Was lässt sich über ein Album noch Neues sagen, dass von der Oxford Enzyklopädie als das “most influential rock and roll album ever recorded” bezeichnet wurde und vom Rolling Stone auf Platz eins der “500 Greatest Albums of All Time” gehoben wurde? Ein Album, über das Musikwissenschaftler ganze Anthologien verfassen und Kunsthistoriker beim Blick auf das Cover feuchte Hände bekommen?
Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band aus dem Jahr 1967, seine Texte, seine Ästhetik, sein Konzeptstil, seine musikalischen Fantasmen wurden bis in die letzte Ecke ausgeleuchtet und man widmete sich diesem Wunderwerk mit verdienter wissenschaftlicher Akribie. Ein bisschen verliert ein solches Wunderwerk im Prozess der Ausleuchtung natürlich von seiner Wundersamkeit.
Hört euch hier das The Beatles Album Sgt. Pepper's Lonley Hearts Club Band an und lest weiter:
Wer ein 500-Seiten dickes Werk über Leonardo da Vincis Mona Lisa liest, mag sich am Ende im Louvre stehend schwer belesen fühlen, ob von der geheimnisvoll lächelnden Florentinerin Lisa del Giocondo noch der gleiche Zauber ausgeht, den ein in Kunstdingen weniger bewanderter Betrachter verspürt, ist indes fraglich. Über das vielleicht berühmteste Album der Beatles gibt es nichts mehr Neues zu sagen und umso interessanter werden persönliche Anekdoten, die mit dem Hören der Beatles-Alben verbunden sind.
Die Beatles waren, wie für so viele andere der letzten zwei Generationen, die erste Band, die man kennenlernte. Alles begann mit einer Doppel-LP in Vinyl, auf der die schönsten Love Songs der Beatles gepresst waren, also keinem Originalalbum. Michelle dröhnte fortan als romantischer Erweckungssoundtrack durch die alten Grundig-Lautsprecher der Familie und ermöglichte einem, zehnjährig und in Liebesdingen unerfahren, einen kleinen Ausblick auf das, was da kommen sollte.
Daraus entstand auf einem Familien-Wochenende am Bodensee mit Freunden der Eltern und deren Töchter, die so alt waren wie der Bruder und man selbst, ein Beatles Club, in den nur aufgenommen wurde, wer Fragen zu den Beatles beantworten konnte. Die Spielregeln waren streng und die befreundeten Töchter deutlich versierter im Quartett-Wissen. Man war bereit, sein Fachwissen zu teilen. Aufnahmeprüfung für den Club: vier Hocker, alle Beatles-Platten, vier Miniaturbeatles ohne Instrumente. Frage: Welcher Beatle schrieb Yesterday (gesprochen: Jästerdäi)? Wer sang Can’t Buy Me Love? Wie lautet der Spitzname der Beatles? Wie heißt dieser Song? usw. Es war ein keusches Fantum, für die Erkenntnis um Doppeldeutigkeiten, sexuelle Anspielungen oder Drogen in den Texten war man zu unschuldig und das Englisch zu schlecht.
Das Album Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club markierte wenige Jahre später das Frühlingserwachen der Club-Mitglieder vom Bodensee. Allerlei Verwirrendes fand sich auf diesem Album. Zunächst war man konsterniert: Sollte diese Band wirklich harte Drogen konsumieren? Freie Liebe propagieren? Die Erleuchtung gefunden haben? Und Flower Power, was war das eigentlich?
Den Beatles Club gab es schon nicht mehr, stattdessen hatte man alleine schwer zu kauen an diesem Werk. Und dann irgendwann entfaltete sich der Genius dieses Album und ein bisschen war das wie der erste Vollrausch, der erst später kam. Man lag auf dem Boden seines Zimmers, über einem drehte sich die Diskokugel, die man unbedingt hatte haben wollen, und dazu lief das Sitar-Stück Within You, Without You. Man drehte noch ein bisschen lauter auf, bis jemand an die Zimmertür bollerte und das war einem ganz egal.
Man beschloss, sobald man alt genug war, nach Indien zu gehen und noch altklüger zu werden, als man schon war. Man verrenkte sich am Boden – wie es die Beatles getan hatten – zu aufrechten Hunden, buckligen Katzen, Krähen und sang dazu “Ohm”. Man versuchte zu meditieren und an nichts zu denken. Die Eltern begannen sich Sorgen zu machen. Das Kind verhielt sich nicht altersgerecht. Und all das wegen dieses einen Liedes.
Die Platte war das Wertvollste, was man zu besitzen glaubte. Mit dem Cover nach vorne stand sie im Regal, nicht einfach zwischen den anderen Platten. Auch die anderen Songs feierte man wie messianische Botschaften. Gleichzeitig machte einen das Hören dieses Albums total erwachsen. Man sprach nun in den großen Pausen auch über Pink Floyd und andere Avantgarde Bands, wobei man höchstwahrscheinlich keine Ahnung hatte, was Avantgarde bedeutete. Klang jedenfalls gut.
Ganz am Anfang jedoch stand das Beatles-Album, das die Vier der fiktiven Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band untergejubelt hatten. Dieses Wunderwerk ließ einen erkennen, zu was Musik alles in der Lage war. Es war ein erhabenes Gefühl. Das Album markierte den Eintritt in einen neuen Club, den der Erwachsenen. Dachte man jedenfalls. Bis zum ersten Liebeskummer, als man sich heulend auf Mamas Schoß warf.