Kinder, wie die Zeit vergeht. Nein wirklich: Vor inzwischen vierzig Jahren brachte Eric Clapton sein Album No Reason To Cry in die gut sortierten Plattenläden. Unsere Wiederentdeckung der Woche ist kein Chartstürmer-Album, soviel sei vorab gesagt. Aber eines, das mit Exzellenz eine Atmosphäre einfängt, von der sich wohl jeder gern dahintreiben lässt. Versuchen wir mal, das Bild zu zeichnen:
Die Abendsonne wirft lange Schatten. Besonders die hochgewachsenen Palmen an der Küste von Malibu strecken ihre dunklen Arme am Abend besonders lang über den Strand. Im Übrigen reden wir hier grade nicht vom gleichnamigen alkoholischen Mixgetränk, sondern vom echten Malibu an der kalifornischen Küste, im wunderschönen Jahre 1976. Und während in unseren Breitengraden die hiesigen Laubbäume schon wieder damit drohen, ihre Blätter fallen zu lassen, schließen wir die Augen und setzen uns in unseren imaginären, rot-weißen Volkswagen T1 Bulli (wahlweise mit Panorama-Fenstern oder Surfbrettern auf dem Dach - beides wäre… mal ehrlich, wer hatte schon beides?), kurbeln die Fenster runter und cruisen den Pacific Coast Highway entlang. Aus dem Radio erklingen entspannte Töne mit viel Gitarre, bluesigen Harmonien und der Stimme von Eric Clapton.
Manchmal hört man es Alben einfach an, diesen Flair, den Zeitgeist, die Stadt, in der sie aufgenommen wurden oder auch einfach nur, wie es wohl ausgesehen haben muss, als die Sonne durch das Studio-Fenster schien. No Reason To Cry ist mit Sicherheit so ein Album. Und die Tatsache, dass Eric Clapton mit seinem vierten Studio-Werk in das legendäre Shangri-La Studio in eben diesem traumhaften kalifornischen Küstenort einzog, klingt in Form der lässigen Westküsten-Attitüde heute noch durch die Lautsprecher.
Schaut euch hier eine Live-Version von Hello Old Friend von 1977 an:
„Ich habe keine Ahnung, wie es klingen wird!“ soll unser Britischer Gitarren-Gott einem Journalisten auf die Frage geantwortet haben, wie sein neues Album denn werden solle, wenn es fertig ist. So ein Spruch ist gar nicht mal so typisch für Eric Clapton, der sonst eher durch Perfektionismus von sich reden macht. Aber die Weite der Songs, der lange, leicht gewundene Highway, der sich vor uns auftut (ja, wir sitzen immer noch im Bulli - bitte weiterfahren und Landschaft genießen) und die Spontanität, die immer wieder durch die romantisch-melancholischen Roadtrip-Klänge dringt, finden fernab von knallhart erarbeiteten Arrangements statt.
Schaut euch hier ein Video zu Sign Language an:
Trotzdem sich Claptons puristische Blues-Vergangenheit auch bei No Reason To Cry in die Vinyl-Rillen gepresst hat, ist es ein Album gezeichnet von Leichtigkeit. Eine Leichtigkeit mit Freunden, denn nicht nur Eric und seine übliche Entourage machten es sich in den Aufnahmeräumen bequem. Mit von der Partie waren ebenfalls Gestalten wie Ron Wood, Van Morrison, Billy Preston oder Bob Dylan. Immer wieder heißt es, die Aufnahme-Sessions waren das eigentliche Highlight des Albums, und nicht die Songs, die letztlich für die Ewigkeit auf Platte gebannt wurden. Ob das stimmt? Nun, natürlich können wir nur noch spekulieren, was unsere Flowerpower Helden den ganzen Tag über so in den Aufnahmeräumen getrieben haben, aber hört man in die Songs, dann war es ganz bestimmt keine Quantenphysik!
Zugegeben, für den Eric-Clapton-Durchschnittshörer ist No Reason To Cry kein Meilenstein-Album. Aber warum auch? Dafür haben wir ja schließlich Songs wie Tears in Heaven oder sein unglaubliches Unplugged Album.
Unsere Wiederentdeckung der Woche ist einfach ein wunderschönes Stück Zeitgeschichte. Auch wenn Clapton mit „Hello Old Friend“ einen Charterflug landete, geht es in dem Album nicht um Hits oder Hooklines. Es geht um diese atmosphärische Kollaboration legendärer Musiker in einem legendären Studio, die uns auch heute noch, nach ganzen 40 Jahren, mit unserem imaginären VW Bulli an der kalifornischen Küste entlang rollen lassen. Was für ein Gefühl…
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