Life Of Agony im Interview: „Alles, was wir tun, ist ein Schritt in Richtung Heilung“
platten10.10.19
Die Geschichte von Life Of Agony ist alles andere als einfach und unbewegt. Nachdem die New Yorker Band 1993 mit ihrem Debütalbum River Runs Red – einem Genre-Meilenstein des Alternative Metal – durchgestartet war, erlagen die Mitglieder immer wieder ihren eigenen Dämonen. Ganze zwei Mal trennten sich ihre Wege offiziell – aber fanden doch immer wieder zusammen.
von Christina Wenig
30 Jahre nach ihrer Gründung veröffentlichen Life Of Agony nun ihr neues Album The Sound Of Scars, das die Geschichte von River Runs Red, einem Konzeptalbum über die inneren Kämpfe eines Teenagers, der sich schließlich das Leben nehmen will, weiterführt. Gründungsmitglied, Bassist und Songschreiber Alan Robert sprach mit uns über die Bedeutung des neuen Albums, die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und die heilende Kraft der Musik.
Hört hier das neue Life-Of-Agony-Album The Sound Of Scars:
Alan, ihr feiert euer 30-jähriges Bandjubiläum mit der Veröffentlichung eures sechsten Studioalbums The Sound Of Scars. Aufgeregt?
„Wir freuen uns so sehr über dieses Album! Es war nicht nur großartig, als Band endlich wieder an einen Punkt zu gelangen, an dem wir viel zu lange nicht waren, sondern auch, die Erfahrungen und die Weisheit nutzen zu können, die wir in den vergangenen 30 Jahren sammeln konnten. Das war sehr motivierend und das Ergebnis ist das unserer Meinung nach beste Album unserer Karriere. Wir sind sehr stolz darauf.“
Dass es überhaupt ein neues Life-Of-Agony-Album gibt, ist nicht selbstverständlich – die Band hat ja so einige Höhen und Tiefen durch. Wie ist die aktuelle Stimmung in eurem Lager?
„Uns geht’s prima. Wir haben seit letztem Jahr eine neue Schlagzeugerin, Veronica Bellino. Seit sie dabei ist, haben wir unsere Leidenschaft für diese Band wieder ganz neu entdeckt und stehen uns jetzt näher als je zuvor. Wir hatten die Gelegenheit, über den Einfluss nachzudenken, den wir auf unsere Fans hatten – und wie uns das selbst über die Jahre geholfen hat, mit unseren Problemen umzugehen.“
Life Of Agony live im Hamburg (Foto: Christina Wenig)Also wolltet ihr euren Fans etwas zurückgeben?
„Das war ehrlich gesagt die Inspirationsquelle für dieses neue Album: Im Laufe unserer Karriere haben uns so viele Fans mitgeteilt, dass unsere Musik ihnen geholfen hat, schlimme Zeiten in ihrem Leben zu überstehen. Es gibt so viele Menschen da draußen, die Erfahrungen mit Gewalt, Missbrauch oder psychischen Krankheiten gemacht haben und denen die Musik geholfen hat. Als jemand, der selbst mit Depressionen kämpft, weiß ich ganz genau, wie sehr einem Musik in solchen Situationen helfen kann. Der Teenager, um den es auf River Runs Red ging, hat damals nicht nur uns selbst, sondern eine ganze Generation repräsentiert. Also haben wir angefangen zu überlegen: Was, wenn er den Selbstmordversuch, mit dem das Album endet, überlebt hätte – so wie viele unserer Fans ihre Tiefpunkte überlebt haben?“
Da nun wieder anzuknüpfen, war sicherlich nicht einfach – immerhin sind seit der Veröffentlichung von River Runs Red 26 Jahre vergangen…
„Um an diesen Sound und Vibe der Neunziger anknüpfen zu können, mussten wir uns in unsere damalige Situation zurückversetzen und uns daran erinnern, warum wir diese Band überhaupt gestartet hatten. Wir waren damals ja gerade erst 17 Jahre alt. Und letztendlich sind uns zwei Dinge wichtig: Wir wollen die Menschen sowohl physisch als auch emotional bewegen. Damit meine ich, dass unsere Songs einen gewissen Groove haben müssen, der eine körperliche Reaktion hervorruft. Und sie müssen aufrichtig sein, damit die Hörer*innen eine Verbindung zu ihnen aufbauen können. Wenn ein Song diese beiden Kriterien nicht erfüllt, wandert er in die Tonne.“
Life Of Agony live im Hamburg (Foto: Christina Wenig)Du hast es schon erwähnt: River Runs Red hat diese Teenage Angst vertont, die bestimmend für die Gen X war und damals gerade durch Nirvana populär gemacht wurde. War es schwierig, sich wieder in diese Gefühlswelt zu versetzen?
