“Kiko und Chris brachten frischen Wind in die Band. Sie gehören definitiv zu den talentiertesten Musikern, mit denen wir je gespielt haben”, betont Mustaine. “Wenn zwei Musiker dieses Kalibers zusammentreffen, setzt das unglaubliche Kräfte frei. Bei allen anderen Besetzungen gab es immer ein Mitglied, das den Ansprüchen nicht ganz gerecht wurde: Entweder ist der Gitarrist fantastisch und der Drummer nur passabel oder der Drummer ist toll und der Gitarrist nur okay. Als sich das änderte und beide Positionen von Topmusikern besetzt wurden, steigerte das nicht nur die Motivation in der Band, sondern auch die Professionalität. Wir alle arbeiteten und spielten besser. Ich glaube wirklich, dass Kiko mich so gepusht hat, dass ich ein besserer Gitarrist geworden bin.”
Obwohl er unter Gitarristen als Vorreiter des Thrash Metal gilt, scheint Dave immer noch nach Perfektion zu streben. Wenn er über die Songstrukturen und die Energie von Dystopia spricht, leuchten seine Augen und ein warmes Lächeln legt sich auf seine Gesichtszüge; Mustaine weiß, dass er eines der besten Heavy Metal Alben des Jahres abgeliefert hat.
“Bis zum Beginn der Proben für die Tour hatten wir Vier noch nie zusammen gespielt”, erklärt er. “Als die Songs entstanden, waren wir teilweise an ganz unterschiedlichen Orten. Wenn Chris die Drumparts fertig hatte, machte Kiko sich an seine Tracks. Eigentlich war Dave [Ellefson] der Erste, der Aufnahmen machte.”
Und Mustaine fährt fort: “Erst kürzlich sagte ich zu jemanden, wie sehr ich mich darauf freue, endlich wieder live aufzutreten, weil wir nur eine Show in Kanada gespielt haben, vier in Australien und Indien, zwei in Russland und diese letzte kurze Europatour… Das erste Konzert mit uns Vieren war in Quebec vor 80.000 Leuten! Das nenne ich mal eine Feuertaufe!”
Wenn man bedenkt, dass Megadeth seit fast 35 Jahren weltweit auf Tour sind, sollte man meinen, dass Nervosität für Mustaine keine Rolle mehr spielt. “Bei dieser Show machte ich mir etwas Sorgen wegen der Jungs”, sagt er, “aber ich war mir sicher, dass wir Spaß haben würden und war bereit, diese Last zu tragen, wenn nötig, denn als Frontmann ist das mein Job. Aber die Beiden sind dermaßen professionell und großartig in dem, was sie tun und, was viel wichtiger ist, sie haben Charisma! In diesem Musikgenre, und vor allem in dieser speziellen Band, braucht man Kraft und Ausstrahlung.”
Was jedes ihrer Alben auszeichnet, ist die einzigartige Verbindung von eingängigen und mitreißenden Refrains mit einigen der technisch versiertesten Gitarrenarrangements des Thrash Metal. Die Komplexität sucht ihresgleichen. Bis heute überschreitet Mustaine Grenzen und wird dabei immer den hohen Erwartungen gerecht, die aufgrund seiner bisherigen Arbeit auf ihm ruhen.
“Ich gehe mit diesen Erwartungen so um, wie das Michael Jackson - zumindest in meiner Vorstellung - nach dem Mega-Erfolg von Thriller wohl erlebt haben muss, als er einen Nachfolger für ein Album zu schreiben begann, das Diamantstatus erreicht hatte”, sagt Mustaine. “Ich erinnere mich noch, wie man über ihn lachte, weil Bad nur acht Mio. Exemplare verkaufte. Ich meine, kommt mal klar: acht Millionen! Das ist immer noch Wahnsinn!”
Mustaine gibt zu, dass Megadeth “eigentlich unsere härtesten Kritiker sind” und erklärt: “Melodien sind mir sehr wichtig. Ich habe gar nichts gegen Bands, die knurren und bellen, aber für mich ist das nichts. Wenn ich in meinem Aston Martin unterwegs bin, dann habe ich normalerweise einen Jazzsender an. Oder ich höre unsere eigene Musik. Da kriege ich das richtige Feeling. Eine schöne Fahrt mit anständig Pferdestärken unter der Motorhaube und Megadeth auf den Boxen -”, lacht er, “das ist nicht unbedingt gut für die Versicherung, aber es hilft mir, die Dinge klar zu sehen. Ich überlege dann: ‘Inwiefern berührt dieser Song das Leben anderer Leute? Kann ich damit ausdrücken wie es ist, eine junger Mensch und scheinbar ohne Perspektive zu sein?’ Diese Emotionen sind ein Teil von mir: Ich komme aus einer zerrütteten Familie, war obdachlos, bettelte mit Dave Ellefson um Essen – das vergessen die Leute, wenn sie uns sehen.”
