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Der historische Verriss: "Keep The Faith" von Bon Jovi

Auch Experten können manchmal mächtig daneben liegen. In dieser Reihe stellen wir vernichtende Plattenkritiken von großen Alben der Musikgeschichte vor, fatale Fehlurteile, die aus heutiger Sicht mindestens merkwürdig wirken. Dieses Mal geht es um einen Klassiker von Bon Jovi: Mit Keep The Faith (1992) meldete sich die Band aus New Jersey nach einer vierjährigen Pause zurück und behauptete sich auch in den turbulenten frühen 1990er-Jahren als eine der populärsten Gruppen zwischen Heavy Metal und Mainstream-Radio. Hits wie die Schmuse-Hymne Bed Of Roses konnten allerdings nicht alle überzeugen: In einer Review für das amerikanische Kulturmagazin Entertainment Weekly verteilte David Browne damals keine guten Noten. Zu recht? Wir haben uns seinen Text noch mal genauer angeschaut.

David Browne macht hier einen ziemlich genialen Move: Um die neue Platte von Bon Jovi nicht selbst runterputzen zu müssen, hat er sich einfach seinen Schwager, offenbar ein treuer Bon Jovi-Fan, eingeladen und hört mit ihm die Platte ein Mal durch. Im ganzen Text gibt der Kritiker kein einziges eigenes Urteil ab, sondern beschreibt nur die Reaktionen des Schwagers und was er über die Songs auf Keep The Faith zu sagen hat. Da er nie moderierend einschreitet, gehen wir mal davon aus, dass er immer derselben Meinung ist. Und was sagt Ed? Er weiß, dass längst eine andere Rock-Zeitrechnung begonnen hat und dass Bon Jovi mittlerweile vielleicht zum alten Eisen gehören. Aber das ist ihm egal: Er steht zu seiner Band, und das kann er auch: Bon Jovi haben mit Keep The Faith ein Album gemacht, das über den Trends dieser Epoche schwebte.

Ed ist ein Mann der klaren Worte. Wer kennt das nicht: Wenn man mit Freunden Musik hört, ist man immer schnell dabei mit ein paar schnippischen Kommentaren. Wir glauben: Ed wird später nicht lange gebraucht haben, um sich unsterblich in Bed Of Roses zu verlieben. Klar ist die Nummer fast übertrieben kitschig, aber sie zielt direkt aufs Herz. Wie könnte das an einem echten Bon-Jovi-Fan vorbeigehen? Dass ihn If I Was Your Mother, dieses fantastische Riff-Monster, kalt lässt, scheint auch wenig glaubwürdig für jemanden, der auf den alten Sound von Bon Jovi steht. Vielleicht hat Ed die Anwesenheit seines Musikkritiker-Schwagers so eingeschüchtert, dass er sich dazu veranlasst sah, ein paar fiese Kommentare abzulassen? Auch am Ende der Listenening-Session bleibt er höchst unzufrieden und unentschlossen:

Typischer Fan-Talk: Die alten Alben sind besser, vielleicht war's das jetzt. Aber der gute Ed gibt unumwunden zu, dass er noch an Jon und seine Mannen glaubt: Natürlich geht er aufs Konzert! Und genau da haben ihn wahrscheinlich auch die Songs von Keep The Faith gepackt. Denn die knüpfen an den alten Sound an – an den treibenden Pop-Metal, an das Bruce Springsteen-Songwriting, die Geschichten aus Jersey. Dazu kommt eine erwachsenere Art von Rockmusik, die das Jahr 1992 dringend als Gegenpol gebraucht hat. Das epische Dry Country etwa, oder der wärmende Schmacht-Rocker In These Arms. Er gibt die Note Vier, also „ausreichend“.

Klingt erst mal niederschmetternd, doch heute blickt Ed bestimmt mit Wehmut auf dieses große Album zurück. War es nicht doch eine glatte Eins? Zuletzt muss man sich natürlich noch fragen, ob es Ed überhaupt gab oder ob Autor David Browne hier nur eine fiktive Person für sein recht ehrliches Urteil brauchte. Wie auch immer: Ein schön zu lesender Verriss, der am Ende ja doch eine Liebeserklärung an die Band ist.


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