„Leider bin ich immer noch ein wütender Teenager, haha. Ich glaube, dass man manche Gefühle einfach nie loswird. Hinzu kommen noch eine ganze Menge Wut, Frustration und Enttäuschung, wenn man älter wird und realisiert, wie viele Dinge auf der Welt eigentlich falsch laufen. Man fängt an zu reisen, lernt neue Menschen und Orte kennen und erkennt plötzlich, dass nicht alles so nett ist wie in dem kleinen Städtchen, in dem man aufgewachsen ist. Insofern denke ich, dass wir vielleicht noch frustrierter sind als früher, weil wir nun besser verstehen, wie diese Welt funktioniert. Als wir noch Teenager waren, haben wir einfach mit geballten Fäusten gen Himmel gewütet, ohne ganz zu verstehen, was eigentlich dazu beiträgt, dass es so viel Hass und Intoleranz gibt.“
Wie war es, wieder ein Konzeptalbum zu schreiben?
„Komischerweise gibt es im Jahr 2019 nicht viele Konzeptalben. Diese Art, mit Musik eine Geschichte zu erzählen, so wie mit Pink Floyds The Wall, hat uns von früh an sehr beeinflusst. Die Handlung von River Runs Red nun so fortzuführen, ist für uns eine sehr persönliche Angelegenheit. Es fühlt sich an, als würde sich ein Kreis schließen. Aber es war definitiv eine Herausforderung, das zu tun und die Geschichte so weiter zu erzählen, dass die Hörer*innen verstehen, dass 26 Jahre zwischen diesen beiden Teilen verstrichen sind.“
Life Of Agony live im Hamburg (Foto: Christina Wenig)Wie seid ihr da ran gegangen?
„Wir mussten River Runs Red jetzt nochmal genau analysieren. Das Album wurde von unserem Freund Josh Silver von Type O Negative produziert, der jedoch mittlerweile das Musikgeschäft hinter sich gelassen hat. Das neue Album wurde von Sylvia Massy, die schon mit Tool und System Of A Down zusammengearbeitet hat, und unserem Gitarristen Joey Z. produziert, der ein großartiger Tontechniker ist. The Sound Of Scars fängt buchstäblich da an, wo River Runs Red aufhört: mit dem Tropfen von Blut in eine Badewanne. Man kann sich beide Alben direkt hintereinander anhören und eine durchgehende Handlung erkennen.“
Genau wie damals werden wir mit Interludes durch die Handlung geführt, wodurch das Album fast schon Filmqualitäten hat. Denkst du, dass dein Job als Comicbuchautor und -illustrator dabei geholfen hat?
„Ich glaube auf jeden Fall, dass ich während der vergangenen Jahre in diesem Beruf sehr viel darüber gelernt habe, Geschichten zu erzählen. Ich hatte die Skripte für die Interludes bereits geschrieben, bevor wir irgendwas aufgenommen haben. Alles war also sehr genau geplant. Die Menschen, die man da hört, sind übrigens keine professionellen Sprecher*innen, sondern unsere Familie und Freund*innen – Menschen, die diese Band lieben und uns unterstützen wollen.“
Life Of Agony live im Hamburg (Foto: Christina Wenig)Der Albumtitel The Sound Of Scars legt nahe, dass es darauf um Schmerz und Leid geht, aber auch um Heilung. Habt ihr das Gefühl, dass ihr mit diesem Album etwas heilen konntet?
„Alles, was wir tun, ist ein Schritt in Richtung Heilung. Bei den Arbeiten an diesem Album sind viele Dinge passiert, die wir selbst gar nicht so recht verstanden haben. Als wir den Albumtitel Sound Of Scars gewählt haben, war uns zum Beispiel nicht bewusst, dass man daraus das Akronym S.O.S. bilden kann, wie bei einem Hilfeschrei. Auch das Releasedatum war so ein Fall: Uns wurde der 11. Oktober von unserem Label zugeteilt, weil das gut in ihren Veröffentlichungsplan gepasst hat. Erst später wurde uns klar, dass das nur einen Tag vor dem 26. Jubiläum von River Runs Red liegt, das am 12. Oktober 1993 rauskam. Nichts davon war geplant, aber es passt perfekt – als wäre es vorherbestimmt.“
Ihr hattet das Glück, oder Unglück, schon sehr früh sehr erfolgreich zu sein: Euer Debütalbum gilt bis heute als Meilenstein im Alternative Metal. Wie geht man mit solch einem Vermächtnis um?
„Dieses Album hat so viel für uns möglich gemacht. Wir hatten in den vergangenen Jahrzehnten die Gelegenheit, mehrmals um die Welt zu reisen und wir sind so dankbar dafür, dass wir immer noch das tun können, was wir lieben und dass es andere Menschen noch glücklich macht, uns live zu sehen. Irgendwie fühlt es sich an, als würden wir gerade erst loslegen. Unser neues Album hat uns so viel Energie gegeben, dass es fast wie ein Neuanfang wirkt. Als Mina 1997 nach der Veröffentlichung von Soul Searching Sun die Band verlassen hat, bestand die Möglichkeit, mit Whitfield Crane von Ugly Kid Joe weiterzumachen. Wir lieben ihn und sind noch immer mit ihm befreundet, damals haben wir auch einige Tourneen, unter anderem als Support von Megadeth und Ozzy, mit ihm gespielt. Aber als es dann daran ging, ein neues Album aufzunehmen, hat es sich einfach falsch angefühlt. Wir wollten kein Life-Of-Agony-Album ohne Mina aufnehmen und so einen Schatten auf unsere Karriere werfen. Das zeigt ganz genau, wie wichtig uns diese Band und ihr Vermächtnis ist.“