Songs zu schreiben ist für Dave offensichtlich sehr heilsam. So geht er mit den schwierigen Erlebnissen um und schafft gleichzeitig etwas, das von Dauer ist. “Genau deshalb liebe ich gute Melodien”, sagt er. “Da kann man seine Augen schließen und der Song nimmt Dich einfach mit an einen anderen Ort. Ich erinnere mich noch, als wir uns Platten kauften und sie von Anfang bis Ende durchhörten. Heute drücken die Leute andauernd auf den ‘Skip’-Button. Die Aufmerksamkeitsspanne der Fans ist viel kürzer. Man muss viel konzentrierter sein und die Hörer packen.”
“Auf unseren frühen Alben hatten wir nur circa acht Songs”, erklärt er weiter, “weil die Rillen der Schallplatten berücksichtigt werden mussten. Sie mussten einen gewissen Abstand haben. Wenn man sich mal ‘Black Dog’ von Led Zeppelin anhört – an der Stelle wo der Gesang von Robert Plant anfängt, klingt er erst ziemlich leise und plötzlich wird er ganz laut. Das ist, weil die Rillen auf der Platte zu dicht beieinander sind. Auf Dystopia haben wir 15 Tracks – das sind fast zwei komplette Alben… Die Musikbranche hat sich über die Jahre sehr verändert und verändert sich auch weiterhin wahnsinnig schnell. Sich gegen die Konkurrenz zu behaupten ist da eine Sache; die Herzen der Fans für sich zu gewinnen, eine andere.”
Auch das Image eines Rockstars hat sich gewandelt. Verglichen mit den Rockikonen, die einst die Musikmagazine zierten und Eltern weltweit in Schockstarre verfallen ließen, machen die Jungspunde von heute einen weitaus weniger robusten Eindruck und man zweifelt, ob sie ein Leben wie Dave Mustaines lange durchhalten würden. Wenn man nach seiner Motivation fragt, erklärt Dave: “Zum Teil wurzelt sie im Glauben. Aber Wut ist auch ein Faktor. Wenn die Leute Deinen Wert in Frage stellen, dann erträgt man das nur eine gewisse Zeit. Es ist mir egal, was die Leute über mich denken. Wichtig ist, was Gott über mich weiß. Ich habe mir alles selbst beigebracht und da bekommt man nichts geschenkt. Es gibt da noch etwas Größeres und mir liegt viel daran, dieses Geschenk, das ich erhalten habe, mit den Fans zu teilen.”
Mustaine hat schon “viele Stunden am Telefon und im Internet verbracht und sich auch vor Konzerthallen und bei Meet’n’Greets persönlich mit Fans unterhalten, Autogrammwünsche erfüllt und den Leuten das Gefühl gegeben, dass sie nicht allein sind.” Zwar kann er für die Fans nicht so verfügbar sein, wie ihre Freunde und Familien, aber “ich will, dass sie wissen, dass sie nicht allein sind. Ich habe selbst schwierige Zeiten durchgemacht und sie sollen wissen, wenn ich das schaffen konnte, dann schaffen sie das auch. Das Wichtigste ist eigentlich die Botschaft in Songs wie ‘In My Darkest Hour’. Ich hatte wirklich nicht erwartet, dass er so viele Menschen berühren würde.”
Momentan beginnt eine sehr seltsame und turbulente Zeit für den Heavy Metal, denn über die nächsten zehn Jahre werden einige der Vorreiter des Genres ihre Gitarren an den Nagel hängen. Nachfolgenden Generationen fällt die schwierige Aufgabe zu, es nicht nur am Leben zu erhalten, sondern es weiter anzufeuern. Mustaine macht sich Sorgen, dass die Seele des Heavy Metal durch zuviele Subgenres verwässert wird.
“Es hat viel damit zu tun, wofür die Bands stehen,” sagt er. “In unseren Anfangstagen galten wir als ‘gefährlich’ und ‘böse Jungs’. Wir kamen allgemein nicht sehr gut an. Ich meine, zu der Zeit waren wir so drauf, dass, als Chris Poland [Megadeth Gitarrist 1984-97] etwas sagte, was mir nicht passte, ich ihm die Fresse polierte! Was für ein Typ behandelt so seine Band?... Es macht einen großen Unterschied, ob man weiß, dass man gefährlich ist, aber versucht, es nicht zu sein oder ob man weiß, dass man nicht gefährlich ist, die Leute aber glauben machen will, man wäre es.” Mustaine zitiert ein mexikanisches Sprichwort: “Großer Hut, kein Vieh,” und fügt hinzu: “Ich glaube, das ist einer der zynischsten Aspekte des Metal Genres momentan: Die Frontmänner tun so, als wären sie ganz harte Jungs und brüllen die ganze Zeit Leute an. Es ist einfach nur albern.”
Als Vater (von Justis Mustaine) ist Dave sich bewusst, dass er ein Vorbild für jüngere Generationen ist. “Wenn man bereit ist zu lernen, zu wachsen, seine Fehler zu akzeptieren und sich wo möglich zu ändern, dann wird man ein besserer Mensch,” sagt er. “Ich habe zu Justis gesagt, dass das Beste, was ich ihm hinterlassen kann, ein guter Name ist. Letztendlich ist das das Wichtigste.”
Autor: Oran O’Beirne